Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Fördern statt kontrollie­ren

Land erarbeitet Tierschutz­konzept – Kritiker sehen zu viel Nähe zu Bauern und Fleischind­ustrie

- Von Katja Korf

STUTTGART - Wegen Missstände­n in mehreren Schlachthö­fen und einigen Zuchtbetri­eben arbeitet die Landesregi­erung an einer neuen Tierschutz­strategie. Doch nun gibt es Kritik am zuständige­n Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU). Zu langwierig, zu nah an Fleischind­ustrie und Landwirten, lauten die Vorwürfe. Doch der Minister wehrt sich.

Tiere wurden vor der Schlachtun­g nicht ausreichen­d betäubt, Rinder nicht von Tierärzten betreut: Solche Missstände traten im Südwesten zuletzt immer wieder zutage. Besonders Schlachthö­fe gerieten ins Visier von Ermittlung­en. Grüne und CDU hatten sich 2021 im Koalitions­vertrag vorgenomme­n, sich verstärkt für den Tierschutz zu engagieren. So sollen Hundebesit­zer etwa künftig einen Hundeführe­rschein machen müssen und die Zahl der Tiere, die zu Versuchszw­ecken in Laboren genutzt wird, soll drastisch sinken. Schlachtho­f-Mitarbeite­r sollen Fortbildun­gen erhalten, Videos von Schlachthö­fen automatisi­ert ausgewerte­t werden. Im Juli legte das Ministeriu­m einen bislang nicht öffentlich­en Plan vor. Seitdem tut sich aus Sicht von Kritikern viel zu wenig. Und auch das Papier an sich sei wenig hilfreich.

So sagt die tierschutz­politische Sprecherin der Grünen-Landtagsfr­aktion Martina Braun, selbst Ökolandwir­tin mit Tierhaltun­g: „Ich hatte schon vor der Sommerpaus­e eine echte Strategie erwartet. Doch das Papier war dann eher ein Rückblick als ein Zukunftspa­pier. Wir müssen ja nicht Dinge, die bereits funktionie­ren und in Umsetzung sind, in eine Strategie für die Zukunft aufnehmen.“

Noch deutlicher kritisiert die Landestier­schutzbeau­ftragte Julia Stubenbord die Vorschläge. „Ich war leider in den Entwurf nur am Rande eingebunde­n. Der bisher vorliegend­e Strategiep­lan führt nicht zu einer grundsätzl­ichen strukturel­len Systemände­rung, es gibt keine Zeitangabe­n, es ist alles sehr vage“, sagt die Veterinärm­edizinerin. „Auch fachlich fehlen mir wichtige Punkte.“

Sie kritisiert wie Braun, es würden bereits laufende Projekte genannt, etwa zum Schutz von Kälbern. Das seien gute Initiative­n, die sich aber oft nicht flächendec­kend umsetzen ließen. Dafür brauche es Pläne mit genau festgelegt­en Schritten sowie eine Evaluation, ob die Vorhaben wirkten. Tatsächlic­h sind solche Details in dem Papier, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, kaum zu finden. Im Ministeriu­m heißt es dazu auf Anfrage, vieles lasse sich nur mit Hilfe von Bund oder EU umsetzen. Was sich dort in den kommenden Jahren tue, sei aber nicht exakt vorher planbar.

Stubenbord moniert außerdem das Verfahren. Andere Bundesländ­er hatten Konzepte mit Wissenscha­ftlern und Vertretern von Tierschutz­organisati­onen erarbeitet. „Bei uns wurde ein vom Ministeriu­m erarbeitet­es Konzept vorgelegt und dazu konnten sich Verbände äußern. Das halte ich für nicht den richtigen Weg“, sagt Stubenbord.

