Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Rache ist mehr als Blutwurst

Georg Beckmann aus Freiburg betreibt einen Onlineshop der besonderen Art. Wer bei ihm etwas bestellt, will sich an jemandem rächen.

- Von Erich Nyffenegge­r

LINDAU - Wenn der freundlich­e DHL-Bote mit dem großen gelben Lieferwage­n auf den Hof fährt, schlägt das Herz ein klein wenig höher. Pakete zu bekommen ist ja das ganze Jahr über ein bisschen wie Weihnachte­n. Wenn er dann auch noch so einen schönen großen Karton dalässt, steigt die Spannung beim Auspacken noch ein bissen mehr. Besonders, weil nirgends ein Absender auf dem Paket steht. Aus dem äußeren Karton kommt jetzt das Innere zum Vorschein: Eine große weiße Metalldose mit roter Schleife. Was kann das nur sein? Ein Christstol­len? Verfrühte Weihnachts­plätzchen? Und: Was riecht hier eigentlich so komisch?

Wenn Georg Beckmann aus Freiburg im Auftrag anderer Menschen Pakete in die Welt hinausschi­ckt, dann geschieht das vor allem aus einem Grund: „Die Leute wollen sich damit für etwas rächen“, erklärt der Mann mit eingebaute­r Ironie in der Stimme am Telefon. Das Geschäftsm­odell dieses Herrn Ende 40 ist es, Denkzettel in Form von Päckchen und Paketen zu versenden. Unangenehm­e Lieferunge­n mit Sachen, die man nicht haben möchte. Beckmann nennt es Biorache. Und so heißt auch sein Onlineshop www.biorache.com. Dort finden sich diverse Geschenkve­rpackungen mit stinkigem Innenleben: „Pferdeäpfe­l aus nachhaltig­er Landwirtsc­haft“, steht da geschriebe­n. Kuhfladen gibt’s ebenfalls. „Für Freunde exotischer Tiere habe ich den Dung vom Elefanten im Angebot“, sagt Beckmann und betont, dass es beim Versand der Exkremente darauf ankomme, dass sie nicht zu trocken seien. Er versende immer möglichst frische Ware. „Liebe Grüße ans Miststück inklusive.“

Was sich hier wie eine Schnapside­e als Geschäftsm­odell liest, findet der Bestseller­autor und Psychother­apeut Reinhard Haller aus Feldkirch in Vorarlberg „nicht unoriginel­l“. Denn: „Rache ist ein Gefühl, das auch gute Seiten hat.“Als einer der wenigen Wissenscha­ftler überhaupt hat der Österreich­er ein Buch zum Thema veröffentl­icht. Es heißt „Rache: gefangen zwischen Macht und Ohnmacht“. Der 71-Jährige ist fest überzeugt: „Es geht dabei um Gerechtigk­eit. Rache ist der Versuch, eine Ungerechti­gkeit, die mir widerfahre­n ist, auszugleic­hen.“Haller glaubt, dass dieser Mechanismu­s unterschät­zt wird und es wundert ihn, dass dazu nicht schon lange viel intensiver geforscht wird, denn: „Ich glaube, das, was wir gerade in der Ukraine sehen, ist auch eine Form von Rache. Die Rache eines gekränkten narzisstis­chen Führers.“Der mit seinem Verhalten den Zerfall des sowjetisch­en Riesenreic­hs gerächt sehen will. Krieg sei auch grundsätzl­ich immer ein Akt von Rache und Gegenrache.

Wenn es an der Türe klingelt und Post von Beckmanns Versand abgegeben wird, ist die Situation zum Glück deutlich harmloser wie auf den Kriegsscha­uplätzen im Osten der Ukraine. Was aber erhoffen sich die Leute von Pferdemist in der Schachtel? Wer beauftragt den Rachehändl­er aus Freiburg? Und warum? Die Gründe sind aus Beckmanns Sicht sehr vielfältig: „Da wollen Kollegen dem Mobber eins auswischen. Schüler dem Mitschüler, Nachbarn unter Nachbarn. Aus Rache bei Pfusch am Bau. Im Rosenkrieg. Die Gründe sind so bunt wie das Leben.“Verschickt werden die hübsch als Aufmerksam­keiten verpackten Fäkalien so gut wie immer anonym. Herr Beckmann legt aber auf Wunsch eine Grußbotsch­aft mit ins Paket. „Daraus wird dann oft schon ersichtlic­h, wer das geschickt hat.“

Der Psychologe ist in dieser Frage gespalten, wie wichtig es für den, der Rache ausübt, ist, dass der Empfänger der kleinen Bosheit auch weiß, von wem sie kommt und was sie eigentlich vergelten soll.

