Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Letzte Generation“wird zum Fall fürs Landeskrim­inalamt

Nach der Flughafenb­lockade der Klimaaktiv­isten wird der Ruf nach harten Strafen lauter – Massive Kritik von Politikern aller Couleur

- Von Marion van der Kraats und Fabian Nitschmann

BERLIN (dpa) - Aktivisten in orangen Warnwesten zerschneid­en einen Zaun am Hauptstadt­flughafen und marschiere­n auf das Gelände. Einige von ihnen kleben sich am Boden fest – und legen so den Betrieb am BER in Schönefeld lahm. Die jüngste Aktion der Klima-Protestgru­ppe „Letzte Generation“hat aus Sicht vieler Politiker endgültig eine Stufe erreicht, die nicht mehr hinzunehme­n ist. Berlins Innensenat­orin Iris Spranger (SPD) will bei der Innenminis­terkonfere­nz in der kommenden Woche in München ein länderüber­greifendes Vorgehen ansprechen. Quer durch die politische Landschaft wird die Aktion scharf verurteilt. Am Freitagabe­nd kündigen die Aktivisten dann an, vorerst auf Proteste in Berlin und München zu verzichten. Eine Verschnauf­pause bis Ende kommender Woche, „um die erhitzten Gemüter etwas zu beruhigen“.

Zuvor warnte Senatorin Spranger davor, „diesen Weg der Eskalation weiterzuge­hen“. Ihre Behörde werde „weiter sämtliche rechtsstaa­tlichen Mittel zur Verhinderu­ng dieser Gefahren und im Kampf gegen diese Straftaten ausschöpfe­n“, kündigte die SPD-Politikeri­n an. Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) warb für harte Strafen.

Wenn Leben gefährdet würden und Menschen nicht in den Urlaub könnten, sei das nicht akzeptabel, sagte der Grünen-Vorsitzend­e Omid Nouripour dem Fernsehsen­der Welt. Berlins Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD) nannte die Aktion „vollkommen inakzeptab­el“.

Die CSU im Bundestag forderte eine Änderung des Bundespoli­zeigesetze­s. „Für Straftaten wie die jüngste Störung des Flugbetrie­bs am BER durch sogenannte Klimaaktiv­isten muss auch der Präventivg­ewahrsam im Bundespoli­zeigesetz ausgeweite­t werden“, sagte Andrea Lindholz den Zeitungen der Mediengrup­pe Bayern. Nach Verkehrsbl­ockaden in München befinden sich dort noch 19 Aktivisten in längerem Polizeigew­ahrsam. Das ist aufgrund des Polizeiauf­gabengeset­zes im Freistaat möglich. Danach können Bürger auf Grundlage einer richterlic­hen Entscheidu­ng bis zu einen Monat lang festgehalt­en werden, um die Begehung einer Ordnungswi­drigkeit von erhebliche­r Bedeutung für die Allgemeinh­eit oder eine Straftat zu verhindern.

Berlins Innensenat­orin nannte derweil noch keine Details zu ihren Plänen. Von einem Sprecher hieß es, durch ein gemeinsame­s Vorgehen der Länder sollten Klimademon­stranten nach Möglichkei­t vorab an Aktionen gehindert werden.

Bis Ende kommender Woche wollen die Aktivisten nun von sich aus in Berlin und München keine Aktionen starten. Man hoffe auf Taten in der

Sitzungswo­che des Bundestags, teilte die Gruppe am Freitagabe­nd mit. Gleichzeit­ig warnte sie vor einem Neustart der Proteste mit mehr Schlagkraf­t. Man werde die Zeit nutzen,

Herr Thomae, hat es Sie überrascht, wie leicht es den Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“geglückt ist, in das Flughafeng­elände des BER einzudring­en?

Um sich die öffentlich­e Aufmerksam­keit weiterhin zu sichern, greifen die Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“zu immer spektakulä­reren Aktionen, die aber auch von Mal zu Mal schwerere Taten darstellen. Wenn diese Spirale sich immer weiterdreh­t, will ich mir nicht ausmalen, wo sie noch enden könnte. Bisher war ein Zaun ausreichen­d, um beispielsw­eise einen um „die vielen Menschen, die sich der Bewegung aktuell anschließe­n, ordentlich zu trainieren und einzubinde­n, um mit noch mehr Menschen wiederzuko­mmen“.

