Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das soziale Gewissen Oberschwabens geht in Rente
Betriebseelsorger Werner Langenbacher blickt in eigenen Worten auf den Wandel der Arbeit in der Region zurück
REGION - Drei Jahrzehnte hat sich Werner Langenbacher für die Diözese Rottenburg-Stuttgart um die Rechte und die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Landkreis Ravensburg und im Bodenseekreis gekümmert. Dabei sei er nie gestresst und nie verärgert gewesen, berichtet Kollegin Andrea Grabherr. Egal, welche Wut ihm entgegen geschlagen sei. Nun geht er in Rente und berichtet in eigenen Worten über den Kampf für Arbeitnehmer im Laufe der Zeit.
Doch erst einmal zur Person: Bereits in der Schulzeit engagierte sich Werner Langenbacher in der Jugendarbeit und für soziale Gerechtigkeit in seiner Heimat im Schwarzwald. Er studierte Theologie und wurde Pastoralreferent. Erst arbeitete er in Rottenburg, dann, Ende der 1980er Jahre, startete der Familienvater als Betriebsseelsorger in Oberschwaben. Neben der Beratung initiierte Langenbacher über die Jahre unter anderem Obdachlosen-Treffs, das Secondhand Kaufhaus „Fairkauf“in Weingarten und bekam 2009 das Bundesverdienstkreuz verliehen.
„Nur durch gute Arbeit ist ein gutes Leben möglich“sei die ständige Überschrift seiner Arbeit gewesen, sagt Langenbacher. Er sei eine unkomplizierte Ansprechperson, dem viele Mitarbeiter ihren privaten Problemen anvertraut hätten, sagt der ehemalige Betriebsratsvorsitzende des sozialen Trägers KBZO, Gerhard Rothenhäusler. „Er hat wochenlang in Betrieben mitgearbeitet, um Probleme zu verstehen. Das ist schon außergewöhnlich.“Missstände habe er damit früh aufgespürt und angesprochen, sagt Rothenhäusler. „Für mich ist Werner das soziale Gewissen Oberschwabens.“
Für die Leserinnen und Leser der „Schwäbische Zeitung“blickt Werner Langenbacher nochmal auf den Wandel der Arbeit in der Region zurück. Er zeigt: Problemstellungen der 1990er-Jahre sind heute zwar vergessen, unser Wirtschaftssystem macht jedoch immer mehr Menschen krank. Die vier Punkte im Protokoll:
1990er-Jahre: Rezession und Massenentlassungen
„Meine Arbeit als Betriebsseelsorger für die Region begann Anfang der 1990er-Jahre mit einer bundesweiten Rezession. Im Jahr 1994 wurden dann auch im Landkreis Ravensburg und im Bodenseekreis massenhaft Leute entlassen. Wir starteten damals viele Aktionen, beispielsweise Demos auf Marktplätzen. Wir halfen den Menschen aber vor allem auf zwei Weisen: bei rechtlichen Fragen und psychosozial.
Die Hilfsanfragen waren so zahlreich, dass ich ein kleines Team aus vier ehrenamtlichen Beratern zusammenstellte, die den frisch gekündigten Menschen bei den rechtlichen Fragen zur Seite standen. So konnte ich mich damals auf die seelischen Auswirkungen der Entlassungen fokussieren.
Es ging vor allem darum, zuzuhören und erste Schritte für einen Ausweg vorzuschlagen. Dabei gab durchaus positive Fälle. Eine Frau, Anfang 50, Büromitarbeiterin, wurde von einem Mittelständler auf die Straße gesetzt. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt waren schlecht. In den Büros der 90er-Jahre waren ITKenntnisse gefragt, die sie nicht hatte. Sie überwand ihren Frust, ergatterte eine Qualifizierungsmaßnahme und hatte rund ein Jahr nach der Entlassung eine neue Beschäftigung.“
2000er-Jahre: Konflikte und Mobbing
„Ende der 1990er-Jahre erholten sich die Wirtschaftszahlen und damit auch der Arbeitsmarkt. Doch ein neues Problem trat auf: Mobbing. Der Druck in den Betrieben stieg, die Umgangsformen wurden schlechter und teilweise wurden Mitarbeiter fertig gemacht. Es gab viele Fälle, in denen Angestellte für schlechte Leistung angegriffen wurden. Unter dem Druck wurden ihre Leistungen noch schlechter und Mobbing dadurch noch heftiger. Ein Teufelskreis.
Das ganze Jahrzehnt über kamen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit diesen oder ähnlichen Erfahrungen zu mir. Mobbing am Arbeitsplatz kommt immer noch vor, die Situation hat sich jedoch verbessert, da Betroffene durch die gute Arbeitsmarktlage
schneller einen neuen Arbeitsplatz finden. Unternehmen müssen sich viel mehr um Fachkräfte bemühen und sind daher zu einem harmonische Arbeitsklima auf Augenhöhe angewiesen.“
2010er-Jahre: Belastungen und Burn-Out
„Das dritte Jahrzehnt meiner Arbeit als Betriebsseelsorger begann wieder mit einem neuen Begriff: BurnOut. Unter dem Einfluss der Finanzkrise Ende der 2000er-Jahre gewann das Mantra Effizienz und Maximierung rasend schnell an Bedeutung. Jobs wurden multifunktionaler, der Einzelne bekam immer mehr Arbeitslast zu schultern – die Anzahl der Aufgaben stieg, während Personaldecken immer dünner wurden. Die steigende Arbeitsdichte in allen Branchen dauert bis heute an und erhöht die psychische Belastung der Angestellten. Eine Frau hat mir erst vor Kurzem ihren Alltag anvertraut. Sie weint auf dem Weg zur Arbeit, erledigt ihre Arbeit, und weint dann wieder auf der Heimfahrt. Zum Schlafen braucht sie meistens Medikamente. Das ist kein Leben, und doch geht es viel zu vielen so. Die von Burn-Out betroffenen Menschen kommen häufig mit einem Tunnelblick zu uns – sie sehen nur schwarz. Wir helfen ihnen, erste Schritte zu gehen, um wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wir gehen aber auch auf die Arbeitgeber zu, um ihnen klarzumachen, dass die Arbeit ihre Angestellten krank macht.“
Zukunft: Weniger ist mehr
„Auch in den kommenden Jahren werden psychische Krankheiten durch Arbeitsbelastung ein großes Problem bleiben. Das ist natürlich auch für Unternehmen ein Problem, deren rare Fachkräfte lange ausfallen. Wir brauchen daher eine Veränderung in den Unternehmen.
Es geht um Mäßigung. Es darf nicht mehr nur darum gehen, möglichst viele Aufträge anzunehmen, sondern darum, auf die Belastungsgrenze der Belegschaft zu blicken. Unternehmer müssen auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören, ihnen auf Augenhöhe begegnen und verstärkt wertschätzen.
Hier kritisieren wir als Betriebsseelsorge aber auch das Wirtschaftssystem. Ich habe in den letzten Jahren viele Vorträge und Seminare dazu gehalten oder organisiert, dass wir auch anders, gesünder wirtschaften können. Das kapitalistische System muss nicht auf Effektivität und Maximierung gebaut sein. Es ist auch ein Wirtschaften möglich, welches Gemeinwohl im Blick hat und dennoch Wohlstand erzielt.“
„Für mich ist Werner das soziale Gewissen Oberschwabens.“Gerhard Rothenhäusler, ehemaliger KBZO-Betriebsratsvorsitzender