Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kampf um Azubis verschärft sich
Chancen für Ausbildungsplatz waren nie besser – Warnung vor Kehrseite
LANDKREIS RAVENSBURG - Immer mehr Betriebe in der Region suchen Auszubildende. Die Zahl der Stellen steigt. Das sagen der Geschäftsführer der Agentur für Arbeit KonstanzRavensburg, Mathias Auch, und der Präsident der Handwerkskammer Ulm, Joachim Krimmer, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Zahl der Bewerber stagniert allerdings. Unter anderem Handwerksbetriebe tun sich immer schwerer, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.
Zu den Zahlen: Zum 30. September 2022 gab es 5570 angebotene Ausbildungsplätze in den Landkreisen Ravensburg, Konstanz und dem Bodenseekreis. Das sind 322 Stellen mehr als im Vorjahr. Die Anzahl der Bewerber blieb allerdings fast gleich. Sie stieg um lediglich drei Azubis auf 2458. In der Relation gebe es zwischen den drei Landkreisen keine signifikanten Unterschiede, so Auch.
Dass es mehr Stellen als Bewerber gibt, ist nichts Neues. „Das war in unserer Region schon vor zehn Jahren so“, erklärt Mathias Auch. Dennoch warnt er: „Die Schere geht immer weiter auseinander.“Insbesondere die Corona-Krise sei immer noch bemerkbar. „Wir konnten zwei Jahre lang kaum Ausbildungsmessen, Praktika und Schulbesuche machen“, erinnert Handwerkspräsident Joachim Krimmer, der in seinem Leutkircher Heinzungs- und Sanitärbetrieb seit Jahrzehnten ausbildet. Mehr als ein Viertel der Ausbildungsplätze in der Region stellt das Handwerk.
Und in diesem Bereich stehen personelle Herausforderungen an, so Krimmer. „Es ist doch ganz klar. In jedem Betrieb gehen zurzeit gute Leute in Rente, das sind starke Jahrgänge.“Deshalb würden Azubis mehr denn je gesucht. Das gilt nicht nur für den neuen Ausbildungsstart im nächsten Sommer. „Die Chancen waren noch nie so gut, auch jetzt nach dem Start noch einen Ausbildungsplatz zu bekommen“, wirbt Arbeitsagenturchef Auch. „Das Spiel ist also noch nicht aus, nur in der Verlängerung. Da geht noch was.“Die Aussichten auf einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz seien für Gesellen nach wie vor „exzellent“, so Auch. Joachim Krimmer erzählt, es gebe einen Spruch, der egal, wie der Arbeitsmarkt sich entwickelt, seit Jahrzehnten gelte: „Es gibt keinen arbeitslosen Handwerksmeister.“
Dass es diesen Bedarf auch in Zukunft gebe, führt der Kammerpräsident unter anderem auf die Energiewende zurück. „Das kann nur gelingen, wenn es Fachkräfte gibt, die eine PV-Anlage montieren können, wenn jemand die Wärmepumpe einbauen kann.“Und er nennt ein Beispiel aus seiner Profession, das zeigen soll, dass das Handwerk nicht „der Flaschenhals“bei der Modernisierung sei: „Die Hersteller von Heizungen haben in den vergangenen Jahren vielleicht zu 20 Prozent Wärmepumpen hergestellt, zum Großteil aber Gasbrenner. Das dauert natürlich, bis sich so eine Industrie umstellen muss.“Der Handwerker allein sei nicht verantwortlich für lange Wartezeiten bei den Kunden.
Wenn also die Chancen und Berufsaussichten so gut sind, wieso gibt es dann derart viel mehr Ausbildungsplätze als Bewerber – gerade im Handwerk? Joachim Krimmer führt das auf Unterschiede in der öffentlichen Anerkennung zwischen akademischem Grad und handwerklicher Qulifikation zurück. „Wir bekommen für diesen Satz teils heftige Kritik, aber ich stehe dazu“, holt er aus: „Kinder wollen Handwerker werden, bis es ihnen die akademischen Eltern ausreden.“
Es gebe aber auch ganz praktische Nachteile, die aus Krimmers Sicht abgeschafft gehören: „Wenn einer seinen Meister macht und dafür Geld bezahlt, dann darf er an der Kinokasse oder im ÖPNV nicht finanziell benachteiligt werden gegenüber einem Studenten.“Die Handwerkskammer Ulm habe deshalb angefangen, Studentenausweise für ihre Meisterschüler auszustellen, und hofft, ihnen damit Vorteile zu verschaffen.