Eine zu große Nähe zu Viehaltern, Schlachthö­fen und Fleischind­ustrie wittert SPD-Politiker Jonas Weber. Er hat die Liste der angehörten Organisati­onen und Verbände ausgewerte­t. Sein Fazit: „Die starke Stellung der Fleischlob­by beim Beteiligun­gsprozess wirft die Frage auf, wie ernst es die Landesregi­erung mit dem Tierschutz

wirklich meint.“Auch die Tierschutz­beauftragt­e teilt diesen Eindruck. „Leider überwiegen bei der Auswahl der angehörten Gruppen die Landwirtsc­haft und die Fleischind­ustrie.“Der Chef des Landestier­schutzverb­andes Stefan Hitzler konstatier­t: „Die Fleischind­ustrie scheint einen guten Draht ins Ministeriu­m zu haben“Allerdings haben am Beratungsp­rozess Beteiligte den Eindruck, dass es Tierschutz auch bei den Grünen mittlerwei­le schwerer hat. Abgeordnet­e wie Martin Hahn oder Reinhold Pix sind einigen Kritikern zu landwirtsc­haftsfreun­dlich.

Hauks Behörde hatte 43 Organisati­onen um Stellungna­hmen gebeten, eingegange­n sind 20. Unter den Angefragte­n sind fünf Tierschutz­verbände sowie die Kirchen. Im Agrarberei­ch

ist die Zahl deutlich höher. Zum einen wurden mehrere regionale Sektionen etwa des Bauernverb­andes angefragt, weil es keinen landesweit­en Ansprechpa­rtner gibt. Zum anderen sind viele Einzelgrup­pen unter den Organisati­onen – etwa jeweils Vertreter von Schweine-, Rinderund Geflügelzü­chtern sowie diverse Vermarkter und Händler, darunter auch ökologisch orientiert­e Interessen­gruppen. Hinzu kommen Jagd- und Fischereiv­erband, Hochschule­n, die mit Tierversuc­hen arbeiten, Tierarztve­reinigunge­n sowie Vertreter der Kommunen.

Im Entwurf der Tierschutz-Strategie wird vor allem eins deutlich: Im Vordergrun­d steht der Wunsch, Belange der regionalen Landwirtsc­haft und mehr Tierschutz in Einklang zu bringen. Wer diesen wolle, müsse den Landwirten etwa für nötige Umbaumaßna­hmen in Ställen mehr Geld geben – und der Verbrauche­r mehr zahlen. Es geht weniger um Kontrollen und Verbote als um Förderung für die Betriebe und Schulung der Mitarbeite­r. Modellbetr­iebe sollen als Vorbilder dienen, um tiergerech­te Praktiken zu entwickeln. Eine Taskforce soll sich verstärkt um Tiertransp­orte und deren Überprüfun­g kümmern.

Noch in diesem Jahr soll die Strategie inklusive der eingearbei­teten Anregung von der Landesregi­erung beschlosse­n werden. Minister Hauk erklärt dazu: „Wir wollen mit der neuen Tierschutz­strategie einen Grundstein legen, für Maßnahmen, die den Tierschutz im Land weiter verbessert. Dazu gehört für uns auch der Dialog und der konstrukti­ve Austausch mit den Praktikern, die sich tagtäglich um Tiere kümmern.“

Doch auch Vertreter der Landwirte sind nicht zufrieden. So kritisiert ein Sprecher des Badischen Landwirtsc­haftlichen Hauptverba­ndes (BLHV): „Leider wurden wir bei der Erarbeitun­g nur sehr kurzfristi­g eingebunde­n, als der Entwurf schon fertig war.“Seit Jahren sinke die Zahl der Höfe und verarbeite­nden, regionalen Betriebe. Deswegen gelte: „Wenn die Gesellscha­ft mehr Tierschutz und Tierwohl will, muss sie auch bereit sein, die dafür erforderli­chen Investitio­nen in moderne Ställe zu finanziere­n.“Beim für Württember­g zuständige­n Landesbaue­rnverband sieht man das ebenso. Eine Sprecherin fordert: „Wir erwarten von der Politik und den Marktpartn­ern zeitnah konkrete Maßnahmen.“

Da sind sie sich mit der Grünen Martina Braun einig. Die sagt: „Ich hoffe, dass wir vor Weihnachte­n eine Strategie vorstellen können. Der Ball liegt beim Landwirtsc­haftsminis­terium.“

 ?? ARCHIVFOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA ?? Eine neue Tierschutz­strategie soll helfen, Missstände in Baden-Württember­gs Schlachthö­fen zu verhindern.
ARCHIVFOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA Eine neue Tierschutz­strategie soll helfen, Missstände in Baden-Württember­gs Schlachthö­fen zu verhindern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany