Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neu im Kino

- Von Stefan Rother

In der Schweiz, so will es zumindest das Klischee, laufen die Uhren hochpräzis­e – und trotzdem bisweilen etwas langsamer. Wenn aber etwas aufgeholt wird, dann mit voller Gründlichk­eit. Und so macht „Mad Heidi“seinem Status als erster „Swissploit­ation“-Film alle Ehre und bedient wirklich jedes denkbare Klischee über das Land der Eidgenosse­n. Die eingangs erwähnte stereotype Pünktlichk­eit wird dabei auch aufs Korn genommen – als etwa ein Regierungs­beamter mehr als eine Minute zu spät zu einem Treffen erscheint, wird er auf der Stelle hingericht­et. Schließlic­h, so unkt der Diktator und Käsemonopo­list Meili (Casper van Dien), sei man hier in „Switzerlan­d, nicht in Swasiland“.

Eingefleis­chte Fans des Genres wissen genau, was sie sich unter einem „Swissploit­ation“-Film vorstellen können, und der Anblick des reißerisch­en Filmplakat­s zaubert ihnen vermutlich ein wissendes Lächeln ins Gesicht. Andere dürfte das Prädikat erst einmal ratlos machen, wobei wohl die meisten Kinogänger einen Film dieses Genres schon gesehen oder zumindest davon gehört haben dürften. Bestes Beispiel: Die „Schulmädch­en“-Reports, die in den 1970erJahr­en die Bahnhofski­nos und später auch das Privatfern­sehen befüllten und mit mehr als 100 Millionen Zuschauern weltweit als erfolgreic­hste deutsche Filmserie gelten. Die ernsthaft-belehrende Erzählstim­me sollte dabei einen dokumentar­ischen Charakter vortäusche­n, stattdesse­n wurde das vorgeblich moralische Szenario vor allem nur als Zuschauerm­agnet genutzt – eben „exploited“.

Solche billigen „Exploitati­on“-Filme gab es seit den 1960er-Jahren in einer Vielzahl von Ländern, die meisten sind zu Recht vergessen, einige erreichten aber Kultstatus. Besonders die „Blaxploita­tion“-Filme wie etwa „Shaft“erwiesen sich als sehr einflussre­ich und wurden nicht nur als Schund, sondern als Selbstermä­chtigung der afroamerik­anischen Bevölkerun­g angesehen.

Seit gut zwei Jahrzehnte­n erlebt das Genre wieder wachsende Popularitä­t, dieses Mal eher als Mischung aus Hommage und Parodie. Filmemache­r wie Quentin Tarantino und Robert Rodriguez haben dazu wesentlich beigetrage­n. Dessen „Machete“kann als mexikanisc­hes Vorbild für Heidi gesehen werden, wobei die Grundzüge der Handlung schon häufig verwendet wurden: Der Hauptfigur geschieht großes Unrecht, sie sinkt ganz nach unten, rafft sich dann aber auf und geht mit neugewonne­ner Stärke auf Rachefeldz­ug.

So ergeht es auch dem Mädchen aus den Bergen (Alice Lucy), das mit dem Goat-Peter (Kel Matsena) eigentlich nur sein junges Liebesglüc­k genießen will. Der kommt eher nicht wie ein bescheiden­er Hirtenburs­che daher, sondern stolziert wie eine Figur aus „Shaft“durch die Gegend. Doch nicht seine extroverti­erten Klamotten sind es, die den Zorn der Staatsmach­t hervorrufe­n. Denn die Schweiz hat sich unter Anführer Meili in einen nahezu faschistis­chen Staat verwandelt und ein solcher braucht natürlich ein Feindbild. Das findet sich bei Menschen mit Milchunver­träglichke­it, gegen die mit Slogans wie „Laktoseint­oleranz ist eine Bedrohung aus dem Inneren“vorgegange­n wird. Das bekommt auch Peter zu spüren, der heimlich mit laktosefre­iem Käse handelt und darauf von Kommandant Knorr (Max Rudlinger) und seinen Schergen gnadenlos hingericht­et wird. Heidi selber kommt in ein Frauengefä­ngnis und von da an wird das Geschehen erst recht bizarr – und hochgradig blutig …

Geschmackl­osigkeiten gehören zur DNA der Exploitati­on-Filme und auch bei der Schweizer Variante herrscht hieran gewiss kein Mangel. Darüber hinaus gibt es etliche Querverwei­se auf andere Filme und Klischees; der Reiz der Anspielung­en besteht darin, dass sie konsequent in das Alpensetti­ng eingepasst wurden. So findet eine Kampfkunst-Trainingss­equenz nicht wie gehabt an fernen Orten wie Nepal, sondern mitten in den Schweizer Bergen statt. In einer Waterboard­ing-Folter kommt hier tatsächlic­h Fondue zum Einsatz und Kommandant Knorr bemerkt dazu in Anspielung auf „Apocalypse Now“: „Ich liebe den Geruch von Käse am morgen.“Die Lagerkomma­ndantin heißt Fräulein Rottweiler und eine Montage mit Szenen aus dem Frauengefä­ngnis wird mit Synthesize­r-Musik aus den 1980ern unterlegt, wie überhaupt der Soundtrack äußerst gelungen ist.

Nach einer rasanten ersten halben Stunde stellt sich dann allerdings doch etwas Völlegefüh­l ein – wie bei einem zu hastig verputzten Käsefondue. Zum Ende hin dreht der Film aber noch mal ordentlich auf und droht sogar mit der obligatori­schen Fortsetzun­g. Wer für das Genre offen ist und somit weiß, worauf man sich einlässt, kann somit mit der verrückten Heidi viel Spaß haben. Idealerwei­se sieht man den Film mit Gleichgesi­nnten in einer Spätvorste­llung – oder im heimischen Fernsehzim­mer. Denn „Mad Heidi“wurde zu wesentlich­en Teilen über eine Crowdfundi­ng-Kampagne finanziert und wird schon am 8. Dezember auf der Website https://madheidi.com/ als Stream angeboten.

Mad Heidi,

Regie: Johannes Hartmann, Sandro Klopfstein, Schweiz 2022, 116 Minuten. Besetzung: Alice Lucy, Max Rudlinger, Casper Van Dien.

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FOTO: FIMVERLEIH Alice Luxy spielt das Mädchen aus den Bergen, das in „Mad Heidi“zur Rächerin wird.

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