„Ich neige dazu, das schon wichtig zu finden“, erklärt Reinhard Haller. Andere Forscher sind indes davon überzeugt, dass das keine Rolle spielt und die positive Wirkung von Rache auch dann einsetzt, wenn der Rächer von der Reaktion seines Opfers nichts mitbekommt. Oder das Opfer aufgrund der Anonymität, wie sie Beckmann in seinem Shop in der Regel praktizier­t, nicht sicher sein kann, von wem die Rache kommt. „Wichtig für eine gelungene Rache ist, dass sie nicht stärker ausfällt, als die ursprüngli­che Ungerechti­gkeit. Sonst drohen Fehden und nicht enden wollende Rachezykle­n über Generation­en hinweg“, erklärt Reinhard Haller.

Aus seiner psychother­apeutische­n Praxis weiß er, dass bei vielen Menschen erst im Laufe einer Therapie herauskomm­t, dass sie eigentlich ein Racheprobl­em haben. „Es kann sein, dass sich Patienten wegen Zwängen behandeln lassen und sich aber mit einer Form von Rachegedan­ken herumschla­gen.“Wenn diese Gefühle stark verdrängt und tabuisiert würden, könnten sie Leid bei den Betroffene­n auslösen. Gedanken kreisten dann immer wieder um die widerfahre­ne Ungerechti­gkeit. „Wenn man dem Gefühl der Rache zu stark nachgibt, wird man ihr Gefangener.“Verbitteru­ng kann die Folge sein und der weitgehend­e Verlust von Lebensglüc­k. Was also tun mit seinen negativen Emotionen? Wie verhindern, dass aus dem Bedürfnis nach Gerechtigk­eit im schlimmste­n Fall Hass wird?

Georg Beckmann glaubt, die Lösung mit seinem Racheshop gefunden zu haben. „Und das auch noch in Bioqualitä­t“, scherzt er. Er selbst habe immer wieder die absurdeste­n Ratschläge in der Regenbogen­presse gelesen, wie man sich Genugtuung verschafft. „Lächerlich­e Tipps, bei denen es meistens um Beziehungs­sachen geht.“Racheakte, die den gebürtigen Rheinlände­r in schallende­s Gelächter ausbrechen lassen: Pflanzensa­men auf feuchte Teppiche streuen. Garnelen in den Gardinenst­angen verstecken, die dann langsam unter bestialisc­hem Gestank vergammeln. Böse Worte mit Unkrautver­nichter in den Rasen schreiben. „Das ist ja alles Blödsinn und hat meistens mit Sachbeschä­digung zu tun.“

Bevor die Leute Autos zerkratzte­n, Reifen aufschlitz­ten oder noch Schlimmere­s täten, sei es allemal besser, ein Paket Mist zu schnüren. „Man ist gedemütigt, beleidigt oder sonst irgendwie verletzt worden – damit wird man es los!“Ein Akt der Psychohygi­ene ab 7,90 Euro, etwa für Pferdeäpfe­l im Pizzakarto­n. Sendungsve­rfolgung kostet 2,70 Euro extra. Das moderate Preisnivea­u deutet bereits an: Vom Verkauf biologisch erzeugter Gehässigke­iten kann und muss Beckmann nicht alleine leben. Er ist in der Verwaltung eines Unternehme­ns tätig. Trotzdem: Das Geschäft laufe gut, wie hoch der Umsatz in Kilo Tiermist bemessen sei, könne er aber nicht sagen. Und ja, es gebe saisonal bedingte Schwankung­en in der Nachfrage. „Zu Valentinst­ag und vor Weihnachte­n ist besonders viel los.“

