Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das Drama geht weiter
Trotz des Auftaktsiegs über Serbien überwiegen beim Brasilien die Sorgen um Neymar – Superstar fällt vorerst aus
LUSAIL (dpa) - Da war es wieder, das Drama in Person. Diesmal humpelte Neymar mit goldenen Kopfhörern auf den Ohren durch die Katakomben des Lusail Stadions, die Unterschenkel steckten in schwarzen Kompressionsstrümpfen. Den Blick hielt er gesenkt, ernste Miene, zur Schwere seiner Sprunggelenksverletzung wollte er nichts sagen. Auch deshalb fragen sich nun nicht nur die Brasilianer: War’s das schon mit der WM? Geht der persönliche Turnierfluch des 30 Jahre alten Superstars weiter? Sicher war am Freitag zunächst nur: Im nächsten Spiel am Montag gegen die Schweiz steht er der Seleção wegen einer Bänderverletzung nicht zur Verfügung.
Gleiches gilt für Rechtsverteidiger Danilo, der sich beim 2:0-Auftaktsieg gegen Serbien ebenfalls am Sprunggelenk verletzt hatte. „Aber sie bleiben für die WM in Behandlung“, sagte Teamarzt Rodrigo Lasmar am Freitag. Wie lange die beiden Profis genau ausfallen, bleibt unklar. Brasilianische Medien berichteten übereinstimmend, dass sogar die komplette Gruppenphase für sie gelaufen sei.
Eine erste Diagnose zu Neymar hatte es schon unmittelbar nach dem Spiel gegeben: Fußgelenk geschwollen und ein Ödem. Die Verletzung passt zum persönlichen Turnierfluch des Superstars: Beim Heim-Turnier 2014 hatte ihm der Kolumbianer Juan Camilo Zúñiga sein Knie derart heftig in den Rücken gerammt, dass er sich einen Wirbelbruch zuzog. Neymar verpasste das 1:7 gegen Deutschland im Halbfinale. 2018 reiste er nach einem Mittelfußbruch alles andere als in Topform zum Turnier in Russland, wo er primär durch seine Fallsucht auffiel. Brasilien schied im Viertelfinale aus. Beim Gewinn der Copa América 2019 fehlte er verletzt. Und jetzt? „Wir sind zuversichtlich, dass er bei dieser WM weiterspielen kann. Er wird diese WM fortsetzen“, hatte Nationaltrainer Tite trotzig angekündigt. Ob das tatsächlich so ist, werden aber erst die nächsten Tage zeigen.
An personellen Alternativen würde es Tite nicht mangeln. Als Neymar im Auftaktmatch verletzungsbedingt raus musste, brachte der 61-Jährige den ebenfalls hoch veranlagten Dribbelkünstler Antony von Manchester United. Außerdem wären da noch Rodrygo von Real Madrid, Gabriel Martinelli oder Gabriel Jesus vom FC Arsenal und der ebenfalls für Man United spielende Fred. Und dass Brasilien auch ohne Neymar große Titel gewinnen kann, ist spätestens seit der Copa vor drei Jahren klar. Trotzdem bangt die Seleção. „Wir hoffen, dass es nichts Großes ist“, sagte Kapitän Thiago Silva. „Es ist normal, dass er ein bisschen traurig ist angesichts der Situation. Wir sind bei ihm.“
Und auch ohne ihren Superstar sind die Brasilianer auf dem besten Weg Richtung Achtelfinale – was vor allem an Richarlison liegt. Mit einem Doppelpack hatte der Angreifer der Tottenham Hotspur die Serben praktisch im Alleingang besiegt. Sein erster Treffer (62. Minute) war ein trockener Abstauber, der zweite dafür umso spektakulärer. Auf Vorarbeit von Vincius Júnior legte er sich den Ball selbst hoch und hämmerte ihn anschließend per Seitfallzieher ins Netz. „Ich denke, das war eines der schönsten Tore, die ich je geschossen habe“, sagte er. Es wird auch sicher eines der schönsten dieses Turniers bleiben. Trotzdem drehte sich wieder einmal fast alles um Neymar.