Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Jetzt zeigt sich der Charakter des Teams“

Holger Badstuber wurde 2010 mit dem DFB-Team Dritter bei der WM und fordert nun Grundtugen­den – Europa hätte Flagge zeigen müssen

- Von Felix Alex

RAVENSBURG - Er holte sechs deutsche Meistersch­aften mit dem FC Bayern München, stieg mit dem VfB Stuttgart in die Bundesliga auf und nahm mit dem DFB-Team an der WM 2010 und der EM 2012 teil, dennoch denken viele Fans bei seinem Namen vor allem an schwere Verletzung­en: Die Rede ist von Holger Badstuber. Doch kämpfte sich der Mann aus Rot an der Rot (Landkreis Biberach) immer wieder auf den Platz zurück, war Leistungst­räger und Anführer beim VfB und auch beim FC Luzern, wo er vor etwa drei Monaten seine Karriere beendete. Mit der „Schwäbisch­en Zeitung“hat der 33-Jährige über die Chancen der Nationalma­nnschaft auf ein Weiterkomm­en, die VfB-Krise und neue Freiheiten geredet.

Herr Badstuber, Fußball-Deutschlan­d ist schon nach einem Spiel recht pessimisti­sch was die WM angeht. Alles andere als ein Sieg gegen Spanien dürfte das zweite Vorrunden-Aus in Folge bedeuten. Sind Sie Optimist oder sehen Sie nach dem Fehlerfest­ival gegen Japan schwarz fürs DFB-Team?

Grundsätzl­ich bin ich mein ganzes Leben schon ein Optimist. Es wird gegen einen Gegner, der mit dem 7:0 sehr, sehr gut ins Turnier gestartet ist und vor Selbstvert­rauen strotzt, aber eine schwere Aufgabe. Man muss den Spaniern mit den deutschen Grundtugen­den den Schneid abkaufen: Laufen, Kämpfen, Emotionen. Alles andere als eine Jetzt-oder-garnicht-Einstellun­g würde ohnehin das Aus beim Turnier bedeuten. Es könnte auch ein Vorteil sein, dass sich die Spanier nach dem Kantersieg schon zu sicher fühlen.

Hatten Sie bei dem Japan-Auftritt das Gefühl, dass die Mannschaft nicht fokussiert war, dass schlicht Qualität fehlte oder ist es manchmal einfach ein bisschen Pech? Grundsätzl­ich war durch die Begleitums­tände schon Unruhe im Vorfeld vorhanden, doch waren die Fehler zu eklatant. Aufgrund der letzten 25 Minuten war Japan der verdiente Sieger. Das alles hätte allerdings nie passieren dürfen. Die Fehlerkett­en waren zu heftig und dann kann auch ein Manuel Neuer nicht mehr alles retten. Schon bei den letzten Länderspie­len war zu erkennen, dass es gewisse Parameter gibt, die man hätte schleunigs­t aufarbeite­n müssen – aber das haben sie nicht geschafft.

Als ehemaliger Verteidige­r können Sie sicher nachvollzi­ehen, was jetzt auf Niklas Süle und Co. hereingebr­ochen ist. Was benötigt so ein verunsiche­rtes Team wie der DFB? Weiter den lieben Flick?

Jetzt zeigt sich der Charakter des Teams. Die Spieler bekommen das ja zu Recht ab, weil die Erwartungs­haltung eine viel höhere war. Es muss nun klar erkennbar sein, dass sie dagegen halten und das ausmerzen wollen. Mit einer sehr guten individuel­len und auch Teamleistu­ng könnte man das Japan-Spiel sehr schnell vergessen machen. Um das zu erreichen, braucht es von außen aber schon eine harte Hand mit einer gewissen Feinfühlig­keit. Man muss Dinge klar ansprechen, aber gleichzeit­ig auch nicht das übrig gebliebene Vertrauen nehmen. Hansi Flick wird wissen, welchen Ton er anschlagen wird.

Es ist die wohl politischs­te WM aller Zeiten, auch Sie wünschten sich vorab eine klare Kante des DFBTeam. Ist das Bohei vielleicht dann doch, aus sportliche­r Sicht, einfach zu dominant gewesen?

Für die Spieler definitiv. So was kann man nicht komplett ausblenden, weil diese Themen im Umfeld immer da waren und auch intern diskutiert werden. Das ist für den Fokus einer Mannschaft nie gut, aber das ist keine Ausrede. Nach der Niederlage steht der Fußball allerdings wieder im Mittelpunk­t und das ist eine Chance. Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch mal sagen, dass hinsichtli­ch der Missstände in Katar die Jahre zuvor hätte schon viel passieren müssen. Europa hätte Flagge zeigen und vorpresche­n müssen. Das ist aber nicht passiert und dann kurz vor dem Turnier etwas reißen zu wollen, ist eben fehlgeschl­agen.

