Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bloß kein zweites Südkorea
Gegen Costa Rica braucht der DFB einen Sieg zum Weiterkommen – Erinnerungen ans WM-Aus 2018 werden wach
DOHA - Ja, das kann sein. Natürlich. Und man wird ja auch mal fragen dürfen! Ob er denn von sich aus ausschließen könne, dass das dritte Gruppenspiel dieser WM in Katar am Donnerstag gegen Costa Rica (20 Uhr/ARD und MagentaTV) schon sein letztes Match als Bundestrainer sein könne, wurde Hansi Flick am Mittwoch bei der Pressekonferenz gefragt. „Ja, ich kann’s bestätigen von meiner Seite aus“, antwortete der 57-Jährige und ergänzte: „Ich weiß nie, was kommt. Aber ich habe Vertrag bis 2024 und freue mich auf die Heim-EM. Aber das ist noch lange hin.“
Eben – weit weg. In seinem 19. Spiel seit dem Amtsantritt am 1. August 2021 herrscht Druck wie in noch keiner Partie zuvor. Siegen oder fliegen! Das Problem an der kniffligen Gruppenkonstellation mit dem Parallelspiel zwischen Japan und Spanien: Man kann auch siegen – und trotzdem heimfliegen am Freitag. Wenn Japan gewinnt und dann auf sechs Punkte kommt, die Spanier aber dank ihres 7:0 gegen Costa Rica und der Tordifferenz (aktuell plus sieben) gegenüber dem DFB-Team (minus eins) im Vorteil sind. Ein sicheres Weiterkommen könnten die Deutschen mit einem 8:0Kantersieg oder höher sicherstellen. „Wir wollen das Spiel möglichst schnell klarmachen, um auch auf den anderen Platz Druck auszuüben“, erklärte Flick, sagte aber auch: „Es wäre sehr vermessen und respektlos gegenüber Costa Rica, wenn wir davon ausgehen, dass wir acht Tore schießen.“Denn, und das macht die Situation so gefährlich: Costa Rica wiederum kommt mit einem Punkt weiter, wenn Japan gegen Spanien verliert – was nicht so unrealistisch klingt.
Beim DFB geht die Angst um, wie 2018 in Russland erneut in der Vorrunde zu scheitern. Vor viereinhalb Jahren verlief die Vorrunde ähnlich, was die Gefühlswelt betrifft – jedoch punktemäßig ganz anders: Zum Start die 0:1-Pleite gegen Mexiko, die viel derber hätte ausfallen können. Dann das 2:1 gegen Schweden mit dem LastMinute-Freistoß von Toni Kroos. Die plötzlich ausgelöste Euphorie wandelte sich durch das unerwartete 0:2 gegen Südkorea in depressive Schockstarre.
Und nun? Ist die Euphorie nach nur einem Pünktchen aus zwei Spielen nicht ganz so groß wie 2018, der Druck aber höher. Wenigstens hat der Treffer durch Niclas Füllkrug zum 1:1 gegen Spanien für Erleichterung gesorgt, ein Lebenszeichen gesendet. „Wir haben es nicht mehr ganz in unserer eigenen Hand“, sagte Flick und versuchte, Selbstsicherheit auszustrahlen: „Ich bin ein Trainer, der positiv denkt. Druck verspüre ich überhaupt nicht. Auch nicht nach dem Spiel gegen Japan. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind. Es ist in unserer Verantwortung, eine Topleistung zu bringen.“Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, ein enger Freund von Flick, sagte in „Sportbild“: „Unsere Chance weiterzukommen, ist wesentlich größer, als die Gefahr auszuscheiden. Sie haben jetzt ein gutes Spiel gemacht, sich gesteigert und verdient einen Punkt geholt.“Die Begründung des Ex-Bayern: „Wir haben Spieler, die 2018 nicht dabei waren, der Bundestrainer heißt Hansi Flick und nicht Jogi Löw. Und Costa Rica ist nicht so stark wie Südkorea.“
Wird Knipser Füllkrug, der Retter gegen Spanien, diesmal von Beginn an auf Torejagd gehen dürfen? Gar anstelle von Thomas Müller, weil Flick („Wir finden, es hat gut funktioniert“) wohl erneut auf sein Dreier-Mittelfeld mit Kimmich, Goretzka und Gündogan setzt? „Netter Versuch“, antwortete der Bundestrainer und meinte zur Frage, ob denn der nach seiner Einwechslung stark aufspielende Leroy Sané beginnen dürfe: „Auch ein netter Versuch.“
Das Spiel gegen Costa Rica wird für Flick und sein Team zum Nadelöhr dieses Turniers. Beim Erreichen der K.o.-Runde (mögliche Gegner Kroatien, Marokko oder Belgien) beginnt die WM von null. Und der bleierne Rucksack des drohenden VorrundenAus wäre abgelegt. Routinier Thomas Müller, für die Abteilung Optimismus zuständig, sagte: „Was uns ein Lächeln auf die Lippen zaubert, ist, dass wir Chancen haben, ins Achtelfinale zu kommen und der Fußballwelt dann zu zeigen, was in uns steckt.“
Eine Wiederholung der Peinlichkeit von 2018 würde allerdings noch schwerer wiegen. Also: Bloß kein zweites Südkorea!