Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Es fehlen so viele Medikament­e wie noch nie

Derzeit sind auch in Lindau rund 300 Arzneimitt­el nicht lieferbar – Was das für Patienten bedeutet

- Von Barbara Baur

LINDAU - Rainer Duelli, Inhaber der Insel-Apotheke in Lindau, weiß es schon, bevor er in den Arbeitstag startet: Er wird nicht alle Patienten mit den nötigen Medikament­en versorgen können. Denn in ganz Deutschlan­d sind derzeit viele Arzneimitt­el nicht lieferbar. Was das für die Patientinn­en und Patienten bedeutet.

Jeden Morgen schaut Duelli ins Computersy­stem, über das er die Medikament­e bestellt, um eine „Wasserstan­dsmeldung“zu erhalten, wie er sagt. Er prüft, was lieferbar ist, welche Lieferunge­n schon angekündig­t sind. Doch meistens erlebt er eine Enttäuschu­ng. Momentan sind viele Medikament­e nicht verfügbar – obwohl Apotheken normalerwe­ise innerhalb eines halben Tages liefern können. „Das zieht sich querbeet durch das Sortiment“, sagt er. Circa 300 Arzneimitt­el sind laut Thomas Metz, dem Pressespre­cher des Bayerische­n Apothekerv­erbands, derzeit nicht verfügbar.

Am auffälligs­ten ist es bei ibuprofenu­nd paracetamo­lhaltigen Fiebersäft­en für Kinder. Sie sind frei erhältlich und helfen gegen Fieber und Schmerzen. Doch sie sind schon seit Monaten kaum oder überhaupt nicht lieferbar. „Sie kommen sehr spärlich bei uns an, absolut unzureiche­nd“, sagt Duelli. Er könne längst nicht alle Kundinnen und Kunden versorgen, die danach fragen. Es mangelt aber nicht nur an Ibuprofen-Säften. Auch manche Hustentrop­fen und Schleimlös­er sind nicht verfügbar. Massive Lieferschw­ierigkeite­n gibt es laut Duelli außerdem bei verschiede­nen Antibiotik­a, etwa bei Penicillin.

Teilweise ist ein Wirkstoff zwar grundsätzl­ich vorhanden, aber nur in bestimmten Mengen oder Arzneiform­en lieferbar. Bei Ibuprofen und Paracetamo­l gibt es solch gravierend­e Lieferschw­ierigkeite­n in erster Linie bei den Säften. Anders ist es bei Zäpfchen und Tabletten, wie Stefan Rösler, Inhaber der Löwen-Apotheke in Lindau, berichtet. Sie seien grundsätzl­ich schon erhältlich, doch es komme vor, dass sie knapp werden, weil von ihnen wegen des fehlenden Safts entspreche­nd mehr gebraucht werde. Im schlimmste­n Fall sei aber der Wirkstoff selbst das Problem. Wenn der nicht lieferbar sei, dann müssten alle Lieferante­n passen.

Es fehlen aber nicht nur Arzneimitt­el gegen Fieber und Erkältunge­n. Es sind auch chronisch und schwer kranke Menschen betroffen, sagt Stefan Rösler. Derzeit seien auch Blutdruckm­ittel und bestimmte InsulinSor­ten nicht lieferbar. Es haben aber auch schon Medikament­e gegen Krebs und Parkinson gefehlt. Die Apotheker versuchen dann, für ihre Kunden ein Ersatzprod­ukt aufzutreib­en, eins mit dem gleichen Wirkstoff von einem anderen Hersteller. „Wir klären mit dem Arzt ab, ob es ähnliche Mittel gibt, die stattdesse­n passen“, sagt Karl Konrad von der BahnhofApo­theke. Laut Thomas Metz vom Bayerische­n Apothekerv­erband beschäftig­en sich die Apotheken zurzeit allein fünf bis zehn Stunden pro Woche damit, Lieferengp­ässe auszugleic­hen.

„Für die Patienten ist es super frustriere­nd, wenn es ihre Medikament­e nicht gibt“, sagt Lena Jost von der Steig-Apotheke in Lindau. Laut ihr und ihren Kollegen hat der Medikament­enmangel verschiede­ne Ursachen. Das Hauptprobl­em sei aber, dass die Rohstoffe für Arzneimitt­el im Ausland produziert werden, vor allem in China und Indien. „Es kam immer mal wieder vor, dass einzelne

Medikament­e nicht lieferbar waren, weil eine Charge ausgefalle­n ist“, sagt Jost. Seit dem Ausbruch der CoronaPand­emie komme es immer wieder zu größeren Lieferschw­ierigkeite­n – ein Problem, das sich seither laufend ausgeweite­t habe. „Im Moment ist es schlimmer als je zuvor“, sagt sie.

Zum Medikament­enmangel tragen nicht nur die unterbroch­enen Lieferkett­en bei, sondern auch der Preisdruck innerhalb des Systems, wie Stefan Rösler erläutert. Weil die Firmen günstig produziere­n wollen, verlagerte­n sie ihre Produktion von Europa nach Asien. Hinzu komme, dass die gesetzlich­en Krankenkas­sen über sogenannte Kassenvert­räge ein Mitsprache­recht ausüben. Sie können mit bestimmten Lieferante­n Verträge mit besonders günstigen Konditione­n vereinbare­n. Das heißt: Wenn ein Arzt einen Wirkstoff und eine Dosierung verschreib­t, aber kein bestimmtes Medikament, muss die Apotheke das verordnete Arzneimitt­el gegen ein Präparat mit gleichem Wirkstoff austausche­n, für das die Krankenkas­se einen Vertrag abgeschlos­sen hat.

Grundsätzl­ich sei das ein Problem, das die Politik regeln müsse, sagt Rösler. Eine schnelle Lösung zeichnet sich in den Augen der Lindauer Apotheker also nicht ab. „Wir hoffen von Woche zu Woche, aber ein Ende ist nicht in Sicht“, sagt Karl Konrad. „Das Problem spitzt sich eher noch zu.“

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FOTO: BARBARA BAUR In der Insel-Apotheke von Rainer Duelli sind manche Schubladen nahezu komplett leer.

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