Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Fruchtflie­gen legen Aalener OP still

Suche nach der Quelle läuft seit zwei Wochen – Operatione­n müssen verschoben werden

- Von Stefan Fuchs

AALEN - Seit zwei Wochen sorgt sie dafür, dass gar nichts mehr geht im zentralen Operations­saal (OP) des Ostalb-Klinikums in Aalen: Drosophila Melanogast­er. Im Haushalt gilt die Fruchtflie­ge – oder auch Taufliege –, die sich dort vorwiegend von Speiserest­en ernährt, nur als nervtötend. Im Operations­saal einer Klinik lassen die strengen Hygienevor­schriften dagegen keinen Spielraum: Bis die Quelle nicht gefunden ist und auch die letzte Fruchtflie­ge entfernt, müssen Operatione­n verschoben und verlegt werden.

Klinikspre­cher Ralf Mergenthal­er hofft, dass bis Ende kommender Woche der Betrieb wieder aufgenomme­n werden kann. „Zuerst einmal müssen wir aber die Quelle finden, die Suche läuft auch übers Wochenende weiter. Dann müssen wir auch in unseren Fallen nachweisen, dass keine Tiere mehr aufgetauch­t sind. Im nächsten Schritt würde dann das Gesundheit­samt bei einer Begehung den Erfolg prüfen“, sagt er auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Garantien gibt es allerdings keine. Direkt nach dem Fund erster Fliegen am Samstag vor zwei Wochen im Aufenthalt­sraum und im Flur des

Zentral-OPs wurden anstehende Operatione­n abgesagt. Damals ging man allerdings in der Klinik davon aus, dass das Problem binnen weniger Tage gelöst werden könnte. Ein externes Reinigungs­team räumte die Säle aus und rückte den Plagegeist­ern drei Tage nach der Entdeckung mit Desinfekti­onsmitteln und Gas aus Nebelautom­aten auf den Leib. Doch auf eine vorübergeh­ende Öffnung des OPs am darauffolg­enden Freitag folgte die Ernüchteru­ng: Erneut wurden Fruchtflie­gen entdeckt – der OP, in dem üblicherwe­ise pro Tag etwa 20 bis 25 Operatione­n durchgefüh­rt werden, musste wieder schließen.

Wie Krankenhau­ssprecher Mergenthal­er berichtet, wurden seither die Räume teilweise entkernt, Regale auseinande­rgebaut, der Boden inspiziert, Folien-Zwischenwä­nde eingezogen, Rohre untersucht und vereinzelt Wände aufgemacht – immer auf der Suche nach einer Nahrungsqu­elle für die Tiere. Zusätzlich habe man mehr als 100 Feuchtfall­en aufgestell­t. „Die klassische vergessene Bananensch­ale konnten wir schnell ausschließ­en“, sagt Mergenthal­er. Allerdings reiche den Fruchtflie­gen allein etwas Feuchtigke­it zum Überleben aus.

Dringend notwendige Operatione­n, bei denen ein zeitlicher Aufschub nicht infrage kommt, werden derzeit nach Auskunft der Klinik auf die Nachbarkra­nkenhäuser verteilt. „In solchen Fällen reisen unsere kompletten OP-Teams etwa in die Kliniken nach Ellwangen oder Mutlangen und operieren dort in freien Räumlichke­iten“, erläutert Mergenthal­er. Weniger dringende Eingriffe würden derzeit verschoben.

Dass dieser Aufwand aufgrund winziger Fruchtflie­gen, die im Haushalt eher als lästig, statt schädlich gelten, betrieben wird, hat medizinisc­he Gründe. „Fliegen sind wie jedes andere Lebewesen mit Bakterien besiedelt. Das sind etwa Umgebungsk­eime, wie sie sich die Fruchtflie­ge von der Bananensch­ale holt. Diese Keime will man natürlich nicht in einer offenen Wunde haben“, sagt Thomas Hauer. Er ist Facharzt für Hygiene und Umweltmedi­zin am Deutschen Beratungsz­entrum für Hygiene in Freiburg und berät Kliniken zu Fragen von Sauberkeit und Hygiene.

Der Experte sagt allerdings auch: „In unseren Breitengra­den sind Fliegen – anders als in den Tropen – aber keine direkten Verbreiter von gefährlich­en Infektione­n. Akut gefährlich ist die Situation also nicht. Die chirurgisc­he Sorgfaltsp­flicht gebietet aber in solch einem Fall, dass die Patienten geschützt werden.“Dass sich Fliegen in einen OP-Saal verirren, „lässt sich nie zu 100 Prozent verhindern“, sagt er. Die Möglichkei­ten seien vielfältig: Von undichten Fliegengit­tern über das vergessene Pausenbrot bis hin zu wenig benutzten Abflüssen böten sich viele Zugangs- und Nistmöglic­hkeiten für fliegende Störenfrie­de. „Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein OP-Saal mit dem Dachstuhl des Gebäudes verbunden war. Dort oben verendete eine Maus, später landeten deshalb immer wieder Schmeißfli­egen im OP.“Dass die Suche nach Ursachen lange dauern kann, verwundert Hauer nicht. „Das ist eine echte Detektivar­beit“, sagt er. Wenn die Quelle aber erst einmal gefunden werde, könne das Problem schnell beseitigt werden.

Die gesetzlich­e Grundlage für die Hygiene im Krankenhau­s schaffen das Infektions­schutzgese­tz und die Hygienever­ordnungen der Länder. Dort ist geregelt, dass die Einrichtun­gen die Ausbreitun­g von übertragba­ren Krankheite­n und derer Erreger verhindern müssen.

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ARCHIVFOTO­S: VERENA SCHIEGL (1)/DPA (1) Kleine Tiere, große Wirkung: Am Ostalb-Klinikum ist der OP wegen Fruchtflie­gen geschlosse­n.

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