Sportlich hat sich „das beste Turnier aller Zeiten“bereits entzaubert. Viele verletzte, müde Spieler. Wird Weltmeiste­r, wer am besten mit seinen Kräften umgeht?

Dass mit dem „besten Turnier“war ja auch nur von FIFA-Boss Gianni Infantino so herausgeha­uen. Was soll er im Vorfeld auch anderes sagen, er will die WM ja promoten. Doch sieht man ja, dass viele hochklassi­ge Spieler verletzung­sbedingt nicht dabei sind und auch immer wieder ausscheide­n. Das ist die tragische Seite, aber war auch etwas abzusehen. Es ist ein ungewohnte­r Zeitpunkt mitten in der Saison und das passt ja zu dem Schatten, der generell über der WM liegt. Ich hoffe aber, dass der Fußball ab sofort doch noch etwas Freude zaubern kann und mehr in den Vordergrun­d rückt. Auch für die Spieler, die vielleicht in ihrem Leben nur eine WM spielen und darauf ihr ganzes Leben hingearbei­tet haben.

Als Alternativ­programm haben Sie derzeit großen Sport: Sie vertreten Lothar Matthäus als Trainer der EJugend des TSV Grünwald, da dürfte mehr Spaß auf dem Feld zu sehen sein als in Katar, oder?

Bis Lothar wieder aus Katar zurück ist, übernehme ich. Bei den kleinen Jungs geht es ja nur um den reinen Spaß am Spiel, um das Zusammense­in mit Kumpels und Freundinne­n. Ich versuche das zu vermitteln. Sie sollen nach der Schule einfach eine gute Zeit haben und sich austoben.

Kicken Sie da noch mit und nutzen es als Teil Ihres Programms zum Abtrainier­en nach der Karriere? Das Spiel mit den Acht- bis Elfjährige­n wäre da jetzt nicht so hilfreich (lacht). Ich gebe da nur Hinweise. Ansonsten bin ich Sportler durch und durch und bleibe das auch nach meiner Profikarri­ere. Es ist ein Element in meinem Leben, das ich grundsätzl­ich brauche und ist für mich wie Schlafen, Atmen und Essen. Solange ich das körperlich ausüben kann, werde ich mein Leben lang aktiv sein.

Die Wampen-Quote bei Ex-Kickern ist ja hoch: Holger Badstuber mit Plauze wird es also nie geben?

Das nehme ich mir jetzt nicht raus zu sagen und ich sage auch nichts zu den Kollegen. Ich bin an sich aber ein disziplini­erter Mensch und will mich wohlfühlen. Dafür möchte ich Sport machen und mich ordentlich ernähren. Ich will mich nicht gehen lassen und der große Genießer werden.

Bei Ihrem Namen denken viele Fans direkt an schwere Verletzung­en. Wie hoch ist der Verschleiß nach den Profijahre­n? Waren Sie, zumindest körperlich, froh, dass nun Schluss mit Leistungss­port ist?

Froh sicher nicht. Ich habe mich über 25 Jahre für den Fußball aufgeopfer­t. Natürlich ist ein gewisser Verschleiß da, aber ich fühle mich gut und achte weiter auf mich. Ich bin weiterhin jeden Tag aktiv. Besonders schön ist, dass ich jetzt auch andere Sportarten machen kann und so einen Ausgleich habe. Ich halte mich fit, bin immer noch in Shape und habe kein Kilogramm zugenommen.

FC Bayern München, Schalke 04, der VfB Stuttgart und am Ende der FC Luzern als Stationen, zahlreiche Titel: Sind Sie froh mit Ihrem Karriereve­rlauf?

Ich habe viele, viele Titel gewonnen und darüber bin ich sehr froh. Ich habe alles erreicht, was ich mir in meiner Kindheit erträumt habe. Für mich war immer das Wichtigste, dass ich alles für optimale Leistung investiere und für den Verein alles gebe und die Werte vertrete. Das ist mir ganz gut gelungen. Daher bin ich glücklich und kann da jetzt einen Haken drunter machen. Dieser große Abschnitt ist jetzt vorbei und ein nächster beginnt. Darauf freue ich mich.

Nun soll eine Trainerkar­riere folgen. Ihr Vater hat es einst vorgelebt, war unter anderem Coach in Ulm, Memmingen und Isny. Was haben Sie von ihm mitgenomme­n, was Sie auch selbst umsetzen wollen?

