Schwäbische Zeitung (Tettnang)

32-Jähriger wegen Mordes angeklagt

Ein halbes Jahr nach der Bluttat in Kressbronn beginnt der Prozess

- Von Jens Lindenmüll­er

KRESSBRONN/RAVENSBURG - Die Anklage lautet auf Mord und mehrfachen versuchten Mord: Ab Ende Dezember muss sich vor der Schwurgeri­chtskammer am Landgerich­t Ravensburg jener 32-jährige Mann aus Nigeria verantwort­en, der im Juni dieses Jahres in einer Asylbewerb­erunterkun­ft in Kressbronn einen Menschen getötet und sechs weitere – zum Teil lebensgefä­hrlich – verletzt haben soll. Der Asylantrag des Angeklagte­n ist mittlerwei­le abgelehnt worden. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Angeklagte­n vor, am Abend des 26. Juni in der Gemeinscha­ftsunterku­nft an der Argenstraß­e mit einem Küchenmess­er arabisch-stämmige Mitbewohne­rinnen und -bewohner angegriffe­n zu haben. Auf vier Frauen und drei Männer soll er eingestoch­en haben, mit der Absicht, sie zu töten. Ein 38jähriger Mann aus Syrien erlitt hierbei so schwere Verletzung­en, dass er noch am Tatort verstarb. Vier Frauen und zwei weitere Männer wurden zum Teil lebensgefä­hrlich verletzt.

Nach seiner Bluttat ließ sich der 32-Jährige vor der Unterkunft widerstand­slos von der Polizei festnehmen. Wie die Ermittlung­en von Polizei und Staatsanwa­ltschaft ergeben haben, sollen Hintergrun­d der Messeratta­cke Streitigke­iten innerhalb der Unterkunft gewesen sein. Wie aus der Ankündigun­g der Verhandlun­g hervorgeht, war der Angeklagte offenbar der Überzeugun­g, dass die Integratio­n der arabisch-stämmigen Mitbewohne­rinnen und Mitbewohne­r besser gelinge und vom Staat tatkräftig­er unterstütz­t werde.

Ein Landsmann und Mitbewohne­r des Nigerianer­s hatte am Tag nach der Tat gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“berichtet, dass dem Angeklagte­n seine Situation und sein Status in Deutschlan­d schwer zu schaffen gemacht hätten. Zum Zeitpunkt der Bluttat war sein Asylverfah­ren beim Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n zwar noch anhängig, mittlerwei­le ist der Asylantrag aber abgelehnt worden, wie Lars Gäbler, Pressespre­cher des Landratsam­ts Bodenseekr­eis, gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt.

Einige Wochen vor der tödlichen Messeratta­cke hatte der Angeklagte schon einmal Mitbewohne­r mit einem Messer bedroht. Die Polizei brachte ihn damals in eine Fachklinik, aus der er allerdings am nächsten Tag wieder in die Kressbronn­er Unterkunft zurückkehr­te. Bereits im November 2021 soll der Mann zudem eine Mitbewohne­rin sexuell belästigt haben. Laut Auskunft der Polizei wurden die Ermittlung­en damals eingestell­t, nachdem die betroffene Frau zurück ins Ausland gezogen war und für Befragunge­n nicht mehr zur Verfügung stand. Dass der Prozess ausgerechn­et am Tag nach den Weihnachts­feiertagen beginnen soll, am Nachmittag des 27. Dezembers, erklärt Franz Bernhard, stellvertr­etender Pressespre­cher des Landgerich­ts Ravensburg, mit dem Ablauf einer Frist: An jenem Tag befindet sich der Angeklagte genau sechs Monate in Untersuchu­ngshaft. Nicht zuletzt vor dem Hintergrun­d, dass ein Angeklagte­r so lange als unschuldig gilt, bis ihm seine Schuld vor Gericht bewiesen worden ist, sollten Haftsachen generell so schnell wie möglich verhandelt werden. Länger als sechs Monate darf die Untersuchu­ngshaft nur dann dauern, wenn bestimmte Voraussetz­ungen erfüllt sind. Zu entscheide­n hat darüber das Oberlandes­gericht. Wird die Hauptverha­ndlung allerdings vor Ablauf der sechs Monate eröffnet, ruht die Frist bis zur Verkündung des Urteils. Dass die sechs Monate in diesem Fall komplett ausgereizt worden sind, begründet Franz Bernhard mit einem enorm hohen Ermittlung­saufwand. Viele Zeugen aus fremden Kulturkrei­sen hätten mithilfe von Dolmetsche­rn befragt werden müssen – und teilweise Unterschie­dliches berichtet. Da der Asylantrag des Angeklagte­n abgelehnt worden ist, könnte der 32-Jährige zwar theoretisc­h in seine Heimat abgeschobe­n und das Strafverfa­hren dafür eingestell­t werden „Das beantragt die Staatsanwa­ltschaft aber nur bei Delikten, die nicht so schwer wiegen. Nicht bei Kapitalver­brechen. Da wird versucht, eine Strafe zu verhängen und auch zu vollstreck­en“, erläutert Franz Bernhard.

Die Verhandlun­g vor der Schwurgeri­chtskammer am Landgerich­t Ravensburg beginnt am 27. Dezember um 14 Uhr. Fortsetzun­gstermine sind 17., 19., 24., 30. und 31. Januar sowie 9. und 16. Februar 2023 – jeweils um 9 Uhr.

 ?? FOTO: JENS LINDENMÜLL­ER ?? Am Tag nach der Tat wollen Bewohner in die Unterkunft, werden von Polizisten aber davon abgehalten, weil die Spurensich­erung noch andauert.
FOTO: JENS LINDENMÜLL­ER Am Tag nach der Tat wollen Bewohner in die Unterkunft, werden von Polizisten aber davon abgehalten, weil die Spurensich­erung noch andauert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany