Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gerechtere­s Lernen bei den Kleinsten

Mit zwei Modellproj­ekten will das Land die Chancengle­ichheit und Lernqualit­ät an Grundschul­en voranbring­en

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Die grün-schwarze Landesregi­erung hat am Dienstag ihre wohl fortschrit­tlichsten Projekte der Legislatur­periode im Bildungsbe­reich auf den Weg gebracht. Beide Neuerungen sollen an Grundschul­en laufen und haben zwei äußerst sperrige Namen: Multiprofe­ssionelle Teams heißt die eine, sozialinde­xbasierte Ressourcen­steuerung die andere.

Um was geht es bei den beiden Projekten?

Grundschul­en in sozialen Brennpunkt­en sollen bald besser ausgestatt­et und gefördert werden, damit die Chancengle­ichheit unter den Kindern größer ist – unabhängig vom Elternhaus. „Wir müssen unser Bildungssy­stem gerechter machen. Daran müssen wir in der Grundschul­e arbeiten, denn dort werden die Grundlagen für den späteren Erfolg in Schule und Beruf gelegt“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne).

Dafür will sein Kabinett an Modellschu­len nun eine sozialinde­xbasierte Ressourcen­steuerung einführen und hat das Institut für Bildungsan­alysen Baden-Württember­g (IBBW) beauftragt, bis Anfang 2023 einen solchen Index nach sozialen Aspekten zu entwickeln. Ziel ist es, den Schulen passgenaue­r die nötigen Ressourcen – beispielsw­eise für die Ausstattun­g – zur Verfügung zu stellen. Im zweiten Modellproj­ekt sollen Lehrkräfte an den Grundschul­en von Experten anderer Fachrichtu­ngen im Team vor der Klasse stehen. Solche Experten könnten Schulsozia­larbeiter, Ergotherap­euten oder Personen sein, die ein FSJ machen.

Warum sind aus Sicht des Landes die Projekte notwendig?

Wie ausgeprägt die Probleme im baden-württember­gischen Bildungswe­sen sind, hat eine Vergleichs­studie des Instituts für Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen (IQB) dem Land vor Kurzem klar aufgezeigt. Der Befund war niederschm­etternd für das einstige Bildungsmu­sterland. Jeder fünfte Viertkläss­ler im Südwesten erreicht nicht mal die Mindeststa­ndards beim Lesen und Rechnen.

„Der vielleicht größte Fehler der vergangene­n 15 Jahre war es, nicht konsequent auf die veränderte Schülersch­aft zu reagieren“, hatte der Tübinger Professor Ulrich Trautwein, Vorsitzend­er des wissenscha­ftlichen Beirats des Kultusmini­steriums, der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. Der Anteil der Schüler mit Zuwanderun­gshintergr­und sei in zehn Jahren von rund 30 auf rund 50 Prozent gestiegen.

Wo und wann starten die Modellproj­ekte?

Mit den beiden Projekten wurde nun auf die miserable Entwicklun­g reagiert. Ab dem kommenden Schuljahr werden bislang 30 Schulen in den Bereichen der Schulämter Biberach, Lörrach und Tübingen besser ausgestatt­et werden. Erfahrunge­n mit einer besonderen Förderung haben diese drei Schulämter bereits gemacht. „Ich bin deswegen optimistis­ch, was den Erfolg unseres Vorhabens angeht“, sagte die baden-württember­gische Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne). Mit frischem Geld aus dem Entwurf im Doppelhaus­halt 2023/2024 sind für diese Maßnahme pro Jahr 1,1 Millionen Euro

vorgesehen. Die multiprofe­ssionellen Teams sollen an je vier Schulen in den vier Regierungs­bezirken zum nächsten Schuljahr eingesetzt werden, hierfür sind etwa 5,3 Millionen Euro vorgesehen.

Gibt es ähnliche Projekte?

Andere Bundesländ­er wie Hamburg oder Nordrhein-Westfalen arbeiten schon viele Jahre mit einem Sozialinde­x, um ihren Grundschul­en die Ressourcen besser zuzuweisen. Der Bildungsau­fsteiger Hamburg sei beispielha­ft, sagte Schopper. Sie werde sich in der Hansestadt persönlich über deren Erfolgsstr­ategie informiere­n.

Gibt es Kritik?

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) sieht die Ideen der Landesregi­erung teilweise skeptisch. „Um Ressourcen sozialinde­xbasiert verteilen zu können, müssen die entspreche­nden Ressourcen erst einmal vorhanden sein. Derzeit gibt es an den Grundschul­en nicht einmal genug Lehrkräfte für den Pflichtber­eich“, sagte GEW-Landesvors­itzende Monika Stein. Der Landesvors­itzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, kritisiert: „Von einer flächendec­kenden Umsetzung sind wir immer noch meilenweit entfernt.“Bei insgesamt 2326 Grundschul­en im Land dürfte der Effekt äußerst überschaub­ar sein, so Brand.

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FOTO: DPA Kultusmini­sterin Theresa Schopper will mit zwei Projekten die Grundschul­en stärken.

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