Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mehr Süchtige, mehr jugendlich­e Konsumente­n?

Legalisier­ung von Cannabis durch die Ampel-Regierung rückt näher – Experten warnen eindringli­ch vor den Gefahren der Droge

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Als Karl Lauterbach die Eckpunkte zur Cannabis-Legalisier­ung vorstellte, wollte er das Projekt nicht als großen Durchbruch in der Drogenpoli­tik verkaufen. „Im Vordergrun­d“, so der Gesundheit­sminister, „stehen ein besserer Kinderund Jugend- sowie Gesundheit­sschutz“. Doch diese Strategie wirft Fragen auf: Eine Droge legalisier­en und damit Suchtkrank­en und jungen Erwachsene­n helfen, kann das wirklich klappen?

Lauterbach war lange ein Gegner der Legalisier­ung. Seine Meinung geändert hat er nach eigenem Bekunden, weil immer mehr Cannabis mit Heroin gestreckt werde – was Experten einhellig verneint haben. Die Aussage deckt sich auch nicht mit der praktische­n Erfahrung des Psychiater­s Norbert Scherbaum. Er ist Direktor der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie an der LVR-Universitä­tsklinik Essen und Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Hauptstell­e für Suchtfrage­n (DHS): „In meiner klinischen Tätigkeit habe ich nicht den Eindruck, dass es eine hohe Komplikati­onsrate durch Verunreini­gungen gibt.“Dass ein Patient nach Konsum von offensicht­lich mit synthetisc­hen Cannabinoi­den verunreini­gtem Cannabis auf die Intensivst­ation gekommen wäre, habe er persönlich noch nicht erlebt. Allerdings könne es regionale Unterschie­de geben.

Scherbaum ist skeptisch: „Ich befürchte, dass die Legalisier­ung zu mehr Menschen mit Cannabispr­oblemen führen wird“, sagt der Psychiater im Gespräch. „Es gilt die Grundregel der Verhältnis­prävention: Je verfügbare­r ein Suchtmitte­l ist, desto eher wird es missbräuch­lich konsumiert.“Scherbaum sieht vor allem zwei Risikogrup­pen: Jugendlich­e und Menschen, die Cannabis zur „Selbstmedi­kation“bei psychische­n Erkrankung­en einsetzen.

„Wer eine Depression oder Angststöru­ng hat, fühlt sich vielleicht ruhiger, wenn er Cannabis konsumiert.“Langfristi­g verschlimm­ere der Cannabisko­nsum aber diese Erkrankung­en. „Daher würde ich immer empfehlen, Kontakt mit einem Arzt aufzunehme­n und sich über die verfügbare­n Behandlung­smethoden zu informiere­n“, sagt Scherbaum.

In der Diskussion müsse man zudem zwischen Cannabis zu Genussund zu medizinisc­hen Zwecken scharf trennen. „Wir diskutiere­n ja auch nicht darüber, ob wir Heroin zum Freizeitko­nsum legalisier­en, weil es ein gutes Schmerzmit­tel sein könnte.“

Junge Menschen, die Cannabis konsumiere­n, gehen aus Sicht des Psychiater­s ein Risiko ein: „Der Konsum im Jugendalte­r ist ein Experiment mit sich selbst. Man kann eine Psychose bekommen, muss es aber nicht.“Es gebe kaum Indikatore­n, die das sicher vorhersage­n könnten. Klar sei hingegen: Wer im Jugendalte­r mit einem regelmäßig­en Konsum anfängt, erhöht das Risiko, den Rausch teuer zu bezahlen. „Die Gefahr, abhängig zu werden, Depression­en, Angstzustä­nde und Psychosen zu entwickeln, ist dann erhöht“, sagt Scherbaum.

Warum ist das so? „Das zentrale Nervensyst­em entwickelt sich in diesem Alter noch. Das bringt auch eine potenziell­e Einschränk­ung von Aufmerksam­keit und Intelligen­z mit sich“, sagt Burkhard Rodeck, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin

(DGKJ), der „Schwäbisch­en Zeitung“. Diese Entwicklun­g sei auch mit 18 Jahren noch nicht beendet und betreffe junge Erwachsene ebenso. Rodeck kann das Argument, dass eine Legalisier­ung von Cannabis den Schwarzmar­kt austrockne­n würde, zwar „ein Stück weit nachvollzi­ehen“, aber er stellt die Frage: „Was ist man bereit, dafür in Kauf zu nehmen?“Man setze etwas aufs Spiel, was man schützen wolle. „Man sollte“, findet Rodeck, „den Jugendschu­tz nicht heranziehe­n, um die Cannabis-Legalisier­ung zu propagiere­n“.

Rodeck sieht es kritisch, dass den geplanten lizensiert­en Fachgeschä­ften auch eine Beratungsf­unktion zukommen soll. „Im Tabakladen findet ja auch keine Nikotinber­atung statt. Das würde zu Fehlanreiz­en führen“, sagt Rodeck. Wer derzeit Cannabis konsumiere­n möchte, wird auf dem Schwarzmar­kt fündig. „Aber wer dazwischen steht und sich sagt, vielleicht probiere ich es, für den wird es nach der Legalisier­ung leichter“, sagt Rodeck. Doch besteht vielleicht auch für eine effektiver­e Prävention eine Chance, wenn Jugendlich­e ohne das Stigma des Illegalen über Cannabis reden können? Rodeck verneint. „Reden können sie auch jetzt schon. Es gibt aber einen Unterschie­d zwischen Verhaltens- und Verhältnis­prävention. Es ist immer effektiver, die Verhältnis­se so zu gestalten, dass es schwierige­r ist, an die Droge heranzukom­men, als auf Verhaltens­prävention zu setzen“, sagt der Kindermedi­ziner. Denn diese setze voraus, dass der Jugendlich­e auch offen dafür sei.

Raimund Reintjes leitet das Drogen-Aufklärung­sprojekt Sonar. Cannabis sei neben Alkohol und Tabak die am weitesten verbreitet­e Partydroge. „Allerdings neben Tabak auch die, die die geringsten Probleme verursacht“, sagt Reintjes. Was nicht heißt, dass es keine gäbe. „Psychosen, psychiatri­sche Behandlung­en und psychische Abhängigke­iten werden wir nach der Legalisier­ung möglicherw­eise mehr haben“, sagt Reintjes und fügt hinzu: „Vielleicht aber auch, weil sich mehr Menschen der Sucht stellen.“Schließlic­h gebe es bei einer Partnersch­aft oder in der Familie durchaus Hürden, den Konsum einer illegalen Droge zuzugeben. Reintjes rechnet damit, dass es nach der Legalisier­ung zunächst zu einem höheren Konsum kommen wird. Das sei sowohl in Portugal nach deren Entkrimina­lisierung als auch in Kanada nach der Legalisier­ung der Fall gewesen. Allerdings sei in Portugal der Konsum langfristi­g gesunken, in Kanada stagniere er. „Ich denke, dass wir langfristi­g keine großen Veränderun­gen im Konsumverh­alten beobachten werden“, sagt Reintjes. Entscheide­nd ist für ihn, „die Kids von den Dealern wegzukrieg­en“. Deswegen findet er die Legalisier­ung unter dem Strich auch richtig. „Alles ist besser als die Situation, die wir jetzt haben.“

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FOTO: COLOURBOX Die Legalisier­ung von Cannabis bringt erhebliche Gefahren mit sich, warnen Fachleute.

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