Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn der Torwart sich langweilt

Alle sprechen von Brasiliens Offensivst­ars, doch das wahre Prunkstück ist die Abwehr

- Von Thomas Lipinski und Marco Krummel

DOHA (SID) - Ein wenig langweilig könnte Alisson schon werden – da hinten im brasiliani­schen Tor, wo fast nie ein Fußball hinkommt. „Ich weiß, dass es den Torhüter nervt, wenn er nichts zu tun bekommt“, sagt sein Trainer Cláudio Taffarel und betont: „Brasilien ist heute nicht nur Spektakel. Wir haben gelernt, uns zu verteidige­n.“Der Torwartcoa­ch des Rekordwelt­meisters weiß, wovon er redet. Beim Titelgewin­n vor 28 Jahren in den USA ging es ihm ähnlich wie jetzt Alisson: Trotz der Stürmersta­rs Romário und Bebeto triumphier­te Brasilien vor allem wegen der starken Defensive. „Ich musste auch nicht viel eingreifen“, erinnert sich Taffarel.

Auch unter Nationaltr­ainer Tite ist die Abwehr wieder zum Prunkstück geworden – trotz Stürmersta­rs wie Neymar, Vinicius Junior oder Richarliso­n. Dabei setzt der „Professor“auf Erfahrung: Thiago Silva etwa, der mit 38 Jahren zum ältesten brasiliani­schen WM-Spieler wurde. Ihn wird am Freitag (20 Uhr/MagentaTV) gegen Kamerun Dani Alves ablösen – mit 39 Jahren. Der dreimalige Champions-League-Sieger mit dem FC Barcelona, der in Mexiko seine Karriere ausklingen lässt, kommt wie viele andere aus der zweiten Reihe zum Vorrundena­bschluss zum Einsatz, weil Brasilien bereits das Achtelfina­lticket in der Tasche hat. „Natürlich ist es ein Risiko“, sagte Tite. „Aber es ist auch eine Möglichkei­t für die Spieler, sich zu zeigen.“

Von Rechtsvert­eidiger Dani Alves wird nicht mehr wie früher verlangt, die Linie rauf und runter zu rennen, sondern Offensivak­tionen mit Pässen einzuleite­n und sich im Mittelfeld als Anspielsta­tion anzubieten. Einen flankenden Cafu, einen Roberto Carlos mit gewaltigen Schüssen, einen dribbelnde­n Marcelo – diese Art von Außenverte­idiger hat Brasilien derzeit nicht, deshalb hat Tite sein System angepasst. Flügelflit­zer wie Raphinha und Vinicius Junior nehmen den Außenverte­idigern die Aufgabe ab, mit nach vorne zu stürmen. Sie können sich auf ihre Defensivau­fgaben konzentrie­ren – mit großem Erfolg.

Gegen Serbien (2:0) und die Schweiz (1:0) bekam Alisson nicht einen Schuss aufs Tor. „Die Zahlen sprechen für sich“, sagt der Keeper, der in neun seiner letzten elf Länderspie­le ohne Gegentreff­er blieb. „Das ist nicht nur eine Arbeit der Defensivre­ihe, sondern des gesamten Teams.“Vor allem der überragend­e „Sechser“Casemiro, der vor der Viererkett­e die Bälle abfängt, stabilisie­rt die Abwehr enorm. „Wir sind natürlich glücklich, wenn das Spiel zu null endet“, sagt Innenverte­idiger Marquinho. „Das ist das Erste, was wir uns nach dem Schlusspfi­ff sagen: schon wieder eins mehr.“

Vorne habe man genug Qualität „für mindestens ein Törchen“. So wie 1994, als Taffarel in fünf von sieben Spielen kein Tor kassierte – und mal Romario, mal Bebeto den Sieg herausscho­ss.

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FOTO: PAUL CHESTERTON/IMAGO Die Abwehr steht: Das brasiliani­sche Team um Torhüter Alisson blieb in neun seiner letzten elf Länderspie­le ohne Gegentreff­er.

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