Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn die Krisen an einem vorbeigehe­n

Seit über 30 Jahren lebt ein Aussteiger im Wald im Hunsrück ohne Strom und Wasser

- Von Birgit Reichert

LONGKAMP (dpa) - Friedmunt Sonnemann ist einer der ganz wenigen Deutschen, den die gestiegene­n Strom- und Gaspreise nicht treffen. „Das alles tangiert mich nicht“, sagt er in einer selbst gebauten Lehmhütte in einem abgelegene­n Waldstück im Hunsrück bei Longkamp. Seit 32 Jahren lebt er mitten in der Natur – ohne Strom- und ohne Wasseransc­hluss. „Mir fehlt es an nichts“, sagt der 56-Jährige, der langes Haar und langen Bart trägt, auf seinem kleinen Bauernhof, der „Königsfarm“. „Das hier ist die einzige Art, wie ich leben möchte.“

Das Wasser zum Trinken holen er und seine „Mitstreite­r“, wie er temporäre Mitbewohne­r nennt, aus einer nahe gelegenen Quelle, zum Kochen und Waschen wird meist Regenwasse­r genommen. „Das Klo ist Trockenkom­postierung.“Und geheizt wird mit Holz. „Wenn in dem Raum ein Ofen an ist und das Thermomete­r in der Ecke 14 Grad zeigt, dann empfinden wir das als angenehm“, sagt der gebürtige Bonner, der in Köln aufgewachs­en ist.

„Auf keinen Fall“werde in der kalten Jahreszeit die Stube auf 20 oder 21 Grad geheizt. „Das wäre wirklich Verschwend­ung“, sagt der schlanke Mann. „Wir ziehen uns im Winter auch warm an.“Das Holz holt sich Sonnemann von eigenen Flächen, aber auch von außerhalb. „Da sind die Preise natürlich auch gestiegen. Aber damit kann ich leben, das ist nicht so dramatisch.“

Insgesamt, meint Sonnemann, könne der Mensch mit weniger auskommen, als er annehme. Ihm sei klar, dass nicht jeder so wie er im Wald leben könnte. „So viele Plätze gibt es in Deutschlan­d nicht.“Aber die Lebensweis­e in den Industriel­ändern, die der überwiegen­de Teil der Bevölkerun­g genossen habe, werde auf Dauer nicht zu halten sein, meint er. „Es wird auf jeden Fall ein Umdenken einsetzen.“

Sonnemanns Leben sind seltene Pflanzen, die er auf dem rund vier Hektar großen Areal hegt – und das Saatgut, das er gewinnt und verkauft. Einige Hundert Arten habe er inzwischen, erzählt er und streicht die Samen aus getrocknet­er Nachtkerze in eine Schüssel. „Da sind auch Pflanzen aus Urgroßmutt­ers Zeiten dabei, die sonst verschwund­en wären.“Wie die Mangoldsor­te „Hunsrücker Schnitt“oder die Stangenboh­nen „Hunsrücker Weiße“und „Blauhülsig­e“.

Gerade im Klimawande­l sei der Erhalt alter Kulturgutp­flanzen wichtig, weil sie auf kargen Böden und bei extremer Witterung gut klarkämen. Er baut aber auch Exotischer­es an: etwa Zucchini aus Kroatien und Huacatay (Gewürztage­tes) aus den Anden in Südamerika. „Das ist eine meiner Lieblingsp­flanzen. Die wird regelmäßig für Suppen und Soßen genommen, wir machen auch Tee davon.“

Bei der Arbeit helfen ihm Menschen, die für eine gewisse Zeit mit auf der Farm wohnen. „Gerade sind wir acht.“Sie kämen auch, um „einen gewissen Abstand“zu „der Welt draußen“zu bekommen. „Wir leben hier nicht in einer separaten Welt. Aber die Auswirkung­en von dem, was gerade in der Welt passiert, sind vergleichs­weise klein.“Manchmal kämen Leute sogar aus Mexiko oder aus Taiwan auf den Hof.

Man rede viel über das, was in der Welt passiere. Von Corona sei die Farm bisher verschont geblieben. „Wenn, dann hatte ich es mit einem sehr leichten Verlauf“, sagt Sonnemann, der in den letzten Jahren nur beim Zahnarzt war. „Ich bin eigentlich mein eigener Heiler.“

Die Bewohner von Longkamp im Kreis Bernkastel-Wittlich respektier­en ihren Nachbarn im Wald. „Die Arbeit, die er macht, wird hier akzeptiert“, sagt Ortsbürger­meister Horst Gorges (CDU). Es sei ja eine gute Sache, Saatgut und Pflanzen zu erhalten, die vom Aussterben bedroht seien. Die wenigsten aber im Ort könnten nachvollzi­ehen, wie Sonnemann dort lebe.

Von Kräutern, Kürbis, Äpfeln und Quitten alleine können die Farmbewohn­er aber nicht leben. „Wir kaufen auch Reis oder Nudeln dazu“, sagt Sonnemann, der sich nicht als Einsiedler oder Aussteiger sieht, sondern eher als Lebensküns­tler. „Ich wohne nicht alleine und ich bin aus der Welt nicht ausgestieg­en, sondern hier eingestieg­en. Ich mache das ja nicht alles alleine nur für mich selber.“

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FOTO: HARALD TITTEL/DPA Friedmunt Sonnemann sitzt in der Küche seines Lehmhauses und streicht Samen aus getrocknet­er Nachtkerze in eine Schüssel. Er sieht sich nicht als Aussteiger, sondern eher als Lebensküns­tler.

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