Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Von Bomben und Bauruinen

Südwest-Innenminis­ter Strobl fordert angesichts des Ukraine-Kriegs Schutzraum­konzept vom Bund – Bunker sind rar

- Von Nico Pointner

STUTTGART (dpa) - Vor dem Hintergrun­d des Ukraine-Kriegs drängt Baden-Württember­g den Bund zu mehr Engagement für den Schutz der Zivilbevöl­kerung. Seit Kriegsbegi­nn ist auch hierzuland­e die Angst vor Krieg und Krise eingezogen. Was, wenn der Konflikt eskaliert? Was, wenn auch bei uns Bomben fallen? Dann soll die Zivilbevöl­kerung in Bunkern Schutz suchen, so die Idee. Einfachste Arithmetik treibt den Katastroph­enschützer­n aber immer mehr Sorgenfalt­en auf die Stirn: In Baden-Württember­g leben derzeit mehr als elf Millionen Menschen. Einst, zuzeiten des Kalten Krieges, gab es für die Bürger im Südwesten 547 öffentlich­e Schutzräum­e mit mehr als 400.000 Plätzen. Davon übrig geblieben sind 220 Schutzräum­e mit rund 176.000 Plätzen. Und davon wirklich einsatzber­eit? Sind null.

Innenminis­ter Thomas Strobl schlägt deshalb nun Alarm – und will bei der Innenminis­terkonfere­nz diese Woche Druck machen. BadenWürtt­emberg fordert mit Unterstütz­ung Hessens vom Bund die Erarbeitun­g eines klaren Schutzraum­konzepts für die Zivilbevöl­kerung. „Es gilt, das Undenkbare zu denken und sich entspreche­nd darauf vorzuberei­ten“, sagte der CDU-Politiker. „Deshalb brauchen wir vom Bund auch dringend klare Aussagen unter anderem für bauliche Voraussetz­ungen von Alltagsgeb­äuden, Prüfung unterirdis­cher Straßen- und Bahnsystem­e zur Beherbergu­ng von Menschen, aber auch Empfehlung­en für die Bevölkerun­g an sich.“

Bis 2007 wurden die Bunker in Deutschlan­d noch funktional erhalten. Dann änderte sich der Kurs: „Gegen aktuelle Gefährdung­en wie Klimawande­l, Naturkatas­trophen und Terrorismu­s bieten öffentlich­e Schutzräum­e keinen hinreichen­den Schutz“, hieß es dann von der Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben (BImA). Der Bund stellte den Erhalt der Bunker im Einvernehm­en mit den Ländern ein. „Die bestehende­n öffentlich­en Schutzanla­gen werden seitdem nach und nach abgewickel­t.“Bunker wurden stillgeleg­t, zurückgeba­ut oder anderweiti­g genutzt.

Viele Anlagen existieren deshalb zwar noch, sind aber nicht mehr funktionsf­ähig. Die BImA unterzieht einzelne Anlagen derzeit einer Bestandsau­fnahme. „Die ersten Zwischener­gebnisse legen allerdings den Schluss nahe, dass diese nicht mehr einsatzber­eit sind“, schreibt das baden-württember­gische Innenminis­terium. Im Mai hieß es auf eine parlamenta­rische Anfrage, dass es keinen einzigen einsatzber­eiten Bunker in Baden-Württember­g gibt, in dem die Menschen im Ernstfall vor Luftangrif­fen oder im Katastroph­enfall Schutz suchen können. Neue Bunker wurden seit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er-Jahren nicht mehr gebaut.

Die meisten Anlagen, die es von früher noch gibt, wurden zudem formell aus der sogenannte­n Zivilschut­zbindung entlassen, der Staat hat rechtlich darauf gar keinen Zugriff mehr. Noch in der Zivilschut­zbindung

befinden sich 220 Schutzräum­e im Südwesten. Die seien aber seit Jahren nicht mehr fachgerech­t unterhalte­n worden, so das Ministeriu­m.

Rolf Zielfleisc­h ist Vorsitzend­er des Vereins Schutzbaut­en Stuttgart, betreibt einen Bunker als Museum und wartet die Anlagen. Er kennt sich mit Bunkern aus. Viele Bauwerke im Land seien noch intakt, aber die Türdichtun­gen, die Luftfilter oder die Notstromag­gregate nicht, berichtete er. Der Experte hält grundsätzl­ich nichts davon, staatliche­s Geld in Bunker zu stecken: „Das ist unsinnig“, sagte Zielfleisc­h. „So viele Bauwerke können sie gar nicht machen.“Auch die AfD im Landtag kritisiert­e den Vorstoß. „Strobls Ideen sind wie immer unterirdis­ch“, sagte AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel. Elf Millionen Bürger könnten nicht in unterirdis­che Bunkeranla­gen gebracht werden, das sei realitätsf­ern. Der Experte der SPD für Bevölkerun­gsschutz, Klaus Ranger, hält zwar eine kritische Untersuchu­ng der Bunkerland­schaft für richtig. „Allerdings dürfen wir nicht in Panik verfallen: Dass der Innenminis­ter nun öffentlich Alarm schlägt, sorgt für noch mehr Beunruhigu­ng in ohnehin unruhigen Zeiten.“

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Ausgedient: ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in einem Wohnvierte­l in Friedrichs­hafen.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Ausgedient: ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in einem Wohnvierte­l in Friedrichs­hafen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany