Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wo die Beatles groß wurden

Diese Hamburger St.-Pauli-Tour auf den Spuren der Band führt vom Strip-Lokal zum Star-Club

- Von Katrin Bölstler

Nur wenige Hamburg-Besucher wissen, wie eng die Erfolgsges­chichte der Beatles mit der deutschen Hansestadt verknüpft ist. Doch auf der zwei- oder dreistündi­gen Beatles-Tour mit Musikerin Stefanie Hempel erfahren Fans nicht nur, wo die Band in den 1960ern aufgetrete­n ist, sondern auch, wie vielfältig die internatio­nale Musikszene auf dem Kiez damals war und warum jeder Hamburg-Besuch mindestens einen Abend auf der Reeperbahn beinhalten sollte. Ganz ohne Erotik. Fast.

Keine andere Stadt hat die Beatles so geprägt wie Hamburg. Am 17. August 1960 treten die fünf Jungs aus Liverpool im Indra zum allererste­n Mal offiziell als The Beatles auf. In den folgenden zwei Jahren legen sie in den Liveclubs von St. Pauli den Grundstein für ihre Weltkarrie­re: An keinem Ort der Welt spielen die Beatles öfter als in Hamburg. Die monatelang­en Engagement­s und endlosen Nächte in den Clubs auf St. Pauli machen sie zu einer profession­ellen Liveband, hier treffen sie auf Ringo Starr, hier formen sie ihren Stil und finden einen neuen Haarschnit­t. Oder wie es John Lennon kurz und knapp formuliert: „We grew up in Hamburg, not in Liverpool.“

Die Tour beginnt am BeatlesPla­tz, auf der Kreuzung von Reeperbahn und Großer Freiheit. Das schwarze Pflaster von einem Durchmesse­r von 29 Metern erinnert an eine Vinylplatt­e. Auf dem Platz verteilt stehen fünf Statuen, die die Beatles darstellen: John Lennon, Paul McCartney, Stuart Sutcliffe, George Harrison, und eine Figur, die offen lässt, ob es sich um den Schlagzeug­er Ringo Starr oder den Drummer Pete Best handelt, mit dem die Beatles in ihrer Hamburger Zeit auf der Bühne standen. Beatles-Fans aus der ganzen Welt reisen mittlerwei­le nach Hamburg, um sich an diesem Platz mit einem Foto zu verewigen.

„Die Jungs waren bei ihrer Ankunft in Hamburg alle erst 17 oder 18 Jahre alt und zuvor noch nie live aufgetrete­n“, erzählt Hempel, während sie Schwarz-Weiß-Fotografie­n aus diesen Jahren herumreich­t. Der Drummer Pete Best war erst zwei Tage vor der Abreise zur Band gestoßen, „und das auch nur, weil es in Liverpool verdammt wenige Schlagzeug­er gab.“Liverpool, berichtet sie, hatte 1960 noch keine echte Musikszene, Hamburg aber schon. Daher gab es einige Bands aus England, die den Sprung nach Deutschlan­d wagten.

„In diesen Anfangsjah­ren hatten die Beatles noch keine eigenen Songs, sie spielten Coverversi­onen von Rocksongs, hatten noch keinen eigenen Stil und waren überhaupt sehr naiv“, erklärt sie weiter. In Hamburg sollte sich all das ändern – doch der Weg dahin war steinig. „Als die Jungs ankamen, dachten sie, dass sie gleich in einem der legendären Clubs auf der Reeperbahn auftreten würden, doch weit gefehlt“, erzählt die Beatles-Expertin, während sie die Gruppe durch die grell beleuchtet­e Straße führt. Ihre allererste­n Auftritte fanden stattdesse­n im Indra statt, einem kleinen Strip-Lokal, das sich zwar auch auf der Großen Freiheit befand, jedoch im unbeleucht­eten hinteren Teil, der von den feierwütig­en Massen noch gemieden wurde. Das Publikum des Indra bestand nicht aus hippen Nachtschwä­rmern, sondern aus Prostituie­rten und deren Kunden. Mit Pete Best und Stuart Sutcliffe am Bass spielten die Beatles dort in ihren ersten Wochen in Deutschlan­d viereinhal­b Stunden lang sieben Tage die Woche – für 30 D-Mark am Tag.

Stefanie Hempel ist selbst ein großer Beatles-Fan, hat viele Wegbegleit­er der Beatles aus jener Zeit interviewt und weiß daher, wie hart diese ersten Wochen und Monate für die noch minderjähr­igen Musiker gewesen sein müssen. Zwischen den Sets erholten sich die Musiker in einer Kneipe um die Ecke, dem Lokal Gretel & Alfons auf der Großen Freiheit 29. Dort angekommen, gibt Hempel eine Anekdote zum Besten, die das Herz echter Fans höherschla­gen lässt: Als die Beatles die Stadt 1962 wieder verließen, hinterließ Paul McCartney eine offene Rechnung. „1989 kam er dann auf einer seiner Touren als Solokünstl­er noch einmal vorbei und beglich den Betrag. Die Quittung ist bis heute in der Kneipe zu sehen“, erzählt die Hamburgeri­n, während die Gruppe vor besagter Kneipe steht, die zu dieser Uhrzeit aber noch geschlosse­n hat.

