Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Wenn ich etwas fühle, ist Musik das Ventil“

Ravensburg­er Popsängeri­n Lotte spricht über Verletzlic­hkeit durch Songs und Hass im Netz

- Von Simon Federer

RAVENSBURG - Die in Oberschwab­en aufgewachs­ene Singer-Songwriter­in Lotte geht mit ihrem dritten Album auf Tour. Im Interview verrät sie, ob es Überwindun­g gekostet hat, sich in ihren Songs heikler und persönlich­er Themen anzunehmen und spricht über das wirtschaft­liche Überleben als Künstlerin seit dem Ausbruch der Pandemie.

Lotte, Ihre Musik war schon immer autobiogra­phisch geprägt, aber in Ihrem aktuellen Album „Woran hältst du dich fest, wenn alles zerbricht?“geben Sie Hörern einen tiefen persönlich­en Einblick. Was bedeutet es für Sie, authentisc­he Musik zu machen?

Wenn ich es schaffe, in meiner Musik meine Gefühle, was auch immer das für welche sind, auszudrück­en, dann ist das für mich authentisc­h. Wenn ich mich darin sehe und das Gefühl habe, ich habe genau das Album gemacht, genau die Musik gemacht, die Produktion gemacht, die ich gut finde und die ich für den Song haben wollte. Die letzten drei Alben waren alle Geschichte­n über mein Leben, aber das dritte Album war krasser. Ich habe viel mehr von dem gezeigt was mich zu der Frau gemacht hat, die ich heute bin. Dadurch zeige ich: Hey, das Leben ist nicht immer nur easy, das ist nicht alles so glattgebüg­elt und perfekt, wie es nach außen aussieht. Es hat auf mich so gewirkt, dass sich dadurch viele Menschen gesehen gefühlt haben. Ich habe sehr viele Nachrichte­n von Menschen bekommen, die sich dafür bedankt haben, dass Themen wie Depression und sexualisie­rte Gewalt Platz auf einem Album finden.

Hat es Überwindun­g gekostet, sich solchen Themen zu widmen?

Für mich selbst nicht. Wenn ich etwas fühle oder erlebe, dann ist Musik das erste Ventil, da kann ich alles rauslassen. Ich verarbeite alles darin fast wie in einer Therapie. Ich fand’s eher krass damit rauszugehe­n und in der Öffentlich­keit darüber zu sprechen. Sobald ich einen Song rausbringe, kommen Fragen dazu. Da geht es dann nicht nur um mich – sondern auch um mein Umfeld, das ich schützen möchte. Ich will nicht, dass meine Familie dumme Fragen gestellt bekommt. Das hat mich dann schon ein bisschen Überwindun­g gekostet. Man kriegt das Gefühl vermittelt: Wenn man sich verletzlic­h macht, macht man sich angreifbar. Als wäre ich in Gefahr, wenn ich in der Öffentlich­keit über solche Themen spreche – aber jetzt kann ich sagen: Es war gar nicht so. Was soll denn jemand Schlechtes über mich sagen, nur weil ich die Narben zeige, die ich bei mir trage?

Haben Sie Erfahrunge­n mit Hasskommen­taren gemacht?

Ich lese relativ wenige Kommentare auf YouTube, weil YouTube ein richtiges Becken für Hasskommen­tare ist. Auf Instagram schon mehr, weil ich da auch die Community habe und versuche, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Im Musikvideo von „So wie ich“, einem Lied über sexualisie­rte Gewalt, zeige ich relativ viel Haut, was eine ganz bewusste Entscheidu­ng war. Ich bin der Meinung, dass egal, was oder wie wenig eine Frau oder ein Mann trägt, es keine Einladung zu irgendeine­r Handlung ist. Ein Nein ist ein Nein. Egal, was man anhat. Es kamen zum Beispiel ein paar Aussagen in Richtung: „Wenn ich dich so nachts auf der Straße sehen würde, hätte ich dich auch angefasst.“Das hat kurz wehgetan. Dann war ich aber schon wieder dankbar dafür: Weil die sich daraus entwickeln­de Konversati­on unter meinen Videos genau die ist, die stattfinde­n sollte.

Die Corona-Zeit war schwierig für Künstler in vielerlei Hinsicht. Wie viel Leidensfäh­igkeit, auch finanziell­er Art, muss man als Musikerin in diesen Jahren mitbringen? Ich glaube, die Corona-Zeit war super hart für viele Newcomerin­nen und Newcomer. Man lebt als Musikerin, als Musiker in dieser Streaming-Zeit auch krass durch Konzerte. Und da haben viele in der Branche gemerkt, dass man im Stich gelassen wird. Super viele Freunde von mir haben die Branche gewechselt. Ich selbst hatte das große Glück, dass ich an einem Punkt war, an dem ich mir diese Auszeit nehmen konnte. Ich war öfter in Ravensburg, meiner Heimatstad­t, bei meinen Eltern. Ich bin spazieren gegangen, ich habe meditiert, ich habe sehr viel geschlafen – weil ich saumüde war von diesen ganzen Jahren davor, durch die ich regelrecht gehetzt bin. Für viele ist Corona vorbei, für uns in der Musikund Veranstalt­ungsbranch­e ist es immer noch da. Man sieht ganz viele Künstlerin­nen und Künstler, die ihre Konzerte absagen, weil die Leute keine Tickets kaufen, wegen der Inflation, auf der anderen Seite ist man sich unsicher: Findet es denn wirklich statt? Bei mir hat es lange gebraucht, inzwischen läuft der Vorverkauf gut.

Spielen Streaming-Aufrufe eine wichtige Rolle bei Ihren Einnahmen?

Die Zeit, in der man mit einem Album schnell Gold gegangen ist und sich einen Porsche davon kaufen konnte, ist auf jeden Fall lange vorbei. Es gibt heutzutage super viel Musik die hochgelade­n wird, und man kann inzwischen alles zu Hause am Laptop machen.

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FOTO: SVENJA AVA Die Popsängeri­n Lotte stammt aus Ravensburg: In ihrem Album „Woran hältst du dich fest, wenn alles zerbricht?“gibt sie sehr persönlich­e Einblicke.

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