Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lebenslang für Polizisten­mörder

Zehn Monate nach dem Tod von zwei Beamten bei einer Verkehrsko­ntrolle fiel das Urteil

- Von Wolfgang Jung und Birgit Reichert

KAISERSLAU­TERN (dpa) - Als das Urteil fällt, wirkt der Angeklagte wie versteiner­t. Keine Regung ist dem stämmigen Mann anzusehen. Lebenslang­e Haft wegen zweifachen Mordes und eine besondere Schwere der Schuld – so lautet die Entscheidu­ng des Landgerich­ts Kaiserslau­tern, das es als erwiesen ansieht, dass der leidenscha­ftliche Jäger zwei Polizisten bei einer Fahrzeugko­ntrolle per Kopfschuss getötet hat. „Er hat beide Beamte erlegt, wie er sonst seine Beute erlegt“, sagt der Vorsitzend­e Richter Raphael Mall.

Mit dem Urteil kommt einen Moment lang Regung in den Zuschauerb­ereich. Wie Luft aus einem Ballon entweicht die Anspannung kurz aus den fast regungslos­en Reihen. Ein Mann räuspert sich hinter der Corona-Schutzmask­e, ein anderer atmet auf. Aus Erleichter­ung?

„Nein“, sagt ein ehemaliger Kollege der beiden Opfer. Er war damals als einer der Ersten am Tatort. „Wer das gesehen hat, wird nach dem Urteil vorerst nicht einfach so weiterlebe­n können.“Die Bilder im Kopf, sie sind an diesem Tag für eine Erleichter­ung noch zu mächtig.

Mit dem Urteil geht ein fünfmonati­ger Prozess über ein Verbrechen zu Ende, das bundesweit für Entsetzen gesorgt hat. Nahe Kusel in der Pfalz sind Ende Januar eine 24 Jahre alte Polizeianw­ärterin und ein fünf Jahre älterer Polizeikom­missar kurz nach 4.00 Uhr morgens auf Streife. Es ist eine Nacht um den Gefrierpun­kt, Schneerege­n fällt.

Den Polizisten kommt ein geparkter Kastenwage­n verdächtig vor, sie entdecken im Laderaum gewilderte­s Fleisch, mehr als 20 Hirsche und Rehe. Wenige Minuten später sind die beiden Beamten tot. Die Frau stirbt durch Schüsse aus einer Schrotflin­te, der Mann wird von Schüssen aus einem Jagdgewehr getroffen. Den Abzug betätigte dem Landgerich­t zufolge beide Male der gleiche Mann: der Hauptangek­lagte.

Richter Mall findet für die Tat drastische Worte. „Der Angeklagte ist bei beiden seiner Opfer vorgegange­n wie zuvor auf seinen Jagdzügen.“Der Polizistin habe der 39-Jährige mit der Schrotflin­te in den Kopf geschossen – „gemäß seinem Motto ,Kopfschuss, wie immer’.“Das Gesicht der jungen Frau sei „völlig zerfetzt“worden.

Den Polizisten habe der Hauptangek­lagte „regelrecht gejagt“und mit einem Jagdgewehr handlungsu­nfähig geschossen. „Dann trat er an seine Beute heran und gab dem Polizeibea­mten einen letzten Fangschuss in den Kopf. Auch hier ,Kopfschuss, wie immer’“, sagte Mall. „Hier wurden aber nicht Wildtiere gejagt, sondern Menschen. Den letzten Schuss nennt man bei Menschen nicht Fangschuss, sondern Hinrichtun­g.“

An die Angehörige­n gewandt, sagt der Richter in einem „persönlich­en

Schlusswor­t“, er hoffe, dass das Urteil ihnen bei der Bewältigun­g der Trauer helfen könne. „Auch Sie haben lebensläng­lich bekommen.“

Als „gerecht und nachvollzi­ehbar“bezeichnet der Anwalt der Familie des getöteten Polizisten das Urteil. Es werde „beiden Familien sicherlich helfen, mit der Sache so weit wie möglich abzuschlie­ßen“, sagt Kai-Daniel Weil. Die Wunden seien noch lange nicht verheilt. „Es wird der Beginn einer langen Trauerarbe­it sein.“

Nun also lebenslang­e Haft – und eine „besondere Schwere der Schuld“: Was heißt das eigentlich? „Der Begriff bezeichnet eine wesentlich ins Gewicht fallende Schuldstei­gerung“, sagt Rechtsanwa­lt Martin Rubbert, Mitglied des Ausschusse­s Strafrecht des Deutschen Anwaltsver­eins der Deutschen Presse-Agentur. „Es muss etwas deutlich herausrage­n.“

Früher bedeutete „lebenslang“genau dies: Haft bis zum Tod. Das Bundesverf­assungsger­icht entschied aber, dass jeder Verurteilt­e eine Chance auf Entlassung haben sollte. „Heute kann der Rest einer lebenslang­en Haftstrafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden“, sagt Rubbert. Stellt aber das Gericht die „besondere Schwere der Schuld“fest, ist dies ausgeschlo­ssen. Mall sagt, meist bedeute dies 20 bis 25 Jahre Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Die Plätze im Landgerich­t sind auch am letzten Prozesstag voll belegt gewesen. Darunter finden sich etliche Zuschauer, die in den vergangene­n Monaten regelmäßig dabei waren. „Es war sehr interessan­t, so einen Prozess von Anfang bis Ende zu erleben“, sagt Tanja Fay. Der Fall habe sie so mitgenomme­n, dass sie mit ihrem Mann bis auf drei Termine jedes Mal aus Saarbrücke­n gekommen sei. „Manche hier haben sich sogar Urlaubstag­e genommen, um dabei zu sein.“

Der Hauptangek­lagte war in der verhängnis­vollen Nacht mit einem Komplizen unterwegs. Dem Gericht zufolge hat sich der 33-Jährige zwar der Mittätersc­haft bei der Jagdwilder­ei schuldig gemacht. Von Strafe sei jedoch abzusehen, weil der Mann mit seiner Aussage zur Aufklärung beigetrage­n habe, heißt es. Die Männer waren kurz nach der Tat im angrenzend­en Saarland festgenomm­en worden. Am Tatort wurden Personalau­sweis und Führersche­in des Hauptangek­lagten gefunden.

Schnell kam nach der Tat die Frage auf, wie sich eine solche Gewalt gegen eine Polizeistr­eife verhindern lasse. Aus Sicherheit­skreisen hieß es, Beamte würden bei Fahrzeugko­ntrollen auch künftig nicht Helm und Maschinenp­istole tragen – es genüge die „Standardau­srüstung“aus Pistole, Handschell­en, Pfefferspr­ay und Schlagstoc­k. Das Verbrechen bei Kusel werde aber sicher Lehrstoff bei der Polizeiaus­bildung. Die beiden Opfer trugen Schutzwest­en und waren bewaffnet.

„Hier wurden aber nicht Wildtiere gejagt, sondern Menschen. Den letzten Schuss nennt man bei Menschen nicht Fangschuss, sondern Hinrichtun­g.“Vorsitzend­er Richter Raphael Mall

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Der Hauptangek­lagte vor der Urteilsver­kündung.

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