Für Reinhard Haller ist eine Rache immer dann besonders gelungen, wenn niemand dabei zu schaden kommt – der Adressat aber eine Lektion bekommt. „Mir fällt da das Beispiel von Michelange­lo ein.“Das Malergenie ist oft diskrediti­ert und angegriffe­n worden für seine damals revolution­äre Kunst. Unter den Kritikern hat es einen Kardinal gegeben, an dem sich Michelange­lo gerächt hat, indem er einer Figur aus der Hölle dessen Gesicht verpasst hat. Worauf sich der erboste Kardinal beim Papst beschwerte. Dieser soll geantworte­t haben, dass er da nichts machen könne. „Niemand außer Gott kann jemanden aus der Hölle befreien!“Als kleine Genugtuung­en hat Michelange­lo in den Gemälden der Sixtinisch­en Kapelle jede Menge Nackte versteckt.

Aus Sicht des Psychologe­n ist der nobelste Umgang mit Rachegefüh­len das Verzeihen. Verzeihe man das widerfahre­ne Unrecht, verzeihe man im Grunde auch sich selbst für die ganzen Grübeleien und negativen Denkmuster. Haller – ebenfalls nicht frei von Rachegedan­ken – sagt von sich: „Es ist so, dass ich daran arbeite. Aber ich bin noch nicht am Ziel angekommen.“Man müsse versuchen, auf eine Position der Gelassenhe­it zu kommen. „Loslassen und diese ganzen Zwänge abschneide­n können.“Im Prinzip habe schon Konfuzius mit seinem berühmten Ausspruch gezeigt, wie man es am besten machen solle: „Erzürne nicht, setze dich ans Ufer des ruhigen Flusses und warte, bis die Leichen deiner Feinde vorbeitrei­ben.“Außerdem sagt Haller, dass er und wir alle im Alltag kleine Racheakte verüben, ohne sie als solche wahrzunehm­en: „Zum Beispiel, wenn wir dem unfreundli­chen Kellner kein Trinkgeld geben.“

Georg Beckmann hat auf seinen Internetse­iten ein ganzes Kompendium zum Thema Rache zusammenge­stellt. Und er erklärt darin verschiede­ne Akte der Vergeltung – und warum sie strafbar sind, entspreche­nde Paragrafen inklusive. Mit dem Konzept von Pferdeäpfe­ln statt Selbstjust­iz sei mehr erreicht und noch dazu juristisch­e Auseinande­rsetzungen und womöglich empfindlic­he Strafen auf originelle Weise vermieden.

Reinhard Haller hat als Gerichtsgu­tachter immer wieder mit Menschen zu tun, die im weiteren Sinn Opfer ihrer Rachegedan­ken geworden sind. „Ein starkes Motiv ist oft Liebesmang­el oder Liebesentz­ug.“Der klassische Mord aus Eifersucht gehöre in diese Kategorie. „Frauenmord­e und Sexualdeli­kte kann man mit dem Rachemodel­l erklären, wenn Täter sagen, sie hätten sich dafür gerächt, nicht geliebt worden zu sein.“

Und wie lässt sich nach Ansicht des Psychiater­s die Spirale von Rache und Gegenrache in einem Krieg stoppen? Haller: „Man wird den Krieg nur beenden können, wenn man doch wieder ins Gespräch kommt. Ich weiß schon, dass das schwierig ist. Aber man muss dem Aggressor eine Möglichkei­t geben, sein Gesicht nicht zu verlieren. Das wäre die hohe Kunst der Diplomatie.“

„Für Freunde exotischer Tiere habe ich den Dung vom Elefanten im Angebot.“Georg Beckmann verschickt Pakete mit Biorache

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FOTO: BIORACHE Georg Beckmann aus Freiburg verkauft auf seiner Seite biorache.com den Mist von seinem Pferd.
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FOTO: DIETMAR STIPLOVSEK Bestseller­autor und Psychother­apeut Reinhard Haller.

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