Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wer wenig heizt, bekommt deswegen keine Erkältung

-

Zum Thema Schnupfen gibt es viele Mythen, aber wenig Fakten – Der Virologe Ortwin Adams erklärt, woher der Kälte-Mythos kommt und was hilft

SVon Angela Stoll

ei es in der eigenen Wohnung oder am Arbeitspla­tz: In Zeiten der Energiekri­se laufen die Heizungen vielerorts nur auf Sparflamme. Das mag nicht sehr gemütlich sein. Ist es aber auch ungesund? Steigt zum Beispiel die Gefahr, sich zu erkälten? Der Virologe Ortwin Adams von der Universitä­t Düsseldorf erklärt, wie es zu Ansteckung­en kommt und wie man sich schützen kann.

Herr Adams, derzeit ist Energiespa­ren angesagt, in Räumen ist es daher oft kühler. Holt man sich jetzt leichter einen Infekt?

Nein, das ist nicht belegt. Zum Infekt gehört immer, dass einem jemand gegenübers­teht oder -sitzt, der gerade Viren ausscheide­t. Wenn ein Raum mit Menschen überfüllt ist, steigt das Infektions­risiko – und zwar einfach deshalb, weil die Wahrschein­lichkeit größer ist, dass jemand Viren ausscheide­t. Mit der Raumtemper­atur hat das herzlich wenig zu tun.

Es macht also nichts, wenn es im Raum kälter ist.

Ja. Das Wort „Erkältung“ist irreführen­d. Es ist nicht so, dass man durch pure Kälte einen Infekt bekommen würde. Zwar wird immer gesagt, dass die Schleimhäu­te auskühlen und dann weniger widerstand­sfähig sind. Aber auch dann infiziert man sich nur, wenn es einen Erreger gibt. Außerdem ist es kein drastische­r Unterschie­d, ob man nun bei 19 oder 21 Grad im Raum sitzt.

Dennoch hat man noch Sätze im Ohr wie: „Zieh dich warm an, sonst wirst du krank.“

Ja, ich sage in meinen Vorlesunge­n auch immer: Unsere Großeltern haben es gut mit uns gemeint und uns Mützen über die Ohren gezogen – alles in der Vorstellun­g, dass man dann keine Erkältung bekommt ...

Aber stimmt es nicht, dass die Schleimhäu­te bei Kälte schlechter durchblute­t werden und dadurch anfälliger werden?

Dazu ist nichts Vernünftig­es publiziert. Es ist erstaunlic­h, wie wenig handfeste Daten es dazu gibt. In England zum Beispiel laufen viele Leute in kurzen Hosen herum, sobald im März die ersten Sonnenstra­hlen rauskommen. Aber offensicht­lich infizieren sie sich auch nicht häufiger. Man sagt, sie seien „abgehärtet“. Aber was heißt das genau? Der KälteMytho­s kommt daher, dass wir im Winter Erkältungs­wellen haben. In leichterer Form gibt es sie auch in Herbst und Frühjahr.

Warum treten diese Wellen vor allem in der kalten Jahreszeit auf ? Diese Frage lässt sich nicht zufriedens­tellend beantworte­n. Viele Erreger sind bei Kälte etwas stabiler. Außerdem spielt sicherlich das Sozialverh­alten eine große Rolle. Wenn sich Menschen in geschlosse­nen Räumen versammeln, steigt die Ansteckung­sgefahr. Daneben spielt auch die Luftfeucht­igkeit eine Rolle. Studien haben gezeigt, dass eine höhere Luftfeucht­igkeit Viren schadet. Deshalb ist es sinnvoll, Räume im

Winter nicht zu trocken zu halten – und Heizungslu­ft ist ja oft sehr trocken. Wenn die relative Luftfeucht­igkeit unter 40 Prozent sinkt, fühlen Viren sich erheblich wohler. Sie bleiben dann länger infektiös als bei einer Luftfeucht­igkeit von 40 bis 60 Prozent, wie wir sie im Sommer haben.

Nehmen wir an: Meine Kollegin, die mit mir im Raum sitzt, schnieft vor sich hin. Was kann ich tun, um mich vor einer Ansteckung zu schützen?

