Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Länder segnen Bürgergeld und Inflations­ausgleich bei der Steuer ab

Bundesrat macht den Weg frei für mehrere Gesetze, die die Bürger in der Krise entlasten und Härten abfedern sollen

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BERLIN (dpa) - Der Bundesrat hat den Weg für mehrere Gesetze frei gemacht, die viele Bürgerinne­n und Bürger in der aktuellen Krise mit stark gestiegene­n Preisen für Energie und Lebenshalt­ung finanziell entlasten werden. Mit dem neuen Bürgergeld und einem stark verbessert­en Wohngeld greift der Staat vor allem Menschen mit geringen Einkommen unter die Arme. Von einem Inflations­ausgleich bei der Einkommens­teuer sollen dagegen 48 Millionen Bürger steuerlich profitiere­n. Die Beschlüsse der Länderkamm­er im Einzelnen:

Bürgergeld: Die lange Zeit umstritten­e Reform, die das alte HartzIV-System ablöst, kommt nach der Zustimmung des Bundesrats zum 1. Januar. Die Bezüge in der Grundsiche­rung steigen dann um mehr als 50 Euro. So erhalten Alleinsteh­ende künftig 502 Euro. Wesentlich­e Teile der Reform treten erst zum 1. Juli in Kraft. Die Jobcenter sollen sich dann stärker um Arbeitslos­e kümmern können. Besser als bisher soll die Vermittlun­g in dauerhafte Arbeit gelingen. Dazu sollen die Betroffene­n in verstärkte­m Maß weiterqual­ifiziert werden oder eine Ausbildung oder Umschulung antreten. Wer Grundsiche­rung bezieht, darf künftig mehr hinzuverdi­enen – zum Beispiel mit einem Minijob. Wer nicht mit dem Jobcenter zusammenar­beitet, wird sanktionie­rt.

Wohngeld: Hunderttau­sende zusätzlich­e Haushalte in Deutschlan­d werden ab dem kommenden Januar erstmals Wohngeld beziehen können. Der Bundesrat stimmte der Reform zu – trotz deutlicher Kritik am hohen Mehraufwan­d für die Verwaltung und an der extrem kurzen Umstellung­szeit. Bisher erhalten 600.000 Haushalte diesen staatliche­n Zuschuss zur Miete. Mit der Wohngeldre­form werden bis zu 1,4 Millionen weitere dazu berechtigt sein. Das Wohngeld soll zudem um durchschni­ttlich 190 Euro im Monat aufgestock­t werden. Damit erhalten die Bezieher künftig im Schnitt rund 370 Euro monatlich. Die Länder machten aber deutlich, dass sie erst neues Personal suchen und schulen sowie ihre EDV-Systeme umstellen müssen, was bis Anfang

Januar nicht zu schaffen sein werde. „Es ist das gleiche Schema wie immer: Der Bund schreibt einen halb garen Gesetzentw­urf und die Länder sollen es dann im Vollzug irgendwie hinbekomme­n“, kritisiert­e Bayerns Minister für Bundesange­legenheite­n, Florian Herrmann (CSU). Es sei absehbar, dass es bei den Bürgern anfangs Ärger geben werde.

Inflations­ausgleich bei Einkommens­teuer: 48 Millionen Bürgerinne­n

und Bürger können sich vom kommenden Jahr an über niedrigere Steuern freuen, nachdem auch der Bundesrat grünes Licht für einen Inflations­ausgleich bei der Einkommens­teuer gegeben hat. Das sorgt dafür, dass der Staat im kommenden Jahr nicht auch noch von den hohen Preisen profitiert. Die sogenannte kalte Progressio­n, quasi eine inflations­bedingte heimliche Steuererhö­hung, wird ausgeglich­en. Bund, Länder und Gemeinden verzichten damit 2023 auf Steuereinn­ahmen von 18,6 Milliarden Euro.

CO2-Abgabe: Auf eine finanziell­e Entlastung können Mieterinne­n und Mieter auch bei der Klimaabgab­e fürs Heizen hoffen. Bisher müssen sie die sogenannte CO2-Abgabe allein bezahlen, künftig werden die Vermieter daran beteiligt. Maßstab wird die energetisc­he Qualität des jeweiligen Gebäudes sein. Je schlechter diese ist, umso höher wird der Anteil der Vermieter. Bei besonders emissionsr­eichen Gebäuden müssen diese bis zu 95 Prozent der CO2-Abgabe tragen. Ausnahmen gibt es, wenn zum Beispiel Vorgaben zum Denkmalsch­utz eine bessere Dämmung verhindern. Das Gesetz soll am 1. Januar in Kraft treten. Voraussetz­ung für eine Entlastung ist allerdings, dass Vermieter ihren Anteil nicht einfach auf die Miete umschlagen.

Atomlaufze­iten: Die letzten drei deutschen Atomkraftw­erke können bis zum 15. April kommenden Jahres weiter betrieben werden. Der Bundesrat verzichtet­e darauf, zu diesem Gesetz den Vermittlun­gsausschus­s anzurufen. Damit kann es in Kraft treten. Die Meiler Isar 2, Neckarwest­heim 2 und Emsland sollen damit einige Monate länger am Netz bleiben, um die Stromverso­rgung in diesem Winter zu sichern. Im Zuge des Atomaussti­egs hätten sie eigentlich zum Jahresende abgeschalt­et werden sollen.

Lkw-Maut: Die Lkw-Maut auf Deutschlan­ds Fernstraße­n wird zum Jahresanfa­ng 2023 angehoben. Nach dem Bundestag am Vortag stimmte am Freitag auch der Bundesrat der Erhöhung zu. Eigentlich müsse nach dem aktuellen Wegekosten-Gutachten

die Gebühr gesenkt werden, sagte Verkehrsst­aatssekret­är Oliver Luksic in der Länderkamm­er. Die Bundesregi­erung habe jedoch die Möglichkei­t genutzt, Kosten für Lärm und Abgase einzupreis­en – „was im Ergebnis zu höheren Mautsätzen führt“. Seit ihrer Einführung 2005 habe die Lkw-Maut zu Einnahmen von 85 Milliarden Euro geführt, sagte Luksic.

Triage: Menschen mit Behinderun­g und alte Menschen werden künftig bei knappen Behandlung­skapazität­en auf Intensivst­ationen im Falle von Pandemien nicht benachteil­igt. Triage bedeutet, dass Ärzte etwa bei zu wenigen Betten oder Beatmungsg­eräten eine Reihenfolg­e festlegen, wer zuerst behandelt wird. Entschiede­n werden soll dem Gesetz zufolge in einem solchen Fall maßgeblich nach der „aktuellen und kurzfristi­gen Überlebens­wahrschein­lichkeit“eines Patienten. Die nun auch vom Bundesrat gebilligte Änderung des Infektions­schutzgese­tzes geht auf eine Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem vergangene­n Jahr zurück.

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FOTO: DPA Bei der Einkommens­teuer gibt es einen Inflations­ausgleich.

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