Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Kein Kriegsverbrechen darf ungesühnt bleiben“
Die G7 wollen die Ermittlungstätigkeit angesichts russischer Gräueltaten in der Ukraine konsequent verfolgen
BERLIN - Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sorgten immer wieder Kriegsverbrechen für Schlagzeilen: an Orten wie Butscha, Irpin oder Cherson. Die Justizminister der führenden Industriestaaten haben am Dienstag bei einem Treffen in Berlin festgelegt, wie sie solche Verbrechen effizienter verfolgen wollen. „Kein Kriegsverbrechen darf ungesühnt bleiben“, sei das gemeinsame Ziel, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Die wichtigsten Fragen.
Wie wollen die G7-Staaten bei Kriegsverbrechen in Zukunft besser ermitteln?
Buschmann nannte drei wesentliche Änderungen: Damit Zeugenaussagen rechtssicher verwertet werden können, sollen Befragungen in Zukunft vor allem von geschulten Ermittlerinnen und Ermittlern durchgeführt werden und eher nicht von Nichtregierungsorganisationen, die im Übrigen, so Buschmann, in der Ukraine „hervorragende Arbeit“leisteten. Außerdem wolle man erneute Traumatisierungen vermeiden, etwa wenn Gewaltopfer ihre Aussagen vor unterschiedlichen Instanzen mehrfach wiederholen müssen. Überdies wolle man in Zukunft die Ermittlungsarbeit der verschiedenen Staaten
besser koordinieren. Zu den G7 zählen neben Deutschland noch die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan.
Welches Gericht ist für Verfahren gegen mögliche Kriegsverbrecher zuständig?
Das ist noch nicht klar. Die EU-Kommission und die Bundesregierung sehen die Zuständigkeit in erster Linie beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Die ukrainische Staatsführung und unter anderem die baltischen Staaten fordern dagegen ein internationales Sondertribunal nach Art der Nürnberger Prozesse. Aber auch deutsche Gerichte könnten tätig werden.
Wegen welcher Straftaten wird ermittelt?
Unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Mord, Vergewaltigung, Folter. Dokumentiert werden dabei nicht nur mögliche Kriegsverbrechen auf russischer, sondern auch auf ukrainischer Seite. Die G7-Justizminister zählen in ihrer Berliner Erklärung auch die gezielte Vernichtung von Infrastruktur (Strom- und Wasserversorgung) zu den von Russland verübten „abscheulichen Kriegsverbrechen“.
In wie vielen Fällen wird ermittelt?
Nach Angaben von Justizminister Buschmann ermitteln die ukrainischen Behörden in 50.000 Fällen wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen. 600 Tatverdächtige wurden identifiziert.
Die Ukraine war mehrfach Ort schwerer politischer Verbrechen. Der Bundestag beschäftigt sich nun mit dem stalinschen Hungerterror. Worum geht es?
In den Jahren 1932 und 1933 starben in der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik 3,5 Millionen Menschen an Hunger. Vorausgegangen war dem sogenannten Holodomor (Tötung durch Hunger) die vom sowjetischen Diktator Josef Stalin angewiesene Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Der Deutsche Bundestag will an diesem Mittwoch auf Antrag der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU eine Resolution beschließen, die den „Holodomor“als Völkermord einstuft.