Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neuanfang mitten im Abstiegska­mpf

VfB Stuttgart trennt sich von Sportdirek­tor Mislintat – Labbadia gilt als Trainerkan­didat

- Von Martin Deck

STUTTGART - Sven Mislintat lief mit versteiner­ter Miene Richtung Gästeblock und klatschte in Richtung der mitgereist­en Fans. Wenige Stunden nach Abpfiff des letzten Bundesliga­Spiels des VfB Stuttgart vor der Winterpaus­e, dem 0:2 bei Bayer Leverkusen, bedankte er sich über die sozialen Medien beim Anhang für die Unterstütz­ung und viele emotionale Momente. Schon damals deuteten das viele als Abschied des beliebten Sportdirek­tors vom Brustring-Club.

Offiziell wurde dieser aber erst jetzt, mehr als zwei Wochen später – nach extrem zähen und am Ende ergebnislo­sen Verhandlun­gen. „Der VfB Stuttgart und Sportdirek­tor Sven Mislintat haben beschlosse­n, getrennte Wege zu gehen“, teilten die Schwaben am Mittwoch mit. Mislintat, so die Begründung des Clubs, habe „ein absolut marktgerec­htes Angebot zur Vertragsve­rlängerung“abgelehnt.

Der Sportdirek­tor wird ab sofort aus seinem bis Juni 2023 laufenden Vertrag freigestel­lt. „Die Verhandlun­gen jetzt zu beenden“, betonte Vorstandsc­hef Alexander Wehrle in der Pressemitt­eilung, „ist eine gemeinsame Entscheidu­ng aller Verantwort­lichen. Sie ändert aber nichts an unserer gegenseiti­gen Wertschätz­ung.“

Es habe „keinen gemeinsame­n Nenner für eine Fortsetzun­g“der Zusammenar­beit gegeben, sagte Mislintat, für den das Kapitel VfB nach dreieinhal­b Jahren beendet ist. „Ich bedauere das sehr, weil mir der VfB in den vergangene­n Jahren zu einer echten Herzensang­elegenheit geworden ist und ich gerne weiter meinen Teil zu einer positiven Entwicklun­g dieses großen Vereins beigetrage­n hätte.“

Wie die „Bild“und der „Kicker“berichten, scheiterte­n die Verhandlun­gen einerseits an der Kürzung des Gehalts – erfolgsabh­ängig bis zu 1,5 Millionen Euro statt wie bisher zwei Millionen Euro pro Jahr – und anderersei­ts an der Streichung der sogenannte­n Einstimmig­keitsklaus­el, die der Sportdirek­tor in seinem bisherigen Vertrag hatte. Diese Klausel besagte, dass keine Personalen­tscheidung im Sportberei­ch gegen das Veto von Mislintat getroffen werden konnte. Dass ihm seine weitreiche­nden Kompetenze­n, die ihm Wehrles Vorgänger Thomas Hitzlsperg­er gestattet hatte, wichtig sind, hatte Mislintat nie verheimlic­ht. Doch die aktuellen VfB-Verantwort­lichen wollten ihrem Sportdirek­tor offenbar nicht mehr so viel Macht zugestehen.

Dies hatte sich schon seit Wochen abgezeichn­et. Trotz einiger erfolgreic­her Verpflicht­ungen in der Vergangenh­eit

(zum Beispiel Silas, Wataru Endo oder Sasa Kalajdzic) wurde Mislintats Transferpo­litik zunehmend kritisch gesehen. Ein Großteil der vielen hochgeprie­senen Talente nahm nicht die erhoffte Entwicklun­g. Und ohne den Kauf eines von vielen geforderte­n erfahrenen Führungssp­ielers ist der VfB wie schon im Vorjahr früh wieder in die Abstiegsre­gion abgerutsch­t.

Spätestens seit der denkwürdig­en Hauptversa­mmlung Mitte September, als Wehrle ohne Rücksprach­e mit Mislintat die beiden Ex-Weltmeiste­r Sami Khedira und Philipp Lahm als Ratgeber sowie den früheren VfB-Kapitän Christian Gentner als künftigen Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng präsentier­te, war klar, dass der Vorstandsv­orsitzende die sportliche Verantwort­ung gerne auf mehrere Schultern verteilen möchte.

Die erste von zwei wichtigen Personalen­tscheidung­en beim Tabellen-16. ist damit gefallen, die Cheftraine­rfrage noch immer offen. Interimstr­ainer Michael Wimmer verliert mit dem Abschied Mislintats einen prominente­n Fürspreche­r. Der 42-Jährige, der die Mannschaft Mitte Oktober vom beurlaubte­n Pellegrino Matarazzo übernommen hatte, war Mislintats Favorit. Stattdesse­n wird nun ein in Stuttgart bekannter Name als aussichtsr­eichster Kandidat für das Amt des Cheftraine­rs gehandelt: Bruno Labbadia. Laut eines Berichts von „tonline“haben sich die VfB-Verantwort­lichen sogar bereits aufden 56-Jährigen festgelegt, der die Schwaben bereits von Ende 2010 bis Sommer 2013 trainiert und in der Saison 2012/2013 bis ins DFB-Pokalfinal­e geführt hatte.

Möglich ist aber auch, dass ein neuer Sportdirek­tor lieber seine eigene Handschrif­t zeigen und seinen Wunschtrai­ner installier­en möchte. Als Nachfolgek­andidaten für den Posten des Kaderplane­rs sind unter anderem Rachid Azzouzi von der SpVgg Greuther Fürth und Marcus Mann von Hannover 96 im Gespräch.

Egal wer es wird: Rückendeck­ung von den Fans darf der neue Mann nicht erwarten. Mislintat war wegen seiner emotionale­n Art an der Seitenlini­e und seiner cleveren Kaderzusam­menstellun­g beliebt, mehr als 12.000 Anhänger hatten zuletzt eine Online-Petition für den Verbleib des gebürtigen Dortmunder­s unterzeich­net – vergebens.

Während noch offen ist, mit wem der VfB den Neuanfang mitten im Abstiegska­mpf starten möchte, ist immerhin klar, bis wann eine Entscheidu­ng in Sachen Sportdirek­tor und Cheftraine­r stehen soll: „Bis zum Trainingss­tart am 12. Dezember wird der VfB die nötigen Personalen­tscheidung­en treffen, um mit einem starken Team in die zweite Saisonhälf­te zu gehen“, teilten die Club-Verantwort­lichen mit. Auf sie wartet also eine alles andere als besinnlich­e Adventszei­t.

„Ich bedauere das sehr, weil mir der VfB in den vergangene­n Jahren zu einer echten Herzensang­elegenheit geworden ist.“Sven Mislintat

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FOTO: HANSJÜRGEN BRITSCH/IMAGO Abschied nach dreieinhal­b Jahren: Sven Mislintat muss den VfB Stuttgart verlassen.

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