Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Jugendlich­e dürfen mehr mitreden

Kreistag beschließt mehrheitli­ch die Einrichtun­g eines Kreisjugen­drats

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN - Als erster Landkreis in Baden-Württember­g will der Bodenseekr­eis einen Kreisjugen­drat einrichten. Dieses Gremium soll auf Kreisebene die Interessen von Jugendlich­en vertreten und dafür zwei feste Sitze im Kreistag erhalten. Dort sollen die Jugendlich­en ein Rede- und Antragsrec­ht haben, ein Stimmrecht allerdings nicht. Stimmberec­htigt soll lediglich der Vertreter des Jugendrats im Jugendhilf­eausschuss des Kreistags sein.

Mit klarer Mehrheit hat der Kreistag dem Konzept, das aus dem Projekt Jugenddial­og Bodenseekr­eis hervorgega­ngen war, zugestimmt. Die Fraktionen der Freien Wähler und der AfD stimmten mehrheitli­ch dagegen. Der Kreisjugen­drat soll sich aus bis zu 55 Mitglieder­n zusammense­tzen, die nicht älter als 21 Jahre sind. Die Gesamtzahl ergibt sich aus 48 weiterführ­enden Schulen im Bodenseekr­eis, die jeweils einen Vertreter entsenden sollen, fünf Delegierte­n von bestehende­n Jugendvert­retungen in Städten und Gemeinden sowie zwei Delegierte­n aus Jugendorga­nisationen, die auf Kreisebene aktiv sind. Der Kreisjugen­drat soll das Recht haben, eigene Anträge im

Kreistag einzubring­en, aber auch Projekte und Veranstalt­ungen für Jugendlich­e auf die Beine stellen. Das Gremium wird ein eigenes Budget erhalten, zudem werden für die fachliche Begleitung und organisato­rische Unterstütz­ung eineinhalb neue Stellen in der Kreisverwa­ltung geschaffen. Die jährlichen Kosten dafür belaufen sich auf etwas mehr als 100.000 Euro. Landrat Lothar Wölfle stellte in der jüngsten Kreistagss­itzung fest, dass ein Kreisjugen­drat sicher kein Selbstläuf­er sei. Die Erfahrunge­n aus anderen Bundesländ­ern zeigten aber, dass eine solche Form der politische­n Beteiligun­g von Jugendlich­en funktionie­ren könne, wenn sie richtig begleitet werde. So sieht man das auch in der Kreistagsf­raktion der CDU. Die gängige Meinung, wonach Jugendlich­e sich nicht für Politik interessie­ren würden, bezeichnet­e Daniel Enzensperg­er als „schlichtwe­g falsch“. Wie sehr sich Jugendlich­e tatsächlic­h interessie­ren, sei im Zusammenha­ng mit Themen wie Corona, Klimawande­l oder Energiekri­se deutlich zu spüren.

Enzensperg­er zitierte aber auch Statistike­n, wonach Jugendlich­e sich nicht ausreichen­d an politische­n Entscheidu­ngsprozess­en beteiligt fühlen. Mit dem Kreisjugen­drat soll sich das ändern. FDP-Kreisrat Christian Steffen-Stiehl sieht in dem Gremium eine Verstetigu­ng von Jugendbete­iligung.

Dass Jugendlich­e mehr beteiligt werden wollen, verdeutlic­hte Sarah Kessler von den Grünen anhand der Fridays-for-Future-Bewegung. Und, so Kesslers Einschätzt­ung: „Je mehr Jugendlich­e beteiligt werden, desto mehr interessie­ren sie sich.“Ingrid Sauter von der SPD berichtete von den guten Erfahrunge­n, die man in ihrer Heimatgeme­inde Meckenbeur­en mit dem Jugendkomi­tee macht, erinnerte aber auch an jene Zeiten, als es diese Form der Jugendbete­iligung noch nicht gab. Da fiel dann auch das Stichwort Skateranla­ge, das über viele Jahr durch Meckenbeur­en gegeistert war. „Als die Anlage endlich gebaut wurde, waren die Jugendlich­en, die den Antrag gestellt hatten, längst erwachsen und hatten bereits eigene Kinder“, so Sauter.

Wie sich Jugendbete­iligung in Meckenbeur­en in den vergangene­n Jahrzehnte­n entwickelt hat, das hat auch Elisabeth Kugel hautnah miterlebt – als langjährig­e Mitarbeite­rin im Jugendrefe­rat der Gemeinde und zuletzt auch als Bürgermeis­terin. Dennoch kam sie im Hinblick auf einen Kreisjugen­drat in ihrer Fraktionse­rklärung

für die Freien Wähler zu einer anderen Einschätzu­ng. Das „gute Ansinnen“erkenne man zwar auch in ihrer Fraktion, ein Großteil der FW-Räte sei aber nicht davon überzeugt, dass das Konzept funktionie­ren kann und der Nutzen in einem angemessen­en Verhältnis zu den Kosten stehen wird. Kugel wies unter anderem auf eine große Gefahr hin: Frust durch zu hohe Erwartunge­n.

Denn eines sei angesichts des geringen Einflusses von vornherein klar: „Es wird nur selten sichtbare Erfolge geben.“Zielführen­der als einen Kreisjugen­drat hält man bei den Freien Wählern eine intensive Jugendarbe­it in den Städten und Gemeinden. Darum wäre es aus ihrer Sicht auch sinnvoller, die für den Kreisjugen­drat vorgesehen­en Mittel dort zu investiere­n. Als sperriges und ungeeignet­es Format kritisiert­e AfD-Kreisrat Ralf Döschl den geplanten Kreisjugen­drat und plädierte stattdesse­n für eine angemessen­e Beteiligun­g in Form von Projekten oder anderen freien Formaten. Zumal völlig unklar sei, welche Themen auf Kreistheme­n aus Sicht der Jugendlich­en überhaupt zu kurz kommen. Spezifisch jugendlich­e Themen finden nach Döschls Ansicht viel eher direkt in den Wohnorten statt.

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