Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein bisschen Hoffnung für die Schlecker-Frauen
Insolvenzverwalter will frühere Lieferanten nach Richterspruch zur Kasse bitten – Marke vor Rückkehr
RAVENSBURG/KARLSRUHE - Fast elf Jahre ist die Pleite der Drogeriemarktkette Schlecker her. Noch immer beschäftigt der spektakuläre Fall die Gerichte. Jetzt können die Gläubiger auf einen Millionenbetrag von früheren Lieferanten des SchleckerImperiums hoffen. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss die Schadenersatzklage des Insolvenzverwalters erneut geprüft werden (Az. KZR 42/20). Doch frühere Schlecker-Mitarbeiterinnen sind noch wenig optimistisch.
Es geht um mindestens 212 Millionen Euro, die Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz von mehreren großen Drogerieartikel-Herstellern einfordert. Das Bundeskartellamt hatte gegen diese Unternehmen Bußgelder verhängt, weil sie zwischen 2004 und 2006 Informationen ausgetauscht hatten. Geiwitz ist der Ansicht, dass Schlecker deshalb im Einkauf überhöhte Preise zahlen musste. Bisher hatte seine Klage keinen Erfolg. Doch jetzt hat der Bundesgerichtshof entscheiden, das Frankfurter Oberlandesgericht hätte die Forderungen vorschnell abgewiesen. Nun muss dort alles noch einmal neu geprüft werden.
Nach der Schlecker-Insolvenz 2012 verloren viele Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit, viele Überstunden und Ansprüche auf Urlaubs- oder Weihnachtgeld blieben unbezahlt. Das Geld aus der Kartellklage würde in erster Linie den damaligen Angestellten, der Bundesagentur für Arbeit und den Sozialkassen zugutekommen. „Wir sehen uns durch das Urteil des BGH bestätigt und werden vor dem Oberlandesgericht alles dafür tun, unsere Schadensersatzforderungen durchzusetzen“, teilte Geiwitz auf Anfrage mit.
Die frühere Schlecker-Mitarbeiterin Andrea Straub macht sich indessen wenig Hoffnung: „Wir brauchen uns nicht zu freuen. Das kassiert sowieso der Staat“, sagt Straub im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Straub betreibt zusammen mit Karin Beck und ihrer Mitarbeiterin Erika Kleiner in Stetten am kalten Markt (Kreis Sigmaringen) das Geschäft „Drehpunkt“. Sie haben den Laden vor neun Jahren gegründet, in den Räumen, der früher ein Schlecker-Markt war und ihr Arbeitgeber. Die Gründung war damals nicht einfach, doch die Frauen waren es bereits gewöhnt zu kämpfen. Mittlerweile
sind Straub und ihre Mitstreiterinnen enttäuscht. Bereits im Juli haben sie und andere ehemalige Mitarbeiter eine Zahlung bekommen. Doch das sei zu wenig gewesen: „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt sie. Das meiste Geld sei „an den Staat“gegangen, kritisiert Straub.
Ein Sprecher des Insolvenzverwalters Geiwitz erklärt dazu, dass im Juli an die rund 22.600 ehemaligen Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter ein Abschlag aus der Konkursmasse gezahlt worden sei . Insgesamt waren es rund 21,3 Millionen Euro. Das entspreche rund 15 Prozent der jeweiligen Ansprüche. In der damaligen Mitteilung heißt es dazu: „Die Mehrheit wird mit dieser Abschlagszahlung eine niedrige bis mittlere dreistellige Summe erhalten.“
Aus Sicht von Andrea Straub ist das jedoch kein Ausgleich für die vor der Insolvenz geleisteten und nicht bezahlten Überstunden. Aus ihrer Sicht wäre es gerecht, wenn zunächst die früheren Arbeitnehmer Geld erhalten. Zu den sogenannten Massegläubigern der Firma Anton Schlecker
gehören jedoch auch Krankenkassen, Sozialversicherungen und die Bundesagentur für Arbeit. Über die Chancen, weitere Millionen für die Insolvenz-Geschädigten einzufordern, will sich Geiwitz nicht äußern. Doch er betont: „Die Kartellklagen sind ein Kampf für die MasseGläubiger und damit vor allem auch für die Schlecker-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wie auch für jeden Steuerzahler, da die Bundesagentur für Arbeit hohe Ansprüche aus dem Verfahren hat.“
In der Mitteilung zur Abschlagszahlung heißt es außerdem: „Alle weiteren Ansprüche bleiben vollständig bestehen. Ob und in welcher Höhe diese beglichen werden, kann erst zum Ende des Insolvenzverfahrens ermittelt werden.“
Aktuell geht der Insolvenzverwalter davon aus, das Verfahren in zwei bis drei Jahren abzuschließen. Das Frankfurter Oberlandesgericht werde vermutlich einen Gutachter damit beauftragen, zu prüfen, ob durch die Preisabsprachen für Schlecker tatsächlich ein Schaden entstanden ist und wie hoch dieser ist. Mit einem Ergebnis werde im zweiten Quartal 2024 gerechnet.
In seinen besten Zeiten machte die Drogeriemarktkette Schlecker sieben Milliarden Euro Umsatz, beschäftigte rund 50.000 Mitarbeiter und betrieb 14.000 Filialen, die selbst in kleinen Orten zu finden waren. Das ist längst Geschichte, die Marke soll indessen wiederbelebt werden und auch neue Schlecker-Märkte mit dem Namen „Schlecker Plus“sollen bald entstehen. Der Tiroler Unternehmer Patrick Landrock hat sich über seine Beteiligungsgesellschaft Kitz-Venture in Kitzbühel die Markenrechte gesichert.
Im ersten Quartal 2023 will Landrock die ersten 53 Märkte in Deutschland und Österreich an den Start bringen, wie ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilte. Ursprünglich war die Eröffnung für den Herbst dieses Jahres geplant. Was den Umgang mit Mitarbeitern angehe, wolle man sich bewusst vom früheren Unternehmen Schlecker absetzen, betonte der Sprecher: „Allerdings haben wir Respekt vor der Lebensleistung von Anton Schlecker.“Zunächst will Kitz-Venture 150 Millionen Euro investieren. Die Geschäfte sollen jeweils mindestens 1800 Quadratmeter groß sein und mit Lebensmitteln wie auch mit Drogerieartikeln ein Vollsortiment anbieten. Zum Vergleich: ehemalige Schlecker-Filialen hatten zwischen 180 und 300 Quadratmeter.
Zwar soll die Zentrale der neuen Schlecker-Märkte in NordrheinWestfalen aufgebaut werden - zum Ort macht das Unternehmen keine Angaben. Doch einen Standort in Ehingen, wo die Wurzeln von Schlecker liegen, wird es auf alle Fälle geben, versichert der Sprecher. Geplant ist demnach eine Verzahnung von stationärem und Online-Geschäft. An den ersten 53 Standorten sollen neue Konzepte getestet werden, wie etwa ein Lieferdienst, der die bestellte Ware innerhalb von 90 Minuten zum Kunden bringen soll. Nach Angaben des Sprechers bewerben sich bereits frühere Schlecker-Frauen bei dem neuen Betreiber.