Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Es leuchtet und glitzert wieder
Weihnachtsmärkte erneut gut besucht – Kulturwissenschaftler sieht Identitätskrise
BONN (KNA) - Weihnachtszauber weit und breit? In ganz Deutschland haben die Weihnachtsmärkte geöffnet – fast 3000 zwischen Flensburg bis Friedrichshafen, wie der Deutsche Schaustellerbund (DSB) schätzt. 28 Tage Glühwein-, Bratwurst- und Reibekuchenduft. Ein sehr langer Advent, erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen.
Aufatmen für die gebeutelten Innenstädte, die durch Corona und verstärktes Online-Shoppen ziemlich gelitten haben. Aufatmen auch für die Schausteller, die angesichts vieler wegen Corona ausgefallener Jahrmärkte und Kirmes-Veranstaltungen um ihre Existenz fürchteten. Auf fast 2,9 Milliarden Euro schätzt der Verband den Umsatz der Weihnachtsmärkte in der Vor-Corona-Zeit.
Der Zuspruch sei bislang sehr gut, sagt der Hauptgeschäftsführer des DSB, Frank Hakelberg. Schon die Volksfeste im Sommer hätten gezeigt, dass sich die Menschen wieder nach Gemeinschaftserlebnissen sehnten. „Es gab nicht die befürchtete Pleitewelle“, so der Verbandschef. Dank staatlicher Hilfen. „Aber die Branche hat auch überlebt, weil viele der Familienbetriebe
Nischen gesucht haben“, weiß er.
Dass dann wegen des Krieges in der Ukraine und der drohenden Energieknappheit die Weihnachtsmärkte erneut von Politikern und Umweltschützern infrage gestellt wurden, hat den Schaustellerbund verärgert. Schließlich hätten die Betriebe schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse seit Jahren auf LED-Beleuchtung umgestellt und zuletzt auch in energiesparende Technik für Fritteusen, Grills und Getränke investiert.
„Natürlich verbrauchen Weihnachtsmärkte Strom, aber unsere 160 Millionen Gäste würden stattdessen in ihren geheizten und erleuchteten Wohnungen sitzen, Fernsehen oder Computer nutzen und Essen kochen“, rechnet Hakelberg vor. So gesehen, seien die Märkte sogar Energiesparer. Auf stimmungsvolle Beleuchtung wollen die Schausteller aber auf keinen Fall verzichten. „Licht gehört wie Duft zum Weihnachtsmarkt dazu und ist ein elementarer Bestandteil der Stimmung“, sagt der Hauptgeschäftsführer. „,Licht aus’ bedeutet schlicht: Der Spaß ist vorbei.“
Klar ist, dass wegen der Energiekrise auch auf den Märkten die Preise für Glühwein, Bratwurst und Karussells
steigen. „Wir wissen aber, dass die Weihnachtsmärkte familienorientierte Feste sind“, sagt Hakelberg. „Da müssen die Preise auch für Familien tragbar bleiben.“
Bleibt die Frage nach der inhaltlichen Gestaltung. Der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder sieht sie in einer Identitätskrise. Insbesondere die großen Märkte mit ihren Fahrgeschäften entwickelten sich immer mehr zu einer Winterkirmes, sagte er. Sie würden austauschbar und beliebig.
Aus Sicht des Kulturhistorikers fehlt den Weihnachtsmärkten mittlerweile ein Markenkern. „Die Krippe steht neben dem Rentier und der Après-Ski-Hütte.“Innovationen beschränkten sich darauf, dass neben Glüchwein auch Caribic Punsch oder Glühgin angeboten werde.
Das hat aus seiner Sicht auch mit dem Ansehensverlust der Kirchen und der schwindenden Bedeutung des christlichen Glaubens in der Gesellschaft zu tun. Aus Weihnachten wird erst Christmas, dann X-Mas. Und aus dem Nikolaus der Weihnachtsmann, das russische Väterchen Frost oder gleich ein gemütlicher Bär mit Zipfelmütze. „Die heutige Dekoration ist eine Mischung aus Fantasyroman, Ikea und Landlust“, sagt Hirschfelder. Dass in diesem Jahr wegen der Energiekrise auch noch viele Kirchen, die oft als Anker die Atmosphäre der Märkte bestimmten, auf festliche Beleuchtung verzichteten, trage zu einer weiteren Entleerung bei.
Hakelberg sieht das ein wenig anders: Zwar gebe es die großen Weihnachtsmärkte mit viel Trubel und Kirmescharakter. Andererseits aber seien viele kleine und feine Märkte in Dörfern, Klöstern oder Höfen entstanden, die Wert auf Handwerk, Regionales und besinnliche Atmosphäre legten.