Heute sind noch drei der Musikclubs übrig, in denen die Beatles auf der Bühne standen. Vom 4. Oktober 1960 an spielten sie bereits vor einem größeren Publikum im Kaiserkell­er, das den gleichen Besitzer wie das Indra hatte. Ein weiterer Club, in dem sie spielten, war das Moondoo, das heute ein edler Schuppen für Elektromus­ik ist und zu den Top 10 der Clubs auf der Reeperbahn zählt.

Der Star-Club wurde 1962 in Hamburg eröffnet. Unter den Stars, die dort auf der Bühne standen, zählten unter anderem Tony Sheridan, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Ray Charles und eben die Beatles. Die vier Musiker spielten für drei Spielzeite­n in der Großen Freiheit 39 und wurden mit jeder verkauften Eintrittsk­arte bekannter. Nach einem Brand in den 1980er-Jahren wurde der Star-Club abgerissen. Heute erinnert nur noch eine Gedenkplat­te im Hinterhof der Großen Freiheit 39 an diese ruhmreiche­n Zeiten – eine weitere Station auf dieser geschichts­trächtigen Tour.

„Die Zeit in Hamburg war auch deshalb so prägend für die Beatles, weil sie hier auf Wegbegleit­er wie Astrid Kirchherr und Jürgen Vollmer trafen“, erzählt Hempel, nachdem sie wieder einmal die Tour durch eine spontane Einlage eines BeatlesSon­gs auf der Ukulele bereichert hat. Sie schlossen Freundscha­ft mit den Beatles, schnitten ihnen die später als „Pilzkopf“berühmt gewordene Frisur und schossen erste profession­elle Bilder von ihnen. Eins der bekanntest­en Fotos aus dieser Zeit ist das von John Lennon im Eingang des Hauses Jägerpassa­ge 1, das 1975 zum Cover des Lennon-Albums „Rock‘n‘Roll“wurde. Es sei nicht nur einmal passiert, dass eingefleis­chte Fans in der Jägerpassa­ge in Tränen ausgebroch­en seien, erzählt Hempel mit einem Grinsen, weil sie sich ihren Idolen dort so nah gefühlt hätten. Der Hauseingan­g sieht bis heute genauso aus wie auf dem Albumcover und ist daher ebenso ein beliebtes Fotomotiv wie der Beatles-Platz.

Wer nach der dreistündi­gen Führung mit Stefanie Hempel immer noch nicht genug über die Beatles erfahren hat und mehr über die bewegte Geschichte von St. Pauli erfahren will, sollte das St. Pauli Museum besuchen. Auf 160 Quadratmet­ern wird die Entwicklun­g des Viertels vom

Mittelalte­r bis heute dargestell­t. Natürlich spielen auch die Beatles einen großen Part und finden sich auf vielen Originalfo­tografien aus dieser Zeit wieder.

St. Pauli ist und war stets mehr als nur ein Rotlichtvi­ertel. Bis heute ist es ein musikalisc­her Hotspot, mit vielen kleinen und großen Theatern und Clubs. Seit Herbst 2022 wird dort im Operettenh­aus auch das Musical „Hamilton“aufgeführt. Es erzählt die spannende Geschichte vom Aufstieg und Fall des amerikanis­chen Gründervat­er, Mitverfass­er der amerikanis­chen Verfassung und erstem amerikanis­chen Finanzmini­ster Alexander Hamilton. Die englische Fassung des Musicals hat in den USA neben elf Tony-Awards und einem Grammy sogar den PulitzerPr­eis für Drama erhalten. Inwieweit die deutsche Fassung an den Erfolg des Originals anknüpfen kann, wird sich noch zeigen.

Weitere Informatio­nen bei Hamburg-Tourismus unter Tel:

und im Internet

 ?? FOTO: KONSTANTIN BECKER/HAMBURG TOURISMUS (2) ?? Der Beatles-Platz erinnert an jene Jahre, in denen die Beatles ihre ersten musikalisc­hen Schritte in Hamburg machten.
FOTO: KONSTANTIN BECKER/HAMBURG TOURISMUS (2) Der Beatles-Platz erinnert an jene Jahre, in denen die Beatles ihre ersten musikalisc­hen Schritte in Hamburg machten.
 ?? FOTO: MATTIAS BOEM/HAMBURG TOURISMUS ?? An dieser Stelle befand sich von 1962 bis 1969 der legendäre Star-Club, einer der bekanntest­en Beatschupp­en Deutschlan­ds, in dem alles spielte, was Rang und Namen hatte. Die Beatles absolviert­en hier 1962 insgesamt drei Gastspiele. Der Club ist eine Station auf der Beatles-Tour mit Stefanie Hempel (Mitte).
FOTO: MATTIAS BOEM/HAMBURG TOURISMUS An dieser Stelle befand sich von 1962 bis 1969 der legendäre Star-Club, einer der bekanntest­en Beatschupp­en Deutschlan­ds, in dem alles spielte, was Rang und Namen hatte. Die Beatles absolviert­en hier 1962 insgesamt drei Gastspiele. Der Club ist eine Station auf der Beatles-Tour mit Stefanie Hempel (Mitte).
 ?? ?? In dieser Kneipe auf dem Kiez verbrachte­n die Beatles ihre Zeit zwischen den einzelnen Auftritten.
In dieser Kneipe auf dem Kiez verbrachte­n die Beatles ihre Zeit zwischen den einzelnen Auftritten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany