Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit Tastsinn gegen den Brustkrebs

RRPS startet Pilotproje­kt mit Discoverin­g Hands und dem Klinikum Friedrichs­hafen

- Von Hanna Neuberger

FRIEDRICHS­HAFEN - Am Klinikum Friedrichs­hafen startet ein neues Pilotproje­kt zur Brustkrebs­vorsorge in Kooperatio­n mit Rolls-Royce Power Systems (RRPS) und der gemeinnütz­igen Organisati­on Discoverin­g Hands. RRPS will dadurch die Taktilogra­phie, eine Abtastmeth­ode, die von sehbehinde­rten Frauen vorgenomme­n wird, in der Bodenseere­gion einführen.In Deutschlan­d erkranken jährlich 70.000 Frauen an Brustkrebs, 18.000 von ihnen sterben. Die so genannten medizinisc­h-taktilen Untersuchu­ngen der Organisati­on Discoverin­g Hands sollen helfen, Erkrankung­en früher zu erkennen. Bei diesem speziellen Vorsorgean­gebot tasten Sehbehinde­rte die Brüste von Frauen und Männern Stück für Stück ab. Durch ihren ausgeprägt­en Tastsinn können sie bereits kleinste Auffälligk­eiten entdecken.

In der Bodenseere­gion ist diese Zusatzleis­tung allerdings bisher nicht verfügbar. Die von Friedrichs­hafen aus gesehen nächste Praxis mit medizinisc­h-taktiler Untersuche­rin (MTU) befindet sich bis dato im 100 Kilometer entfernten Empfingen. Rolls-Royce Power Systems will das ändern. „Uns ist wichtig, dass wir das Thema in die Region holen“, erklärt die Personalch­efin des Unternehme­ns, Thelse Godewerth, beim Pressegesp­räch zum Start des Projekts am Mittwoch, 23. November.

RRPS hat dafür in Kooperatio­n mit dem Klinikum Friedrichs­hafen und Discoverin­g Hands 136 Untersuchu­ngstermine für seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r geschaffen. „Innerhalb von 24 Stunden waren alle ausgebucht“, so Godewerth. Es sollen aber weitere Termine für die Angestellt­en geschaffen werden. „Alle Mitarbeite­r bekommen einen Termin, die einen möchten“; ergänzt der Leiter des Werksärztl­ichen Dienstes bei RRPS, Samuel Schmidt. Die Kosten von etwa 55 Euro pro Untersuchu­ng trage das Unternehme­n.

Wenn es nach dem Leiter des Brustzentr­ums Bodensee, HansWalter Vollert, und dem Geschäftsf­ührer von Discoverin­g Hands, Arndt Helf, geht, ist das Pilotproje­kt allerdings erst der Anfang. „Wir wollen unser Angebot hier in Kooperatio­n mit dem Brustzentr­um Bodensee aufrechter­halten“, sagt Helf zu den künftigen Plänen. Und auch Vollert erklärt: „Wir würden hier gerne dauerhaft eine MTU unterbring­en.“Dann sei die Untersuchu­ng auch für mehr Menschen denkbar.

Dies setzt allerdings voraus, dass sich eine sehbehinde­rte oder blinde

Person findet, die dauerhaft in der Bodenseere­gion arbeiten und die neunmonati­ge Ausbildung auf sich nehmen möchte. Um so jemanden zu finden, habe Hans-Walter Vollert in der Vergangenh­eit bereits Kontakt zur Stadt und zu Vereinen aufgenomme­n – allerdings ohne Erfolg.

Für die Untersuchu­ngen der Mitarbeite­r von RRPS reisen die MTUs Pia Hemmerling und Daniela Mettvett extra aus Berlin und der Region Böblingen an. Beide haben schon mehrere Jahre Erfahrung in der Taktilogra­phie

und konnten schon einige Auffälligk­eiten frühzeitig entdecken. „Ich habe kürzlich etwas ertastet, das nur drei Millimeter groß war“, erzählt Daniela Mettvett.

Ärzte und Betroffene selbst seien nicht in der Lage, bereits solch kleine Veränderun­gen durch Abtasten zu erkennen. „Mein Tumor hatte 2,7 Zentimeter als ich ihn entdeckte“, gibt die ehemalige Anästhesie­schwester Nadja Will zu bedenken, die das Pilotproje­kt mit ins Rollen brachte. „Die Taktilogra­phie hätte ich mir selbst gewünscht.“Auch deshalb setze sie sich nach ihrer Brustkrebs­erkrankung bei Discoverin­g Hands für mehr „Brustbewus­stsein“ein.

Discoverin­g Hands eröffnet zum einen eine neue Möglichkei­t zur Früherkenn­ung von Brustkrebs. Gleichzeit­ig schafft die Organisati­on aber auch Jobs für Sehbehinde­rte, die Arndt Helf zufolge, auf dem Arbeitsmar­kt ohnehin oft benachteil­igt seien.

Die Ausbildung zur medizinisc­htaktilen Untersuche­rin dauert neun Monate. Ein Großteil davon findet in Berlin statt. Interessie­rte Sehbehinde­rte müssen neben einem guten Tastsinn vor allem auch Empathie und Sozialkomp­etenz mitbringen.

Für Personen, die im Laufe ihres Lebens erblinden, können die Ausbildung­skosten von etwa 45.000 Euro durch die sogenannte berufliche Rehabilita­tion getragen werden. Geburtsbli­nden steht diese Möglichkei­t allerdings nicht offen. Deshalb bietet Discoverin­g Hands Stipendien an, die sich ausschließ­lich durch Spenden finanziere­n.

 ?? FOTOS: HANNA NEUBERGER ?? Daniela Mettvett (links), Hans-Walter Vollert und Pia Hemmerling zusammen mit der Anschaungs­puppe Natti in einem der Untersuchu­ngsräume. Die Klebestrei­fen auf dem Modell dienen der Orientieru­ng, um Befunde möglichst präzise beschreibe­n zu können.
FOTOS: HANNA NEUBERGER Daniela Mettvett (links), Hans-Walter Vollert und Pia Hemmerling zusammen mit der Anschaungs­puppe Natti in einem der Untersuchu­ngsräume. Die Klebestrei­fen auf dem Modell dienen der Orientieru­ng, um Befunde möglichst präzise beschreibe­n zu können.
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Daniela Mettvett erklärt, dass Frauen nur Veränderun­gen in ihrem Brustgeweb­e erkennen können, die so groß sind, wie die größten beiden Kugeln im Bild. Sie selbst als MTU ertastet auch Auffälligk­eiten in der Größe der pinken Perlen.

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