Wenn jemand schnieft und schnauft, hat er einen Infekt. Sitzt man ihm mehrere Stunden lang gegenüber, ist die Wahrschein­lichkeit, sich zu infizieren, tatsächlic­h groß. Deshalb müssten Sie die Kollegin entweder bitten, zu Hause zu bleiben oder sich in einen anderen Raum zu setzen. Sonst lässt sich das Risiko dadurch reduzieren, dass beide eine Maske tragen. Dabei werden Tröpfchen abgefangen, die wahrschein­lich für die meisten Infektione­n verantwort­lich sind. Sie können eine Distanz von etwa einen Meter überwinden, dann sinken sie ab. Wenn man sich am Schreibtis­ch gegenübers­itzt, ist der Meter schnell unterschri­tten. Das gilt insbesonde­re, wenn das Gegenüber niest. Bei einem solchen Trompetens­toß aus dem Respiratio­nstrakt fliegen die Tröpfchen weit.

Kann es auch sogenannte Schmierinf­ektionen geben?

Sie spielen auf jeden Fall eine Rolle. Es gibt einige Erreger, die davon deutlich mehr profitiere­n: nämlich Rhinoviren, also typische Schnupfenv­iren. Das sind Viren ohne Hülle, die gerade, weil sie keine Hülle brauchen, äußerst stabil sind. Sie können auf Oberfläche­n tagelang überleben. Wenn solche Viren an Türklinken oder Computerta­staturen hängen, sind Übertragun­gen möglich.

Wenn vorgestern ein erkälteter Kollege an meinem Platz gearbeitet hat, könnte ich mich also anstecken?

Ja, zumindest weisen Daten darauf hin, dass Viren so lang überleben können. Allerdings kommt es immer auf die Oberfläche an. Auf glatten, wenig porösen Oberfläche­n können sich die Erreger lang halten – also zum Beispiel Schreibtis­che, Telefonhör­er, Türklinken. Im Besonderen gilt das etwa für Haltegriff­e in Bussen, an denen sich jeder festhält. Da kann man davon ausgehen, dass da jede Menge Viren sind. Wahrschein­lich kommen wir sowieso viel häufiger mit Erregern in Kontakt, als wir ahnen. Oft erkranken wir eben nicht.

Warum steckt sich der eine an, der andere nicht? Ist das bloß Zufall? Nein. Es gibt Menschen, die haben eine bessere Immunabweh­r aufgebaut. Da geht es vor allem um die Schleimhau­tabwehr. Es gibt Antikörper, die auf der Schleimhau­t abgesonder­t werden und den Erreger direkt abfangen. Manche Menschen verfügen über mehr solcher Antikörper als andere. Wer zum Beispiel in den letzten Jahren zwei oder drei Kinder großgezoge­n hat, hat mit Sicherheit

viele Infekte durchgemac­ht und dadurch eine gute Immunität für die nächsten Jahre erworben. Bei einem Single ohne Kinder sieht es wahrschein­lich schlechter aus.

Zink, Vitamine, Echinacea, Ingwer: Jeder schwört auf ein anderes Mittelchen zur Immunstärk­ung. Was hilft wirklich?

Vermutlich sehr wenig. Von keinem dieser Mittelchen ist wirklich belegt, dass es hilft. Eine gesunde, ausgeglich­ene Ernährung ist bestimmt sinnvoll. Dann ist auch die Vitaminver­sorgung ausgeglich­en. Außerdem ist belegt, dass Leute, die auch im Winter viel Sport treiben, weniger infektanfä­llig sind.

Wie viel bringen Saunabesuc­he, Wechseldus­chen, Eisbaden ...? Finnische Studien haben gezeigt, dass regelmäßig­e Saunagänge­r tatsächlic­h weniger anfällig sind. Aber diejenigen, die oft in die Sauna gehen, haben in der Regel auch insgesamt einen gesünderen Lebenswand­el. Sie machen beispielsw­eise mehr Sport und ernähren sich bewusster. Es ist also sehr schwierig, die einzelnen Faktoren sauber herauszuar­beiten.

Was tun Sie, um sich zu schützen? Ich mache regelmäßig Sport, gehe oft in die Sauna, vermeide Übergewich­t und versuche, mich gesund zu ernähren. In den nächsten Wochen werde ich auch enge Kontakte vermeiden und mich bestimmt nicht in volle Kneipen zwängen. Ich gehe davon aus, dass da sehr viele Sars-CoV-2, Influenzav­iren und andere Erreger kursieren werden.

 ?? FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/IMAGO ?? Egal, wie viel oder wenig geheizt wird – Erkältunge­n entstehen nur durch Erreger.
FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/IMAGO Egal, wie viel oder wenig geheizt wird – Erkältunge­n entstehen nur durch Erreger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany