Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Rache ist mehr als Blutwurst
Georg Beckmann aus Freiburg betreibt einen Onlineshop der besonderen Art. Wer bei ihm etwas bestellt, will sich an jemandem rächen.
LINDAU - Wenn der freundliche DHL-Bote mit dem großen gelben Lieferwagen auf den Hof fährt, schlägt das Herz ein klein wenig höher. Pakete zu bekommen ist ja das ganze Jahr über ein bisschen wie Weihnachten. Wenn er dann auch noch so einen schönen großen Karton dalässt, steigt die Spannung beim Auspacken noch ein bissen mehr. Besonders, weil nirgends ein Absender auf dem Paket steht. Aus dem äußeren Karton kommt jetzt das Innere zum Vorschein: Eine große weiße Metalldose mit roter Schleife. Was kann das nur sein? Ein Christstollen? Verfrühte Weihnachtsplätzchen? Und: Was riecht hier eigentlich so komisch?
Wenn Georg Beckmann aus Freiburg im Auftrag anderer Menschen Pakete in die Welt hinausschickt, dann geschieht das vor allem aus einem Grund: „Die Leute wollen sich damit für etwas rächen“, erklärt der Mann mit eingebauter Ironie in der Stimme am Telefon. Das Geschäftsmodell dieses Herrn Ende 40 ist es, Denkzettel in Form von Päckchen und Paketen zu versenden. Unangenehme Lieferungen mit Sachen, die man nicht haben möchte. Beckmann nennt es Biorache. Und so heißt auch sein Onlineshop www.biorache.com. Dort finden sich diverse Geschenkverpackungen mit stinkigem Innenleben: „Pferdeäpfel aus nachhaltiger Landwirtschaft“, steht da geschrieben. Kuhfladen gibt’s ebenfalls. „Für Freunde exotischer Tiere habe ich den Dung vom Elefanten im Angebot“, sagt Beckmann und betont, dass es beim Versand der Exkremente darauf ankomme, dass sie nicht zu trocken seien. Er versende immer möglichst frische Ware. „Liebe Grüße ans Miststück inklusive.“
Was sich hier wie eine Schnapsidee als Geschäftsmodell liest, findet der Bestsellerautor und Psychotherapeut Reinhard Haller aus Feldkirch in Vorarlberg „nicht unoriginell“. Denn: „Rache ist ein Gefühl, das auch gute Seiten hat.“Als einer der wenigen Wissenschaftler überhaupt hat der Österreicher ein Buch zum Thema veröffentlicht. Es heißt „Rache: gefangen zwischen Macht und Ohnmacht“. Der 71-Jährige ist fest überzeugt: „Es geht dabei um Gerechtigkeit. Rache ist der Versuch, eine Ungerechtigkeit, die mir widerfahren ist, auszugleichen.“Haller glaubt, dass dieser Mechanismus unterschätzt wird und es wundert ihn, dass dazu nicht schon lange viel intensiver geforscht wird, denn: „Ich glaube, das, was wir gerade in der Ukraine sehen, ist auch eine Form von Rache. Die Rache eines gekränkten narzisstischen Führers.“Der mit seinem Verhalten den Zerfall des sowjetischen Riesenreichs gerächt sehen will. Krieg sei auch grundsätzlich immer ein Akt von Rache und Gegenrache.
Wenn es an der Türe klingelt und Post von Beckmanns Versand abgegeben wird, ist die Situation zum Glück deutlich harmloser wie auf den Kriegsschauplätzen im Osten der Ukraine. Was aber erhoffen sich die Leute von Pferdemist in der Schachtel? Wer beauftragt den Rachehändler aus Freiburg? Und warum? Die Gründe sind aus Beckmanns Sicht sehr vielfältig: „Da wollen Kollegen dem Mobber eins auswischen. Schüler dem Mitschüler, Nachbarn unter Nachbarn. Aus Rache bei Pfusch am Bau. Im Rosenkrieg. Die Gründe sind so bunt wie das Leben.“Verschickt werden die hübsch als Aufmerksamkeiten verpackten Fäkalien so gut wie immer anonym. Herr Beckmann legt aber auf Wunsch eine Grußbotschaft mit ins Paket. „Daraus wird dann oft schon ersichtlich, wer das geschickt hat.“
Der Psychologe ist in dieser Frage gespalten, wie wichtig es für den, der Rache ausübt, ist, dass der Empfänger der kleinen Bosheit auch weiß, von wem sie kommt und was sie eigentlich vergelten soll.
„Ich neige dazu, das schon wichtig zu finden“, erklärt Reinhard Haller. Andere Forscher sind indes davon überzeugt, dass das keine Rolle spielt und die positive Wirkung von Rache auch dann einsetzt, wenn der Rächer von der Reaktion seines Opfers nichts mitbekommt. Oder das Opfer aufgrund der Anonymität, wie sie Beckmann in seinem Shop in der Regel praktiziert, nicht sicher sein kann, von wem die Rache kommt. „Wichtig für eine gelungene Rache ist, dass sie nicht stärker ausfällt, als die ursprüngliche Ungerechtigkeit. Sonst drohen Fehden und nicht enden wollende Rachezyklen über Generationen hinweg“, erklärt Reinhard Haller.
Aus seiner psychotherapeutischen Praxis weiß er, dass bei vielen Menschen erst im Laufe einer Therapie herauskommt, dass sie eigentlich ein Racheproblem haben. „Es kann sein, dass sich Patienten wegen Zwängen behandeln lassen und sich aber mit einer Form von Rachegedanken herumschlagen.“Wenn diese Gefühle stark verdrängt und tabuisiert würden, könnten sie Leid bei den Betroffenen auslösen. Gedanken kreisten dann immer wieder um die widerfahrene Ungerechtigkeit. „Wenn man dem Gefühl der Rache zu stark nachgibt, wird man ihr Gefangener.“Verbitterung kann die Folge sein und der weitgehende Verlust von Lebensglück. Was also tun mit seinen negativen Emotionen? Wie verhindern, dass aus dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit im schlimmsten Fall Hass wird?
