Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Es leuchtet und glitzert wieder

Weihnachts­märkte erneut gut besucht – Kulturwiss­enschaftle­r sieht Identitäts­krise

- Von Christoph Arens

BONN (KNA) - Weihnachts­zauber weit und breit? In ganz Deutschlan­d haben die Weihnachts­märkte geöffnet – fast 3000 zwischen Flensburg bis Friedrichs­hafen, wie der Deutsche Schaustell­erbund (DSB) schätzt. 28 Tage Glühwein-, Bratwurst- und Reibekuche­nduft. Ein sehr langer Advent, erstmals wieder ohne Corona-Beschränku­ngen.

Aufatmen für die gebeutelte­n Innenstädt­e, die durch Corona und verstärkte­s Online-Shoppen ziemlich gelitten haben. Aufatmen auch für die Schaustell­er, die angesichts vieler wegen Corona ausgefalle­ner Jahrmärkte und Kirmes-Veranstalt­ungen um ihre Existenz fürchteten. Auf fast 2,9 Milliarden Euro schätzt der Verband den Umsatz der Weihnachts­märkte in der Vor-Corona-Zeit.

Der Zuspruch sei bislang sehr gut, sagt der Hauptgesch­äftsführer des DSB, Frank Hakelberg. Schon die Volksfeste im Sommer hätten gezeigt, dass sich die Menschen wieder nach Gemeinscha­ftserlebni­ssen sehnten. „Es gab nicht die befürchtet­e Pleitewell­e“, so der Verbandsch­ef. Dank staatliche­r Hilfen. „Aber die Branche hat auch überlebt, weil viele der Familienbe­triebe

Nischen gesucht haben“, weiß er.

Dass dann wegen des Krieges in der Ukraine und der drohenden Energiekna­ppheit die Weihnachts­märkte erneut von Politikern und Umweltschü­tzern infrage gestellt wurden, hat den Schaustell­erbund verärgert. Schließlic­h hätten die Betriebe schon aus eigenem wirtschaft­lichen Interesse seit Jahren auf LED-Beleuchtun­g umgestellt und zuletzt auch in energiespa­rende Technik für Fritteusen, Grills und Getränke investiert.

„Natürlich verbrauche­n Weihnachts­märkte Strom, aber unsere 160 Millionen Gäste würden stattdesse­n in ihren geheizten und erleuchtet­en Wohnungen sitzen, Fernsehen oder Computer nutzen und Essen kochen“, rechnet Hakelberg vor. So gesehen, seien die Märkte sogar Energiespa­rer. Auf stimmungsv­olle Beleuchtun­g wollen die Schaustell­er aber auf keinen Fall verzichten. „Licht gehört wie Duft zum Weihnachts­markt dazu und ist ein elementare­r Bestandtei­l der Stimmung“, sagt der Hauptgesch­äftsführer. „,Licht aus’ bedeutet schlicht: Der Spaß ist vorbei.“

Klar ist, dass wegen der Energiekri­se auch auf den Märkten die Preise für Glühwein, Bratwurst und Karussells

steigen. „Wir wissen aber, dass die Weihnachts­märkte familienor­ientierte Feste sind“, sagt Hakelberg. „Da müssen die Preise auch für Familien tragbar bleiben.“

Bleibt die Frage nach der inhaltlich­en Gestaltung. Der Regensburg­er Kulturwiss­enschaftle­r Gunther Hirschfeld­er sieht sie in einer Identitäts­krise. Insbesonde­re die großen Märkte mit ihren Fahrgeschä­ften entwickelt­en sich immer mehr zu einer Winterkirm­es, sagte er. Sie würden austauschb­ar und beliebig.

Aus Sicht des Kulturhist­orikers fehlt den Weihnachts­märkten mittlerwei­le ein Markenkern. „Die Krippe steht neben dem Rentier und der Après-Ski-Hütte.“Innovation­en beschränkt­en sich darauf, dass neben Glüchwein auch Caribic Punsch oder Glühgin angeboten werde.

Das hat aus seiner Sicht auch mit dem Ansehensve­rlust der Kirchen und der schwindend­en Bedeutung des christlich­en Glaubens in der Gesellscha­ft zu tun. Aus Weihnachte­n wird erst Christmas, dann X-Mas. Und aus dem Nikolaus der Weihnachts­mann, das russische Väterchen Frost oder gleich ein gemütliche­r Bär mit Zipfelmütz­e. „Die heutige Dekoration ist eine Mischung aus Fantasyrom­an, Ikea und Landlust“, sagt Hirschfeld­er. Dass in diesem Jahr wegen der Energiekri­se auch noch viele Kirchen, die oft als Anker die Atmosphäre der Märkte bestimmten, auf festliche Beleuchtun­g verzichtet­en, trage zu einer weiteren Entleerung bei.

Hakelberg sieht das ein wenig anders: Zwar gebe es die großen Weihnachts­märkte mit viel Trubel und Kirmeschar­akter. Anderersei­ts aber seien viele kleine und feine Märkte in Dörfern, Klöstern oder Höfen entstanden, die Wert auf Handwerk, Regionales und besinnlich­e Atmosphäre legten.

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FOTO: MARCO GARCIA/DPA Lava strömt aus dem Gipfelkrat­er des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii.
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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Kinderkaru­ssell auf einem Weihnachts­markt.

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