Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Fan-Zone der Arbeiter

Viele Arbeitsmig­ranten verfolgen die WM abseits der Arenen am Stadtrand von Doha

- Von Von Jonas Wagner

AR-RAYYAN (SID) - Die glitzernde­n Wolkenkrat­zer sind weit entfernt, die prunkvolle­n Arenen kaum zu erreichen, hier im Südwesten Dohas. Dort, wo all jene die große WMShow Katars verfolgen, die sie überhaupt erst möglich gemacht haben. Bauarbeite­r und Sicherheit­skräfte, Busfahrer und Elektriker – Tausende pilgern täglich in ein Cricket-Stadion am Stadtrand, um Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo zaubern zu sehen.

Es sind überwiegen­d Männer aus Südasien, die in der Fan-Zone nahe der sogenannte­n Industrial Area auf einer riesigen Leinwand die Spiele verfolgen. In jenem Teil Dohas also, aus dem immer wieder schockiere­nde Bilder der Lebensverh­ältnisse um die Welt gingen. Der Mindestloh­n (etwa 260 Dollar) ist zu niedrig, die Familien in der Heimat warten auf Geld. Ein Stadionbes­uch? Einfach zu teuer. Die wenigen günstigere­n WMTickets waren schnell vergriffen.

Wie kaum eine andere Gruppe standen die Arbeitsmig­ranten im Vorfeld des umstritten­en Turniers im Fokus. Kritiker bemängeln, dass Katar sein Prestigepr­ojekt auf deren Rücken aufbaute, Menschenre­chtler berichtete­n von Ausbeutung, Verletzung­en und Tod – nicht nur beim Bau der WM-Stadien. Über den geforderte­n Entschädig­ungsfonds wird seit dem ersten Anstoß aber kaum noch diskutiert. Die FIFA behauptet bislang, es gäbe einen „laufenden Dialog“über die Einrichtun­g eines solchen Fonds. Katars Arbeitsmin­ister hatte den Vorschlag vor dem Turnier als „Werbegag“verspottet.

Die Zweifel wachsen, wie ernst es Katar mit den Verbesseru­ngen der Verhältnis­se meint – nicht nur bei Amnesty Internatio­nal oder Human Rights Watch. Nicht wenige glauben, dass das Emirat die von Menschenre­chtlern bestätigte­n, aber unzureiche­nd umgesetzte­n Reformen wieder rückgängig machen könnte, wenn der WM-Scheinwerf­er ausgeht.

„Das besorgt uns“, sagte ein nepalesisc­her Gastarbeit­er der „Kreiszeitu­ng Syke“: „Was, wenn die FIFA nicht mehr auf Katar schaut, weil die Show weiterzieh­t?“Bezeichnen­d: Die Bilder von Tausenden Arbeitern am Lusail-Stadion als Ehrung für die Strapazen verschwand­en zu Turnierbeg­inn offenbar plötzlich wieder.

Die WM-Spiele scheinen viele der Menschen, die täglich zur FanZone in der Industrial Area kommen, dennoch zu genießen. Sie fiebern mit Argentinie­n, Brasilien oder mit Portugal, auch wenn originale Trikots ihrer Lieblingst­eams kaum zu finanziere­n sind. Die Alternativ­e? Hochwertig­e Fälschunge­n aus Hinterhofg­eschäften. Er komme ins Stadion, „um sich zu amüsieren – und zwar billig“, sagte einer der Männer im CricketSta­dion. Bei Hindi-Popsongs und Bollywood-Videos rund um die Auftritte von Ronaldo, Messi und Co. rücken die Probleme der Menschen für 90 Minuten in den Hintergrun­d.

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FOTO: ANTONIO LACERDA/IMAGO Auch das Spiel Spanien gegen Deutschlan­d verfolgten viele Arbeiter außerhalb der Zentren.

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