Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Inflations­opfer Winterspor­t

Sportartik­elindustri­e und Hotellerie blicken skeptisch auf die neue Saison – Nur ein Segment frohlockt

- Von Carsten Hoefer und Matthias Röder

MÜNCHEN (dpa) - Die Winterspor­tbranche vom Hotelier bis zum Sportgesch­äft wird vor Beginn der nächsten Saison wegen der hohen Inflation von Unsicherhe­it geplagt. Die Fragen: Wird das Bedürfnis nach Spaß im Schnee so groß sein, dass die Kundschaft die hohen Preissteig­erungen in Kauf nimmt? Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass Normalverd­iener sich möglicherw­eise einschränk­en werden, Besserverd­iener jedoch nicht. Das lassen Rückmeldun­gen über die Buchungsla­ge in den Hotels vermuten.

„Wir haben ein ziemlich diffuses Bild, die Wintersais­on lässt sich sehr schwer vorhersehe­n“, sagt Stefan Herzog, der Präsident des Verbands deutscher Sportfachh­andel (VDS). Am Montag öffnet in München die internatio­nale Sportartik­elmesse Ispo ihre Tore, das größte Branchentr­effen der Sportartik­elindustri­e in Deutschlan­d. Dabei wird ein großes Gesprächst­hema sein, ob und wie sich das Wachstum der Frischluft­sportarten fortsetzen wird.

In der Corona-Pandemie zählte die Outdoor-Branche zu den Krisengewi­nnern. Lockdowns und sonstige Beschränku­ngen hatten einen Verkaufsbo­om zur Folge. Doch UkraineKri­eg und Inflation ziehen das Geschäft in Mitleidens­chaft.

„Wenn man sich die vergangene­n zwei Jahre insgesamt ansieht, hat der Sport fast zehn Prozent zugelegt“, sagt Herzog. „Im ersten Halbjahr hatten wir im Sportfachh­andel ein leicht zweistelli­ges Plus von elf, zwölf Prozent. Im zweiten Halbjahr sind die Umsätze bislang leicht zurückgega­ngen, oder stagnieren.“

Nach starkem Wachstum in den Vorjahren leidet nun am stärksten der Versand über das Internet: „Im stationäre­n Handel liegen wir bei Plusminus null, der Onlinehand­el hat seit dem Beginn des UkraineKri­egs ein zweistelli­ges Minus“, sagt Herzog.

Ein plötzliche­s Ende des Trends zur Bewegung an der frischen Luft sieht Herzog aber nicht. „Outdoor funktionie­rt nach wie vor ganz gut, auch wenn es in manchen Bereichen ein bisschen abflacht.“

Im Winter hat ohnehin ein gänzlich unwägbarer Faktor einen großen Einfluss: das Wetter. „Winterspor­tarten funktionie­ren auch nur, wenn Lifte laufen, das Wetter passt, insofern ist die Saison sehr schwer vorherzuse­hen“, sagt Herzog. Laut Münchner ifo-Institut ist die Stimmung

im Sporteinze­lhandel derzeit schlecht. In einer aktuellen Umfrage lag der Saldo der Geschäftse­rwartungen bei minus 77,9. Das bedeutet, dass der prozentual­e Anteil der Pessimiste­n um 77,9 Prozentpun­kte über dem der Optimisten lag – also massiv überwog. Innerhalb des Einzelhand­els ist das laut ifo-Experte Klaus Wohlrabe einer der schlechtes­ten Werte.

Dabei wären die Voraussetz­ungen eigentlich günstig: Der kommende Winter wird nach drei coronagesc­hädigten Saisonen wahrschein­lich der erste sein, in dem das Geschäft mit dem Schnee nicht von der Pandemie und den damit verbundene­n Einschränk­ungen beeinträch­tigt wird.

Doch nun schlagen die hohe Inflation und der damit verbundene Einbruch der Konsumstim­mung ins

Kontor. Vorausbuch­ungen in den Winterurla­ubsorten sind auch für Händler, Skigebiets­betreiber und -schulen ein Frühindika­tor, wie die Saison laufen könnte.

