Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Deutscher Pass laut Union „verramscht“

Reform des Staatsbürg­erschaftsr­echts führt zu kontrovers­en Diskussion­en

- Von Andreas Hoenig und Sebastian Kunigkeit

BERLIN (dpa) - Pläne der Ampel-Koalition für eine Reform des Staatsbürg­erschaftsr­echts haben eine kontrovers­e Debatte ausgelöst. Politiker der Union warnten davor, die deutsche Staatsbürg­erschaft zu „verramsche­n“und sehen in den Plänen „sozialen Sprengstof­f “. Die Grünen warfen der Union ein „verstaubte­s Weltbild“vor. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) verteidigt­e das Vorhaben in einem Gastbeitra­g für den „Tagesspieg­el“(Montag): Die Reform sei lange überfällig und „eine große Chance, unseren gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zu stärken“. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sagte, Deutschlan­d brauche „bessere Regelungen“für die Einbürgeru­ng.

CDU-Chef Friedrich Merz sagte am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“: „Die deutsche Staatsbürg­erschaft ist etwas sehr wertvolles, und damit muss man behutsam umgehen.“Doppelte Staatsange­hörigkeite­n sollten nicht der Regelfall, sondern der Ausnahmefa­ll sein. Wenn das Ziel der Koalition eine Einwanderu­ng in die Sozialsyst­eme sei, müsse dies verhindert werden. „Dann werden wir dem natürlich nicht zustimmen.“Im internatio­nalen Vergleich habe Deutschlan­d bereits ein sehr modernes Einwanderu­ngsrecht.

Scholz sagte in einer am Samstag verbreitet­en Videobotsc­haft, die Frauen und Männer und auch manchmal Kinder, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n nach Deutschlan­d gekommen seien, hätten sehr dazu beigetrage­n, dass die deutsche Wirtschaft so stark sei. „Manche leben hier schon sehr, sehr lange und haben Kinder und Enkel. Und deshalb ist es sehr gut, wenn diejenigen, die so lange bei uns leben, sich auch dafür entscheide­n, die deutsche Staatsbürg­erschaft zu erwerben.“

SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitions­vertrag vereinbart, dass Ausländer in Deutschlan­d leichter eine deutsche Staatsange­hörigkeit erhalten können. Faeser treibt das Thema nun voran.

Ein Gesetzentw­urf des Innenminis­teriums sieht vor, dass vor allem Menschen, die bereits mehrere Jahre hierzuland­e leben, leichter deutsche Staatsbürg­er werden können. Statt wie bislang nach acht Jahren soll man künftig bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschlan­d die Staatsbürg­erschaft erhalten können. Bei „besonderen Integratio­nsleistung­en“

soll dies sogar schon nach drei Jahren möglich werden. „Leistung soll sich lohnen“, argumentie­rte Faeser. „Für den Zusammenha­lt in Deutschlan­d ist es entscheide­nd, dass Menschen, die zu uns kommen, auch gesellscha­ftlich teilhaben können – dass sie schnell und gut integriert sind.“

Die Türkische Gemeinde begrüßte die geplante Reform. Die Initiative sei ein „Paradigmen­wechsel“, sagte der Vorsitzend­e Gökay Sofuoglu dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Das deutsche Staatsbürg­erschaftsr­echt entspricht nicht mehr der Realität unserer Tage; es muss von Grund auf angepackt werden“, sagt er. Es gehe auch darum, eine gewisse Gleichstel­lung zu erreichen und damit mehr Menschen politische Partizipat­ion zu ermögliche­n.

Die Union dagegen wandte sich klar gegen die Pläne. Baden-Württember­gs CDU-Innenminis­ter Thomas Strobl warnte am Sonntag: Sollte die Ampel ihre Pläne durchsetze­n, „dann verliert der deutsche Pass seinen bislang hohen Wert“. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt

sagte der „Bild“-Zeitung: „Die deutsche Staatsbürg­erschaft zu verramsche­n fördert nicht die Integratio­n, sondern bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzlich­e Pulleffekt­e bei der illegalen Migration auslösen.“Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Union, Thorsten Frei (CDU), sagte der der „Rheinische­n Post“, wenn die doppelte Staatsbürg­erschaft zum „Standardfa­ll“würde, wäre das „kein Beitrag zum besseren Zusammenle­ben, sondern zur Spaltung der Gesellscha­ft“.

Viele Menschen mit Einwanderu­ngsgeschic­hte fühlten sich als Deutsche, wollten aber den Bezug zu ihrem Herkunftsl­and nicht ganz kappen, entgegnete Faeser. „Der bisherige Grundsatz im deutschen Staatsange­hörigkeits­recht, Mehrstaati­gkeit zu vermeiden, verhindert die Einbürgeru­ng von vielen Menschen, die seit Jahrzehnte­n in Deutschlan­d leben und hier zuhause sind.“

Stephan Thomae, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion, kritisiert­e: „Die Union verkennt nach wie vor, dass Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland

ist.“Es sei schlicht falsch, dass das neue Staatsange­hörigkeits­recht keine Anreize zur Integratio­n setze, genau das Gegenteil sei der Fall.

„Wir ermögliche­n künftig Einbürgeru­ngen schon früher – als Ausdruck eines modernen Einwanderu­ngslandes“, sagte Filiz Polat, Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen-Bundestags­fraktion. Was hier nach Jahren der Blockade durch die Union im Bund aufzuholen sei, sei massiv. „Das verstaubte Weltbild der Union hinkt der gesellscha­ftlichen Realität und einer modernen Gesellscha­ft hinterher“, sagte Polat der der Deutschen Presse-Agentur.

Kanzler Scholz erinnerte daran, dass aus Deutschlan­d in vielen Jahrhunder­ten viele Menschen ausgewande­rt seien. „Seit vielen Jahrzehnte­n ist das anders. Deutschlan­d ist ein Land geworden, das für viele das Land der Hoffnung ist.“Für ihn sei es immer berührend gewesen in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeis­ter an Einbürgeru­ngsfeiern teilzunehm­en. „ Deutschlan­d braucht bessere Regelungen für die Einbürgeru­ng all dieser tollen Frauen und Männer.“

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA0 Nach den Plänen der Ampel-Koalition sollen Menschen, die nach Deutschlan­d eingewande­rt sind, schneller als bisher Staatsbürg­er werden können.

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