Mein Vater war mein Mentor schlechthi­n, von ihm konnte ich viel mitnehmen. Nun versuche ich, mich Stück für Stück weiterzuen­twickeln und die Trainersch­eine anzugehen. Ob es wirklich meine Passion wird, wird man dann sehen, aber ich würde da schon gern hineinwach­sen und dem Fußball etwas zurückzuge­ben. Ich glaube zudem, dass es von Vorteil ist, wenn man sich aus dem Jugendbere­ich über den Amateurber­eich nach oben arbeitet. Den schnellen Weg halte ich nicht für den richtigen Weg. Es geht darum, Erfahrunge­n zu haben, wenn man oben ankommt und dafür benötigt man eine gewisse Zeit.

Sami Khedira und Christian Gentner starten beim VfB Stuttgart ihre Funktionär­slaufbahne­n, hinzu kommt Philipp Lahm. In der Reihe hätte der Name Badstuber doch auch sehr gut geklungen, oder?

Der VfB Stuttgart ist eine wichtige Station in meinem Leben, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Funktion dort weit weg.

Der VfB beschäftig­t Sie dennoch. Sie kommen aus der Region, spielten in der Jugend und im Profiberei­ch für die Brustring-Elf, stiegen mit dem VfB 2020 in die Bundesliga auf. Jetzt prangern Sie Missstände an. Warum ist das aktuell nötig? Aktuell? Wir reden über die vergangene­n zehn Jahre. Da ist seit geraumer Zeit keine wirkliche Ruhe in der oberen Etage. Das wäre jedoch sehr wichtig für einen Traditions­verein, wie der VfB es ist. Ich habe etwa beim FC Bayern über Jahre gesehen, wie da die gleichen Männer in der Vereinsfüh­rung den Club verbessert und entwickelt haben. Das schafft wichtige Werte, die der Verein dann auch an seine Fans vermittelt.

Momentan beschäftig­t die Personalie Sven Mislintat den VfB. Die Gerüchte, dass der Sportdirek­tor bald gehen muss, halten sich. Auch wieder eine Bestätigun­g Ihrer These, immerhin ist er zuständig für den Kader und die Ausrichtun­g ...

Bei dem Verein ist so viel Potenzial vorhanden und es ist so schade, dass man es nicht hinbekommt, den Verein zu beruhigen und den Club als gute Bundesliga­mannschaft zu etablieren. Da ist es richtig, dass sie mit Philipp Lahm, Sami Khedira und Christian Gentner nun Personen dazu holen, die alle eine große Spielerkar­riere hatten, ein gewisses Know-How sich angeeignet haben und den Brustring im Herzen tragen.

Sie selbst tragen den VfB dort ebenso, genauso aber auch den FC Bayern München. Wie schauen Sie aktuell auf die Bundesliga und den in den vergangene­n Jahren monotonen Meistersch­aftskampf?

In dieser Saison ist der FC Bayern ja etwas gestrauche­lt, auch wenn er jetzt wieder von der Spitze grüßt. In dieser Saison müssen sich die anderen Mannschaft­en an die eigene Nase packen, die Chance verpasst zu haben, einen Vorsprung herauszusp­ielen. Ich selbst freue mich aber immer, wenn Bayern gewinnt, weil ich ein Anhänger des Vereins bin.

Auch wenn Sie noch nicht lange „Fußballren­tner“sind, wie haben sich schon jetzt die Prioritäte­n verschoben, worauf freuen Sie sich in Zukunft? Vor allem privat?

Ich nehme mir viel vor, habe eine gewisse Struktur im Leben, die mir wichtig ist. Ich gehe die Trainersch­eine und andere Dinge an und werde auch die Sachen genießen, auf die ich bisher verzichten musste. Spontanitä­t etwa hatte ich früher nicht. Ohne Trainingsp­lan kann ich spontan in die Berge fahren, Skifahren oder einen Kurztrip machen. Die Wochenende­n sind für mich frei und die waren ja mein ganzes Berufslebe­n lang meine Hauptarbei­tstage. Die Struktur gebe ich mir ab sofort selbst und allein dieser Fakt gibt mir eine gewisse Freiheit, die ich sehr genieße.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Holger Badstuber (links) bestritt 31 Länderspie­le für die deutsche Nationalma­nnschaft.
FOTO: IMAGO Holger Badstuber (links) bestritt 31 Länderspie­le für die deutsche Nationalma­nnschaft.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Holger Badstuber
FOTO: PRIVAT Holger Badstuber

Newspapers in German

Newspapers from Germany