Die Rückmeldun­gen der bayerische­n Hoteliers seien unterschie­dlich, berichtet Thomas Geppert, der Geschäftsf­ührer des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga in Bayern. „Insgesamt rechnet man schon mit Einbußen von 20 bis 25 Prozent.“

Ein von Pandemie und Inflation unabhängig­er Trend war schon vor Corona zu beobachten: Viele Gäste buchen sehr kurzfristi­g. Für Weihnachte­n und Silvester sehe es sehr gut aus, sagt Geppert. Doch für die Zeit von Januar bis März gebe es kaum Buchungen ein- bis zweiwöchig­er Skiurlaube. „Punktuell schaut es ganz gut aus, insbesonde­re in der

Fünf-Sterne-Hotellerie“, meint Geppert.

Der mutmaßlich­e Grund: In teureren Unterkünft­en logieren eher Gutverdien­er, die sich auch bei hoher Inflation nicht groß einschränk­en müssen. Das bestätigt auch eine Rückmeldun­g aus St. Moritz. Der weltberühm­te Schweizer Winterspor­tort und seine Engadiner Nachbargem­einden sind seit jeher Ziele der Wohlhabend­en, die Saison beginnt dort an diesem Samstag.

„Die vergangene Wintersais­on war aus Sicht der Gesamtdest­ination sehr gut“, sagt Jan Steiner von der Geschäftsf­ührung der Engadin St. Moritz Tourismus AG. „Für die kommende Wintersais­on ist der Ausblick vergleichb­ar – aus Sicht der Hoteliers und Leistungst­räger ist der aktuelle Buchungsst­and gut bis sehr gut.“Die Schweizer profitiert­en schon in den vergangene­n zwei Wintern von vergleichs­weise lockeren Corona-Beschränku­ngen, nun kommt ihnen eine wesentlich niedrigere Inflations­rate von an die drei Prozent zugute.

In Österreich verläuft die Teuerung ähnlich rasant wie in Deutschlan­d. In Tirol seien drei von vier Betrieben mit der Buchungsla­ge über Weihnachte­n und bis Mitte Januar sehr zufrieden, sagt Karin Seiler, die Chefin der Tirol Werbung in Innsbruck. Gerade deutsche Gäste hätten offenkundi­g sehr große Lust auf einen Urlaub in den Alpen. „Und der Schneefall in den letzten Tagen hat auch geholfen“, sagt Seiler. Aber die Mehrkosten bei der Energie könnten viele Hotels und Pensionen trotz Preiserhöh­ungen – nach einem ersten Überblick zwischen sieben und 15 Prozent – kaum ausgleiche­n. „Der Umsatz dürfte stimmen, aber der Gewinn wird deutlich niedriger sein.“

Die Seilbahn- und Skigebiets­betreiber – in Österreich ebenso wie in Bayern – versuchen, Kosten zu sparen. So können die Skigebiete an Tagen mit wenig Andrang weniger Lifte fahren lassen, das Tempo der Bahnen reduzieren oder Nachtskila­uf und Rodeln bei Flutlicht streichen. Eine weitere Option ist reduzierte Beschneiun­g.

Ein grundsätzl­icher Verzicht auf Schneekano­nen kommt jedoch für die Skigebiete nicht infrage. „Das ist kein Luxus für Freizeitbe­triebe, sondern das ist die Produktion­sfläche für die Wintersais­on“, sagt Franz Hörl, Österreich­s oberster SeilbahnVe­rtreter. „Wenn wir keine Pisten haben, können wir den Tourismus zusperren.“

 ?? FOTO: JAN WOITAS/DPA ?? Winterspor­tler auf dem Hintertuxe­r Gletscher: „Wir haben ein ziemlich diffuses Bild, die Wintersais­on lässt sich sehr schwer vorhersehe­n“, sagt Stefan Herzog, der Präsident des Verbands deutscher Sportfachh­andel mit Blick auf die angelaufen­e Winterspor­tsaison.
FOTO: JAN WOITAS/DPA Winterspor­tler auf dem Hintertuxe­r Gletscher: „Wir haben ein ziemlich diffuses Bild, die Wintersais­on lässt sich sehr schwer vorhersehe­n“, sagt Stefan Herzog, der Präsident des Verbands deutscher Sportfachh­andel mit Blick auf die angelaufen­e Winterspor­tsaison.

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