Georg Beckmann glaubt, die Lösung mit seinem Racheshop gefunden zu haben. „Und das auch noch in Bioqualität“, scherzt er. Er selbst habe immer wieder die absurdesten Ratschläge in der Regenbogenpresse gelesen, wie man sich Genugtuung verschafft. „Lächerliche Tipps, bei denen es meistens um Beziehungssachen geht.“Racheakte, die den gebürtigen Rheinländer in schallendes Gelächter ausbrechen lassen: Pflanzensamen auf feuchte Teppiche streuen. Garnelen in den Gardinenstangen verstecken, die dann langsam unter bestialischem Gestank vergammeln. Böse Worte mit Unkrautvernichter in den Rasen schreiben. „Das ist ja alles Blödsinn und hat meistens mit Sachbeschädigung zu tun.“
Bevor die Leute Autos zerkratzten, Reifen aufschlitzten oder noch Schlimmeres täten, sei es allemal besser, ein Paket Mist zu schnüren. „Man ist gedemütigt, beleidigt oder sonst irgendwie verletzt worden – damit wird man es los!“Ein Akt der Psychohygiene ab 7,90 Euro, etwa für Pferdeäpfel im Pizzakarton. Sendungsverfolgung kostet 2,70 Euro extra. Das moderate Preisniveau deutet bereits an: Vom Verkauf biologisch erzeugter Gehässigkeiten kann und muss Beckmann nicht alleine leben. Er ist in der Verwaltung eines Unternehmens tätig. Trotzdem: Das Geschäft laufe gut, wie hoch der Umsatz in Kilo Tiermist bemessen sei, könne er aber nicht sagen. Und ja, es gebe saisonal bedingte Schwankungen in der Nachfrage. „Zu Valentinstag und vor Weihnachten ist besonders viel los.“
Für Reinhard Haller ist eine Rache immer dann besonders gelungen, wenn niemand dabei zu schaden kommt – der Adressat aber eine Lektion bekommt. „Mir fällt da das Beispiel von Michelangelo ein.“Das Malergenie ist oft diskreditiert und angegriffen worden für seine damals revolutionäre Kunst. Unter den Kritikern hat es einen Kardinal gegeben, an dem sich Michelangelo gerächt hat, indem er einer Figur aus der Hölle dessen Gesicht verpasst hat. Worauf sich der erboste Kardinal beim Papst beschwerte. Dieser soll geantwortet haben, dass er da nichts machen könne. „Niemand außer Gott kann jemanden aus der Hölle befreien!“Als kleine Genugtuungen hat Michelangelo in den Gemälden der Sixtinischen Kapelle jede Menge Nackte versteckt.
Aus Sicht des Psychologen ist der nobelste Umgang mit Rachegefühlen das Verzeihen. Verzeihe man das widerfahrene Unrecht, verzeihe man im Grunde auch sich selbst für die ganzen Grübeleien und negativen Denkmuster. Haller – ebenfalls nicht frei von Rachegedanken – sagt von sich: „Es ist so, dass ich daran arbeite. Aber ich bin noch nicht am Ziel angekommen.“Man müsse versuchen, auf eine Position der Gelassenheit zu kommen. „Loslassen und diese ganzen Zwänge abschneiden können.“Im Prinzip habe schon Konfuzius mit seinem berühmten Ausspruch gezeigt, wie man es am besten machen solle: „Erzürne nicht, setze dich ans Ufer des ruhigen Flusses und warte, bis die Leichen deiner Feinde vorbeitreiben.“Außerdem sagt Haller, dass er und wir alle im Alltag kleine Racheakte verüben, ohne sie als solche wahrzunehmen: „Zum Beispiel, wenn wir dem unfreundlichen Kellner kein Trinkgeld geben.“
Georg Beckmann hat auf seinen Internetseiten ein ganzes Kompendium zum Thema Rache zusammengestellt. Und er erklärt darin verschiedene Akte der Vergeltung – und warum sie strafbar sind, entsprechende Paragrafen inklusive. Mit dem Konzept von Pferdeäpfeln statt Selbstjustiz sei mehr erreicht und noch dazu juristische Auseinandersetzungen und womöglich empfindliche Strafen auf originelle Weise vermieden.
Reinhard Haller hat als Gerichtsgutachter immer wieder mit Menschen zu tun, die im weiteren Sinn Opfer ihrer Rachegedanken geworden sind. „Ein starkes Motiv ist oft Liebesmangel oder Liebesentzug.“Der klassische Mord aus Eifersucht gehöre in diese Kategorie. „Frauenmorde und Sexualdelikte kann man mit dem Rachemodell erklären, wenn Täter sagen, sie hätten sich dafür gerächt, nicht geliebt worden zu sein.“
Und wie lässt sich nach Ansicht des Psychiaters die Spirale von Rache und Gegenrache in einem Krieg stoppen? Haller: „Man wird den Krieg nur beenden können, wenn man doch wieder ins Gespräch kommt. Ich weiß schon, dass das schwierig ist. Aber man muss dem Aggressor eine Möglichkeit geben, sein Gesicht nicht zu verlieren. Das wäre die hohe Kunst der Diplomatie.“
„Für Freunde exotischer Tiere habe ich den Dung vom Elefanten im Angebot.“Georg Beckmann verschickt Pakete mit Biorache