In Bayern, wo Sie zu Hause sind, wurde eine Präventivh­aft für

Eskalation, „immer skrupellos­ere“Aktionen (Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing/FDP), vollkommen inakzeptab­el – die Verurteilu­ng der Aktivisten kann drastische­r kaum mehr formuliert werden. „Eine Radikalisi­erung sehe ich nicht, gerade im Vergleich auch zu anderen Protesten wie die Anti-AtomkraftB­ewegung oder die Friedensbe­wegung

in den 70ern“, sagte dagegen die Soziologin Lena Herbers von der Universitä­t Freiburg. Sie bezeichnet­e die Proteste als „überschaub­are Gesetzesüb­ertritte, bewusste punktuelle Rechtsbrüc­he“. Die Gruppe bewege sich in einem demokratis­chen Rahmen, akzeptiere im Kern das System und letztlich auch die Strafen gegen sie.

Zuletzt war die Protestgru­ppe schon nach dem Tod einer Radfahreri­n in Berlin scharf kritisiert worden. Die 44-jährige Frau war am 31. Oktober von einem Betonmisch­er überrollt worden und später gestorben. Ein Spezialfah­rzeug der Feuerwehr, das helfen sollte, die eingeklemm­te Frau zu befreien, steckte in einem Stau nach einem Klima-Protest. Die Staatsanwa­ltschaft Berlin ermittelt auch gegen zwei Aktivisten wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung beziehungs­weise der Behinderun­g hilfeleist­ender Personen.

Nach der Störaktion am Hautpstadt­flughafen BER ermittelt mittlerwei­le das Landeskrim­inalamt Brandenbur­g gegen sechs Aktivisten unter anderem wegen gefährlich­en Eingriffs in den Luftverkeh­r, Störung öffentlich­er Betriebe sowie Hausfriede­nsbruchs und Sachbeschä­digung. Fünf Männer und eine Frau im Alter von 20 bis 32 Jahren seien am Donnerstag bei der Aktion auf dem Flughafeng­elände in Schönefeld festgenomm­en und in Gewahrsam genommen worden, sagte ein Polizeispr­echer. Einer der Männer sei auf richterlic­hen Beschluss weiterhin dort. Die anderen Beschuldig­ten sind nach seinen Angaben wieder auf freiem Fuß.

In Folge der Aktion wurde der Betrieb auf Start- und Landebahne­n für etwa eineinhalb Stunden gestoppt. Fünf Starts mussten nach Angaben des Flughafens gestrichen werden. 15 geplante Landungen wurden demnach etwa nach Leipzig und Dresden umgeleitet.

Am Freitagmor­gen lief der Betrieb nach Angaben des Flughafens dann wieder normal. Die Flughafeng­esellschaf­t kündigte an, das Sicherheit­skonzept des Hauptstadt­flughafens zu überprüfen. Bundesverk­ehrsminist­er Wissing rief die Polizei dazu auf, den Vorfall genau aufzuarbei­ten. Für die Zukunft müsse die Frage gestellt werden, was genau zu tun wäre, um derartige Vorfälle zu vermeiden. Der Vorsitzend­e der FDP-Bundestags­fraktion, Christian Dürr, forderte eine Sicherheit­süberprüfu­ng aller Flughäfen.

Berlins Flughafens­precher JanPeter Haak betonte, der knapp 30 Kilometer lange Sicherheit­szaun entlang des Flughafeng­eländes in Schönefeld entspreche gesetzlich­en Vorgaben nach dem Luftsicher­heitsgeset­z. Er sei mit einer Alarmanlag­e ausgestatt­et und es gebe eine Videoüberw­achung für das Flughafeng­elände, das etwa 2000 Fußballfel­dern entspreche.

 ?? FOTO: LENNART PREISS/DPA ?? Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“hatten sich auf dem Hauptstadt­flughafen BER in Schönefeld festgekleb­t – damit sorgten sie nicht nur für Flugausfäl­le, sondern lösten auch Diskussion­en in der Politik um härtere Strafen für derartige Proteste aus.
FOTO: LENNART PREISS/DPA Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“hatten sich auf dem Hauptstadt­flughafen BER in Schönefeld festgekleb­t – damit sorgten sie nicht nur für Flugausfäl­le, sondern lösten auch Diskussion­en in der Politik um härtere Strafen für derartige Proteste aus.
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