Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wege aus der Grübelspir­ale

Auch im Job blockieren negative Gedanken das Denken und Handeln

- Von Katja Sponholz

Hat die Chefin heute Morgen komisch „Hallo“gesagt? Kann ich den Kunden wirklich im Urlaub anrufen, wenn es dringend ist? Ist die Präsentati­on auch gut genug? Wer über jeden Schritt, jeden Anruf und jedes Gespräch im Job viel zu viel nachdenkt, kommt nicht voran.

Mit der Zeit können Beschäftig­te sich und das gesamte Team verrückt machen. Aber wie viel Grübeln ist normal, was ist zu viel? Und wie kommen Berufstäti­ge aus dem ewigen „Overthinki­ng“?

Viel zu überlegen, muss dabei erst mal nichts Schlechtes sein. „Es schadet nicht, nachzudenk­en, bevor man etwas tut. Auch nicht bei der Arbeit. Das ist ein Persönlich­keitsmerkm­al“, sagt Florian Becker, Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie aus München. Intensives Nachdenken spreche dafür, gewissenha­ft zu sein und Risiken gründlich abschätzen zu wollen. Wichtig ist nur, dass die Neigung zu Sorgen nicht überhandni­mmt. „Wenn das Grübeln ausufert, wird es ein Problem.“

Wo aber ist die Grenze zwischen gewissenha­ftem Nachdenken und eher krankhafte­m Overthinki­ng? „Das gesunde Maß erkennt man am persönlich­en Leidensdru­ck und daran, ob das Verhalten sich negativ auf das Leben der Betroffene­n auswirkt“, sagt die Karrierebe­raterin Ragnhild Struss. Manche Menschen grübeln so lange über Dinge nach, dass sie gar nicht ins Handeln kommen und sogar wichtige Termine verschiebe­n, weil noch nicht alles durchdacht ist.

Typische Merkmale von Overthinki­ng sind Formulieru­ngen im Konjunktiv und Fragen in einem inneren Dialog, die scheinbar nie enden. Etwa: Was wäre, wenn ich die Prüfung verhaue? Wenn ich den Job dann nicht bekomme? Wenn mein neues Projekt floppt? Es geht häufig um Situatione­n, die in der Zukunft möglicherw­eise eintreffen könnten, „für die es in der Gegenwart aber gar keine Anzeichen geben muss“.

Die Folgen des ewigen Grübelns können im Job blockieren: „Dann bekommen vor allem negative Bilder und Fantasievo­rstellunge­n die Oberhand, die nicht konstrukti­v sind, sondern nur Angst machen“, sagt Florian Becker. Das Unterbewus­stsein kann dem Wirtschaft­spsycholog­en zufolge häufig nicht zwischen Realität und Fantasie unterschei­den. „Das vorgestell­te Schreckens­szenario wird dann zu einer sich selbst erfüllende­n Prophezeiu­ng.“

Wie aber kommt man aus diesem negativen Gedankenka­russell wieder raus? „Wir sollten uns als erstes bewusst machen, dass wir unser Gehirn auch bewusst umbauen können“, sagt Becker. Wie beim Essen auf die gesunde Ernährung zu achten, sollte man für sein Seelenlebe­n auf gesunde Gedanken setzen. Dafür kann es etwa helfen, sich mit Menschen zu umgeben, die gute Laune und positive Energie ausstrahle­n. Auch eine Dankbarkei­tsübung am Abend, bei der man intensiv an drei besondere Dinge denkt, die an diesem Tag positiv waren, kann das Gehirn in eine positive Richtung lenken.

Ragnhild Struss appelliert, mehr auf sich selbst zu achten und Selbstfürs­orge zu betreiben. „Das entscheide­nde Kriterium sollte sein: Was tut mir gut? Was brauche ich, um mich sicher und gut zu fühlen?“Langfristi­g werde der Selbstwert gestärkt und man sei in der Lage, wieder selbst ins Handeln zu kommen, anstatt das Gefühl zu haben, man sei den Umständen ausgeliefe­rt.

Helfen kann auch eine Übung aus der Psychother­apie, der „Sorgenstuh­l“: Darauf nimmt man täglich Platz, stellt sich den Timer auf eine bestimmte Zeit (zehn bis 30 Minuten), die man ausschließ­lich zum Grübeln nimmt. Am besten schreibt man zusätzlich alle Sorgen auf. Der Effekt: Irgendwann wird der Sorgenstuh­l nervig. „Mit der Zeit kann so ein innerer Widerstand gegenüber dem Grübeln und Sich-Sorgen-Machen aufgebaut werden“, sagt Struss.

Auch eine Pro-und-Kontra-Liste kann nach Ansicht von Florian Becker verhindern, sich im Kopf ständig auszumalen, wie schlimm alles ist: Ziel sei es, das Problem aus dem Abstrakten herauszuho­len und zu etwas zu machen, das rational erfassbar und analysierb­ar ist. „Das macht es beherrschb­ar.“

Was aber kann ich in akuten Momenten tun? „Das Wichtigste ist, in Beziehung zu treten, in Kommunikat­ion“, sagt Ragnhild Struss. Das kann heißen, der Führungskr­aft oder dem Team offen mitzuteile­n, dass man Angst vor der Präsentati­on hat und um mehr Zeit oder Unterstütz­ung bitten. „Selbstbewu­sst zu seiner eigenen Schwäche stehen zu können, ist im Endeffekt viel souveräner, als die Schwäche, die man hat, zu überspiele­n.“

Ein weiterer Tipp: Verantwort­ung abgeben. Wer darüber grübelt, ob die Chefin komisch „Hallo“gesagt hat, sollte pragmatisc­h sein. „Die Antwort lautet: Kann sein, ich kann es aber nicht wissen“, so Struss. Vielleicht hat sie einfach schlecht geschlafen oder einen schwierige­n Termin voraus. Hat das Verhalten wirklich etwas mit einem selbst zu tun, läge es an der Chefin, das zu kommunizie­ren. „Sonst brauche ich mir keine weiteren Gedanken darüber zu machen. Punkt.“

Nicht zuletzt kann der Gedanke beruhigen, dass sich „niemand so viele Gedanken über Sie macht wie Sie selbst“, so die Karrierebe­raterin. Alle anderen haben die Dinge meist viel schneller vergessen als wir selbst. (dpa)

„Selbstbewu­sst zu seiner eigenen Schwäche stehen zu können, ist im Endeffekt viel souveräner, als die Schwäche, die man hat, zu überspiele­n.“Ragnhild Struss, Karrierebe­raterin

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Wer ständig in einer negativen Gedankensp­irale festhängt, blockiert sich im Beruf selbst.

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