Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kapitän in Krisenstimmung
Auch Neuer kann die Niederlage nicht verhindern – Nun droht ein trauriger Rekord
AL-RAJJAN (dpa) - Manuel Neuer kam als einer der Letzten aus der Kabine. Worte zu finden, fiel ihm schwer. Nach dem Riesenwirbel um das „One Love“-Diktat durch die FIFA setzten die späten Gegentore beim bitteren 1:2 der Nationalmannschaft gegen Japan dem deutschen Rekordtorwart mächtig zu. Verloren. Schon wieder beim WM-Start. Und das nach guten 70 Minuten und einem moralischen Ausrufezeichen mit der Hand-vor-denMund-Geste beim Mannschaftsfoto.
Da war Neuers Blick noch entschlossen gewesen. Nach dem Abpfiff im Chalifa International Stadium war er leer. „Das ist eine Riesenenttäuschung für uns, wir sind frustriert. Für mich ist es so knapp nach dem Spiel schwer zu verstehen, wie wir das aus der Hand gegeben haben“, sagte Neuer nach seinem 17. WM-Spiel der ARD. Bei „Welt“rutschte ihm das Wort „Katastrophe“heraus.
Wie kein anderer hatte Neuer im Fokus gestanden. Als Spielführer war er derjenige, der die von der FIFA gestellte Armbinde mit dem Schriftzug „No Discrimination“trug und eben nicht die bunte „One Love“-Krempe. Kurz vor dem Anpfiff wurde der 36Jährige vom Linienrichter ermahnt, dass die Binde zwischen dem kurzärmligen Trikot und dem darunter angezogenen Long-Sleeve nicht verschwinden dürfe. „Die war ein bisschen locker gewesen“, sagte Neuer. Es wurde auf Kleinigkeiten geachtet.
Neuers 119. Länderspiel war für den Bayern-Schlussmann erst moderat an Aufregungen. Ein früher Gegentreffer von Daizen Maeda (8.) galt wegen Abseits nicht. Dann musste er nur noch wachsam sein, wenn die Japaner ins Tempo kamen. Tatsächlich zu parieren gab es praktisch nichts. Bis zur 71. Minute. Da fuhr er die Pranke aus, parierte in Neuer-Bestform gegen Junya Ito. Den Doppeleinschlag durch Ritsu Doan (76.) und Takuma Asano (83.) konnte er nicht verhindern, sah allerdings beim zweiten Gegentor aus spitzem Winkel unglücklich aus.
Neuer stürmte zum Schluss mit, hätte in der Nachspielzeit fast einen Kopfball setzen können. Vergebens. „Jetzt haben wir den Salat. Gegen Spanien müssen wir es besser machen und zeigen, welches Potenzial wir haben“, forderte er bei MagentaTV.
Dabei war der Keeper zuletzt so optimistisch. Seine (wohl) letzte WM soll unbedingt noch einmal ein Erfolgsmoment bereithalten, nach dem Siegesrausch von Rio 2014 und der Schmach in Russland 2018. Anfang des Monats waren auch die Schmerzen in der Schulter kein Problem mehr. Rechtzeitig feierte er sein Comeback. Eine Heilung just in time wie vor den Turnieren 2014 und 2018.
Jetzt ist Neuer als Kapitän gefragt – mit und ohne Binde. Im Teamquartier muss der Routinier mit Bundestrainer Hansi Flick Aufbauarbeit leisten. Gegen Spanien könnte sonst am Sonntag sogar das ganz schnelle WM-Aus drohen. Neuer stünde dann zum Vorrunden-Abschluss gegen Costa Rica in seinem 19. WM-Spiel vor einem traurigen Rekord. Häufiger hat noch kein Torhüter bei einer Endrunde gespielt. Sepp Maier und Brasiliens Claudio Taffarel waren 18-mal im Einsatz.