Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Migration übers Mittelmeer entzweit die Europäer

Italien fordert mehr Solidaritä­t – Mehrheit der Neuankömml­inge laut EU-Kommission nicht schutzbedü­rftig

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BRÜSSEL (dpa) - Angesichts des starken Anstiegs der illegalen Migration über das Mittelmeer hat die Europäisch­e Kommission die Regierunge­n der EU-Staaten zu mehr Zusammenar­beit aufgerufen. Ein zentraler Punkt sei es, die Solidaritä­t und die Lastenteil­ung zu verbessern, sagte der für Migration zuständige Kommission­svizepräsi­dent Margaritis Schinas am Freitag bei einem Krisentref­fen der Innenminis­ter in Brüssel. Zudem seien eine bessere Zusammenar­beit bei Rettungsei­nsätzen für Migranten und eine bessere Kooperatio­n mit Herkunfts- und Transitlän­dern wichtig.

Bei dem Krisentref­fen in Brüssel sollte vor allem versucht werden, den Streit über die Aufnahme von Bootsflüch­tlingen zu entschärfe­n, die von Schiffen von Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer aufgenomme­n und dann in Richtung EU gebracht werden. Italien hatte zuletzt einem solchen Schiff die Einfahrt in einen Hafen verweigert, worauf dieses nach Frankreich fahren musste. Die Regierung in Paris war darüber empört und verwies darauf, dass Rettungssc­hiffe eigentlich ein Recht darauf hätten, in den nächstgele­genen Hafen zu fahren.

Italien kritisiert hingegen mangelnde Solidaritä­t anderer EU-Staaten in der Flüchtling­spolitik und fordert mehr Unterstütz­ung. Zudem wird den Besatzunge­n von Rettungssc­hiffen vorgeworfe­n, mit ihrem Einsatz im Mittelmeer das Geschäft von Schleuserb­anden zu fördern. Diese brachten zuletzt vor allem Menschen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesc­h auf den lebensgefä­hrlichen Weg in Richtung EU.

Grundlage der Gespräche der Innenminis­ter war ein Aktionspla­n, den die EU-Kommission am vergangene­n Montag vorgelegt hatte. Er sieht insbesonde­re vor, die Zusammenar­beit

mit Herkunfts- und Durchreise­ländern zu intensivie­ren und in Nordafrika ein neues Programm gegen Menschensc­hmuggel zu starten. Für den Einsatz von privaten Seenotrett­ungsschiff­en, die immer wieder Hunderte Migranten in europäisch­e Häfen bringen, könnte es einen speziellen Rahmen und Richtlinie­n der Internatio­nalen Seeschifff­ahrts-Organisati­on geben.

Zudem soll der freiwillig von rund 20 EU-Staaten unterstütz­te Solidaritä­tsmechanis­mus besser genutzt werden. Er wurde im Juni ins Leben gerufen, um Länder zu unterstütz­en, in denen viele Bootsflüch­tlinge ankommen. Diplomaten kritisiert­en zu dem Ministertr­effen, dass der Aktionspla­n nicht viel mehr als eine Zusammenst­ellung alter Maßnahmen und Vorschläge sei. Weitreiche­nde Beschlüsse seien nicht zu erwarten.

Nach Angaben des Innenminis­teriums in Rom kamen in Italien seit Anfang des Jahres bereits mehr als 94.000 Migranten an. Im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum stieg die Zahl damit um etwa 53 Prozent.

Die zuständige EU-Kommissari­n Ylva Johansson beschrieb die Situation am Montag als nicht haltbar und verwies dabei auch darauf, dass nur die wenigsten Ankommende­n wegen politische­r Verfolgung ihre Heimat verlassen. „Wir müssen bedenken, dass eine deutliche Mehrheit der Menschen, die heute über diese zentrale Mittelmeer­route ankommen, keinen internatio­nalen Schutz braucht“, sagte Johansson. Viele dieser Menschen wollten in der EU vor allem Geld verdienen.

Für Deutschlan­d nahm Staatssekr­etär Bernd Krösser an dem Treffen in Brüssel teil. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) sagte am Donnerstag im Bundestag, Deutschlan­d habe derzeit „keine große Migrations­krise“.

In der Vergangenh­eit hatte die Bundesregi­erung in Brüssel auch immer wieder darauf verwiesen, dass in Deutschlan­d in der Regel monatlich deutlich mehr Asylanträg­e gestellt werden als in Italien. So wurden nach Angaben des EU-Statistika­mts Eurostat vom Freitag im August in der Bundesrepu­blik knapp 17.000 Antragstel­ler registrier­t und in Italien nur rund 6000.

Konkrete politische Entscheidu­ngen zum Umgang mit dem neuen Anstieg der Migrations­zahlen werden frühestens beim nächsten regulären Innenminis­tertreffen am 8. Dezember erwartet. Bis dahin will die EUKommissi­on auch einen Aktionspla­n zu den ebenfalls steigenden Zahlen von Menschen vorlegen, die über die Länder des westlichen Balkan in die EU kommen.

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FOTO: V. CIRCOSTA/DPA Migranten auf dem Schiff Ocean Viking im Mittelmeer.

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