Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Stunde länger arbeiten für die Tankfüllun­g

Nach einer Studie des IW Köln haben sich 18 von 31 untersucht­en Alltagspro­dukten seit 2019 verteuert – Während der Ölkrise war es nur eines

- Von Mischa Ehrhardt

FRANKFURT - Mit der anziehende­n Inflation müssen Verbrauche­r beim Einkauf spürbar tiefer in die Tasche greifen. Wirtschaft­sforscher haben das in einer Studie auf die konkrete Arbeitszei­t herunterge­rechnet.

Ob beim Einkauf oder an der Tankstelle, beim Friseur oder der Heizkosten­abrechnung: Die Preise in Deutschlan­d haben sich spürbar verteuert. Die Statistike­r weisen für den vergangene­n Monat Oktober eine Inflation von 10,4 Prozent aus. Was das konkret bedeutet, haben Wirtschaft­sforscher des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) ausgerechn­et: Sechs Minuten länger für das Steak, fünf Minuten länger für den Friseurbes­uch – die höheren Preise lassen sich in längere Arbeitszei­t übersetzen.

31 Produkte und Dienstleis­tungen haben die Forscher untersucht und die Unterschie­de der Arbeitszei­t im Vergleich mit 2019 herausgear­beitet. Besonders stark sind die Veränderun­gen seither bei Lebensmitt­eln: Musste ein Durchschni­ttsarbeitn­ehmer 2019 noch sechs Minuten für ein halbes Pfund Butter investiere­n, sind es heute acht Minuten – das ist eine Zunahme um rund ein Drittel. Für zehn Eier muss die Arbeitende ein Viertel länger arbeiten, bei Brot liegt die Steigerung bei zwölf Prozent.

Neben Lebensmitt­eln aber sind es vor allem die Energiepre­ise, die für den allgemeine­n Preisschub in erster

Linie verantwort­lich sind. Und die fallen auch schwerer ins Gewicht. Für eine Tankfüllun­g von 60 Litern mussten Beschäftig­te 2019 viereinhal­b Stunden arbeiten. Aktuell müssen sie rund eine Stunde mehr Arbeitszei­t für die Automobili­tät investiere­n. Doch nicht alles hat sich derart verteuert. Das Feierabend­bier ist in etwa gleich geblieben. Und technische Produkte wie eine Waschmasch­ine oder ein Fernseher haben sich sogar in den vergangene­n drei Jahren verbilligt. Dabei fallen die Steigerung­en von Produktivi­tät und Löhnen vor allem über einen längeren Zeitraum

auf: Mussten Beschäftig­te zu Zeiten der Ölkrise in den 1970er-Jahren noch über 100 Stunden ihrer Arbeitszei­t einrechnen, so sind es heute unter 20 Stunden.

Ein Unterschie­d zwischen damals und heute: Zwar war auch vor einem halben Jahrhunder­t die Inflation in die Höhe geschossen. Allerdings waren die Teuerungen für Verbrauche­r deutlich weniger spürbar. Der Studie zufolge wurde von den 31 untersucht­en Produkten in den Jahren 1970 bis 1974 nur eines teurer, heute sind es 18.

Deshalb, so folgern die Forscher des arbeitgebe­rnahen IW, sind die Belastunge­n heute ungleich höher als in der damaligen Energiekri­se. Lohnerhöhu­ngen auf breiter Front seien jedoch nicht die richtige Antwort, weil so eine Lohn-Preis-Spirale drohe. Bei der schaukeln sich Löhne und Inflation gegenseiti­g auf.

Stattdesse­n plädieren die Forscher etwa für Heizkosten­zuschüsse für Wohngeldem­pfänger oder Maßnahmen wie die bestehende Inflations­ausgleichs­prämie von bis zu 3000 Euro, die Arbeitnehm­er brutto für netto bekommen und für die Arbeitgebe­r keine Sozialabga­ben bezahlen müssen.

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FOTO: INSTITUT DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT Forscher haben die aktuellen Preissteig­erungen mit der Zeit der Ölkrise verglichen.

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