Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Trauer würfelt den gesamten Körper durcheinan­der, auch den Hormonhaus­halt“

Sex nach dem Tod des geliebten Partners oder der Partnerin: „Zu früh“oder „zu spät“gibt es nicht

- Von Ricarda Dieckmann

MÜNSTER (dpa) - Auf einmal ist er nicht mehr da, der Mensch, dessen Fältchen und Muttermale man inund auswendig kannte. Dessen Geruch man liebte. Haut auf Haut, Intimität, zerwühlte Bettlaken: Das alles gibt es nun nicht mehr. Was bedeutet es für die eigene Sexualität, wenn der oder die Liebste verstorben ist? Der Seelsorger und Theologie-Professor Traugott Roser aus Münster (Foto: Benedikt Weischer/ WWU/dpa) erklärt im Interview, warum es keinesfall­s abstrus ist, wenn sich in Zeiten der Trauer die Libido regt.

Warum ist Sex in Zeiten der Trauer so ein großes Tabuthema?

Das hat noch mit traditione­llen Vorstellun­gen zu tun, wie Trauer zu sein hat. Die haben wir auch in unserer Kultur, etwa die Vorgabe eines Trauerjahr­es, in dem ein Witwer oder eine Witwe sich schwarz kleidet. Und damit über die Kleidung signalisie­rt: Ich bin nicht verfügbar. Beim Trauerjahr muss man auch den Ursprung beachten. Da ging es früher auch um potenziell­e Kinder, die noch auf die Welt kommen könnten. Da musste klar sein, ob sie Ansprüche auf das Erbe der verstorben­en Person haben.

Ein anderer Punkt: Viele Menschen haben das Bild im Kopf, dass die Trauer um einen Menschen auch ein Ausdruck der Qualität der Liebe ist. Dann ist die Dauer der – auch sexuellen – Treue ein Beleg für die Tiefe der Liebe. Oder andersheru­m: Wer bald mit jemand anderem flirtet oder knutscht, hat die verstorben­e Person wohl nicht wirklich geliebt.

Was bedeutet es für die eigene Sexualität, wenn man den Partner oder die Partnerin verliert? Sexualität ist ein Ausdruck des Menschsein­s. Und dabei geht es nicht nur um Geschlecht­sverkehr. Auch Berührunge­n, Streicheln, Sinnlichke­it gehören dazu.

In dem Moment, wo in einer Beziehung ein Partner stirbt, fehlt nicht nur das Gegenüber, mit dem ich mich am Frühstücks­tisch unterhalte­n kann. Es fehlt auch der Körper im Bett neben mir. Der Körper ist schließlic­h gewohnt, mit dem anderen in Kontakt zu bleiben. Wenn einer von beiden stirbt, reißt diese Kommunikat­ion ab.

Aber natürlich sind sexuelle Erregung und Bedürfniss­e immer noch vorhanden. Allerdings gehen sie ins Leere. Das ist für viele Trauernde ein sehr schmerzhaf­ter Prozess. Es ist wie das Verlieren einer Sprache.

Die sexuellen Bedürfniss­e bleiben. Nach einer gewissen Zeit fühlt man sich womöglich bereit, sich auf eine neue Person einzulasse­n. Das ist anfangs emotional nicht einfach, oder?

In Untersuchu­ngen erzählen Betroffene, dass das mit Scham besetzt ist. Dass es ganz schwierig ist, mit jemandem auch darüber zu reden. Es ist schon für sich selber schwierig wahrzunehm­en: „Ich habe noch sexuelle Bedürfniss­e, aber jetzt ist doch mein Partner vor nicht allzu langer Zeit gestorben. Wie kann denn das sein?“Es ist ein Widerspruc­h der Gefühle – und der ist für Betroffene schwer auszuhalte­n. Dazu kommt: Trauer würfelt den gegen: samten Körper durcheinan­der, auch den Hormonhaus­halt. Und in dem Zusammenha­ng kann es eben auch zu einer auffallend­en sexuellen Bedürftigk­eit oder Gefühlen kommen, bei denen man gar nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll.

Was genau macht es so schwer, damit umzugehen?

Vielen Menschen fehlt die Sprache dafür. Sie haben nie gelernt, über Sex zu sprechen. Wie formuliere ich das, was mich da beschäftig­t oder auch verwirrt, jemand anderem gegenüber?

Und natürlich auch: Wem kann ich davon überhaupt erzählen? Den Kindern etwa kann man es meistens nicht sagen, mit denen hat man schließlic­h auch nicht über den Sex mit dem verstorben­en Partner oder der Partnerin gesprochen.

Wenn die Betroffene­n über ihre Gefühle und Gedanken sprechen, ist also viel gewonnen. Wie verhalten sich Außenstehe­nde dann am besten?

Als Außenstehe­nder ist das Wichtigste, dass man dem Trauernden signalisie­rt, dass diese Empfindung­en völlig normal sind. Daran ist nichts abstrus. Nicht direkt nach dem Tod, aber nach einer Zeit kann man fra„Wie geht es dir mit deiner Trauer, mit dem körperlich­en Vermissen, mit dem leeren Bett? Magst du reden?“Lassen sollte man Aussagen wie „Findest du das nicht ein bisschen früh?“, wenn es jemanden Neuen gibt, mit dem die trauernde Person sich trifft. Es ist wichtig, nicht direkt in die Bewertung zu gehen, in einen kritischen Unterton.

Bessere Alternativ­en sind Sätze wie „Was müsste passieren, damit es für dich ein schöner Abend wird, wenn du heute mit jemandem ausgehst? Wovor hast du Angst?“Es ist wichtig, offen zu sprechen – ohne Urteil.

Was nicht gut ist, sind Regeln. Auch umgekehrt, im Sinne von „Was, du trägst immer noch Schwarz?“oder „Es wird Zeit, dass du mal wieder unter die Leute gehst“. Das ungefragt und aus dem Bauch heraus zu sagen, ist wenig einfühlsam und gar nicht hilfreich.

Zur Person: Professor Traugott Roser ist Seelsorger mit Schwerpunk­t Palliativp­flege und Autor des Buches „Sexualität in Zeiten der Trauer. Wenn die Sehnsucht bleibt“. (Verlag Vandenhoec­k & Ruprecht. 139 Seiten, 18 Euro). Außerdem ist er Professor für Praktische Theologie an der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t Münster.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA In dem Moment, wo in einer Beziehung ein Partner stirbt, fehlt nicht nur das Gegenüber, mit dem man sich am Frühstücks­tisch unterhalte­n kann. Es fehlt auch der Körper im Bett neben einem.
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