Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Keine einvernehmliche Lösung für die Gäubahn in Sicht
„Faktencheck“legt Streit zwischen Bahn, Stadt Stuttgart und Anrainern in Südwürttemberg erneut offen
RAVENSBURG - Die Anrainer der Gäubahn im Süden von Baden-Württemberg dürften jahrelang ihre Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof verlieren. Warum das aus ihrer Sicht unumgänglich ist, haben Vertreter der Deutschen Bahn am Freitag beim sogenannten „Faktencheck“zur Gäubahn in Stuttgart deutlich gemacht. Fahrgastverbände und Kommunalvertreter aus Städten wie Singen, Tuttlingen, Rottweil und Horb sind verstimmt.
Die Gäubahn-Züge aus Zürich und Singen werden auf dem Weg nach Stuttgart voraussichtlich ab Sommer 2025 in Stuttgart-Vaihingen enden. Das liegt an Stuttgart 21: Wenn der Hauptbahnhof unter der Erde verschwindet, wird das Gleisvorfeld nördlich des bisherigen Kopfbahnhofs nicht mehr benötigt – die Stadt Stuttgart möchte die Flächen für Bauprojekte gewinnen. Die Gäubahn soll langfristig durch den noch zu bauenden Pfaffensteigtunnel zum Flughafen und von dort zum Hauptbahnhof geführt werden. Der Tunnel wird aber frühestens in zehn Jahren eröffnet.
Beim „Faktenchek“, zu dem der Interessenverband Gäubahn eingeladen hatte, ging es nun darum, wie die Übergangszeit für die Anrainer der Gäubahn von Böblingen bis hinunter nach Singen erträglicher gestaltet werden kann. „Toll findet das niemand“, hatte der Vorsitzende des Interessenverbands,
der Tuttlinger Landtagsabgeordnete Guido Wolf (CDU), schon im Sommer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“über die Pläne der Bahn gesagt, die Gäubahn zu kappen. Darum nun der Faktencheck: „Wir wollten zeigen, dass es mehr als nur diese Option gibt“, so Wolf.
Kritiker aus den Reihen der Gäubahn-Anrainer und von Umweltverbänden monierten allerdings, dass die Veranstaltung nicht unvoreingenommen sei. Man erkenne „leider mehr als deutlich, dass die einzige Variante, die für uns Gäubahn-Anlieger keine massiven Nachteile bringen würde, sichtlich nicht gewünscht ist“, sagte etwa Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck (CDU) – bezogen auf die Aufrechterhaltung einer Direktanbindung an den Hauptbahnhof.
Neben der Endstation für den Fernverkehr in Vaihingen, der eine Anbindung an die Stuttgarter Innenstadt per S-Bahn sicherstellen soll, ist ein zusätzlicher Nordhalt im Gespräch – der läge am nördlichen Ende des jetzigen Gleisfeldes und könnte einen weiteren Anknüpfungspunkt an den Stuttgarter Nahverkehr bilden. Bis dorthin könnten zumindest Nahverkehrszüge weiterfahren, lautet eine Idee. Möglich wird dies, weil die sogenannte Panoramabahn – das ist der nördlichste Teil der Gäubahn auf Stuttgarter Stadtgebiet – einem Gutachten zufolge auch ohne direkte Gleisanbindung an den Hauptbahnhof einen Nutzen hätte und erhalten werden könnte. Im Gespräch ist auch, die S-Bahn bis Horb zu verlängern. Bislang ist Herrenberg die Endstation. Zumindest aus Orten zwischen Horb und Herrenberg könnten dann Fahrgäste über die bestehende S-Bahn-Trasse ins Stuttgarter Zentrum gelangen, so die Überlegung. Bahnfahrer aus Regionen weiter im Süden hätten davon aber nichts. Für den Tuttlinger OB Beck ist diese Idee daher „keine Option“: „Zum einen gäbe es auch hier für alle Fahrgäste
aus dem Süden des Landes einen weiteren Umsteigevorgang, vor allem aber würde man den Fernverkehr in SBahn-Züge packen, die dafür nicht gebaut sind. Das fängt bei den fehlenden Toiletten an.“Dagegen verwies der Interessenverbands-Vorsitzende Wolf nach dem „Faktencheck“auf die Idee, eine S-Bahn könnte nicht nur bis Horb, sondern gleich bis Singen verlängert werden.
Umwelt- und Fahrgastverbände setzen weiterhin darauf, dass die Gäubahn-Gleise zum Hauptbahnhof doch nicht abgebaut werden. Die Hoffnungen von Matthias Lieb, dem Landesvorsitzenden des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), ruhen auf dem Eisenbahn-Bundesamt. Der Behörde liegt ein Antrag vor, die umsteigefreie Anbindung der Gäubahn an den Hauptbahnhof weiter zu gewährleisten. Die Deutsche Bahn habe für diese eine „Betriebspflicht“– zu diesem Ergebnis kommen inzwischen drei juristische Gutachten. Die Bahn ist anderer Auffassung, die Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes steht aus.
Sollte die Anbindung der Gäubahn doch gekappt werden, wäre die zweitbeste Option für Lieb eine Kombination aus S-Bahn-Verlängerung und Umsteigebahnhof in Vaihingen. Die ebenfalls diskutierten Varianten, die Gäubahn-Züge entweder über Renningen oder über Tübingen umzuleiten, scheiden laut Lieb dagegen wohl aus. Die Fahrt dauere zu lange und erzeuge zu viele Engpässe im Schienennetz.