Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Neu im Kino
In der Schweiz, so will es zumindest das Klischee, laufen die Uhren hochpräzise – und trotzdem bisweilen etwas langsamer. Wenn aber etwas aufgeholt wird, dann mit voller Gründlichkeit. Und so macht „Mad Heidi“seinem Status als erster „Swissploitation“-Film alle Ehre und bedient wirklich jedes denkbare Klischee über das Land der Eidgenossen. Die eingangs erwähnte stereotype Pünktlichkeit wird dabei auch aufs Korn genommen – als etwa ein Regierungsbeamter mehr als eine Minute zu spät zu einem Treffen erscheint, wird er auf der Stelle hingerichtet. Schließlich, so unkt der Diktator und Käsemonopolist Meili (Casper van Dien), sei man hier in „Switzerland, nicht in Swasiland“.
Eingefleischte Fans des Genres wissen genau, was sie sich unter einem „Swissploitation“-Film vorstellen können, und der Anblick des reißerischen Filmplakats zaubert ihnen vermutlich ein wissendes Lächeln ins Gesicht. Andere dürfte das Prädikat erst einmal ratlos machen, wobei wohl die meisten Kinogänger einen Film dieses Genres schon gesehen oder zumindest davon gehört haben dürften. Bestes Beispiel: Die „Schulmädchen“-Reports, die in den 1970erJahren die Bahnhofskinos und später auch das Privatfernsehen befüllten und mit mehr als 100 Millionen Zuschauern weltweit als erfolgreichste deutsche Filmserie gelten. Die ernsthaft-belehrende Erzählstimme sollte dabei einen dokumentarischen Charakter vortäuschen, stattdessen wurde das vorgeblich moralische Szenario vor allem nur als Zuschauermagnet genutzt – eben „exploited“.
Solche billigen „Exploitation“-Filme gab es seit den 1960er-Jahren in einer Vielzahl von Ländern, die meisten sind zu Recht vergessen, einige erreichten aber Kultstatus. Besonders die „Blaxploitation“-Filme wie etwa „Shaft“erwiesen sich als sehr einflussreich und wurden nicht nur als Schund, sondern als Selbstermächtigung der afroamerikanischen Bevölkerung angesehen.
Seit gut zwei Jahrzehnten erlebt das Genre wieder wachsende Popularität, dieses Mal eher als Mischung aus Hommage und Parodie. Filmemacher wie Quentin Tarantino und Robert Rodriguez haben dazu wesentlich beigetragen. Dessen „Machete“kann als mexikanisches Vorbild für Heidi gesehen werden, wobei die Grundzüge der Handlung schon häufig verwendet wurden: Der Hauptfigur geschieht großes Unrecht, sie sinkt ganz nach unten, rafft sich dann aber auf und geht mit neugewonnener Stärke auf Rachefeldzug.
So ergeht es auch dem Mädchen aus den Bergen (Alice Lucy), das mit dem Goat-Peter (Kel Matsena) eigentlich nur sein junges Liebesglück genießen will. Der kommt eher nicht wie ein bescheidener Hirtenbursche daher, sondern stolziert wie eine Figur aus „Shaft“durch die Gegend. Doch nicht seine extrovertierten Klamotten sind es, die den Zorn der Staatsmacht hervorrufen. Denn die Schweiz hat sich unter Anführer Meili in einen nahezu faschistischen Staat verwandelt und ein solcher braucht natürlich ein Feindbild. Das findet sich bei Menschen mit Milchunverträglichkeit, gegen die mit Slogans wie „Laktoseintoleranz ist eine Bedrohung aus dem Inneren“vorgegangen wird. Das bekommt auch Peter zu spüren, der heimlich mit laktosefreiem Käse handelt und darauf von Kommandant Knorr (Max Rudlinger) und seinen Schergen gnadenlos hingerichtet wird. Heidi selber kommt in ein Frauengefängnis und von da an wird das Geschehen erst recht bizarr – und hochgradig blutig …
Geschmacklosigkeiten gehören zur DNA der Exploitation-Filme und auch bei der Schweizer Variante herrscht hieran gewiss kein Mangel. Darüber hinaus gibt es etliche Querverweise auf andere Filme und Klischees; der Reiz der Anspielungen besteht darin, dass sie konsequent in das Alpensetting eingepasst wurden. So findet eine Kampfkunst-Trainingssequenz nicht wie gehabt an fernen Orten wie Nepal, sondern mitten in den Schweizer Bergen statt. In einer Waterboarding-Folter kommt hier tatsächlich Fondue zum Einsatz und Kommandant Knorr bemerkt dazu in Anspielung auf „Apocalypse Now“: „Ich liebe den Geruch von Käse am morgen.“Die Lagerkommandantin heißt Fräulein Rottweiler und eine Montage mit Szenen aus dem Frauengefängnis wird mit Synthesizer-Musik aus den 1980ern unterlegt, wie überhaupt der Soundtrack äußerst gelungen ist.
Nach einer rasanten ersten halben Stunde stellt sich dann allerdings doch etwas Völlegefühl ein – wie bei einem zu hastig verputzten Käsefondue. Zum Ende hin dreht der Film aber noch mal ordentlich auf und droht sogar mit der obligatorischen Fortsetzung. Wer für das Genre offen ist und somit weiß, worauf man sich einlässt, kann somit mit der verrückten Heidi viel Spaß haben. Idealerweise sieht man den Film mit Gleichgesinnten in einer Spätvorstellung – oder im heimischen Fernsehzimmer. Denn „Mad Heidi“wurde zu wesentlichen Teilen über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert und wird schon am 8. Dezember auf der Website https://madheidi.com/ als Stream angeboten.
Mad Heidi,
Regie: Johannes Hartmann, Sandro Klopfstein, Schweiz 2022, 116 Minuten. Besetzung: Alice Lucy, Max Rudlinger, Casper Van Dien.