Schwäbische Zeitung (Tettnang)
OECD sieht großes Interesse an Jobs in Deutschland
Laut Umfrage steht der Wirtschaft ein Pool von Fachkräften im Ausland zur Verfügung – Experten widersprechen
RAVENSBURG - Die deutsche Wirtschaft will mit mehr Fachkräften aus dem Ausland dem Personalmangel gegensteuern. Um das zu erleichtern, hat sich die Ampelregierung auf Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz geeinigt. Großes Potential schlummert etwa in Indien, Kolumbien und in der Türkei. Dort ist das Interesse groß an einem Job in Deutschland, wie eine Befragung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt. Auch andere Ergebnisse der Umfrage überraschen.
Insgesamt zeichnen die Ergebnisse der Online Umfrage unter 30.000 internationalen Fachkräften im Auftrag der Bundesregierung ein überraschend positives Bild. Die meisten der Befragten hatten über die Website „Make It In Germany“Interesse an einem Arbeitsplatz in Deutschland geäußert. Das ist ein Internetportal der Bundesregierung für Fachkräfte.
Anders als häufig angenommen, kommt die Befragung zu dem Schluss: „Deutschland ist attraktiv für ausländische Fachkräfte.“Das sagte der Leiter der OECD-Migrationsabteilung, Thomas Liebig, bei er Vorstellung der Studie am Freitag. Ein Ergebnis der Befragung: Über die Hälfte der Befragten hat fest vor, nach Deutschland zu ziehen. Acht von zehn haben bereits erste Schritte unternommen.
Auf die Frage, ob Deutschland erste Wahl als Zielland ist, oder ob sie andere Länder genauso attraktiv oder attraktiver finden, gaben vier von fünf Befragten Deutschland als erste Wahl an. Bei den übrigen dominiert Kanada, gefolgt von den USA und Großbritannien als bevorzugte Auswanderungsländer.
Dabei gab es zuletzt häufig gegenteilige Stimmen. So sagte beispielsweise Chris Pyak, Experte für den internationalen Arbeitsmarkt, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Der Gedanke, viele Menschen wollen nach Deutschland kommen, ist falsch“. Noch deutlicher wird Pyak auf Twitter: „Niemand, wirklich niemand, träumt davon nach Deutschland zu ziehen“. Hürden sind nach den Erfahrungen des Personalvermittlers vor allem die deutsche Sprache. Entscheidend sei jedoch auch die Stimmung in Deutschland gegenüber Migranten, führt Pyak aus. Das jetzt geplante Einwanderungsgesetz sei zwar hilfreich, aber nicht ausreichend, um Deutschland grundlegend attraktiver für hochqualifizierte Menschen zu machen, sagt Experte Pyak. Auch das hat die jetzt veröffentlichte
OECD-Umfrage ergeben: Gefragt nach den Eigenschaften des Einwanderungslands, die den Fachkräften wichtig sind, halten mehr als drei von fünf Teilnehmenden eine positive Einstellung gegenüber Migranten für „sehr wichtig“. Einzig die Qualität des Bildungs- sowie des Gesundheitsund Sozialsystems ist für die meisten Teilnehmenden noch wichtiger: Beides bewerten sieben von zehn Befragten im Schnitt als „sehr wichtig“.
Interessant: Ob im Zielland hohe Gehälter gezahlt werden, zählt hingegen nur für etwas mehr als ein Drittel zu den wichtigsten Kriterien. Andererseits interessieren sich die meisten für Deutschland, da sie sich gute Arbeits- und Karrieremöglichkeiten erhoffen. Zwei Drittel verbinden Deutschland zudem mit einer hohen Lebensqualität, gefolgt von Sicherheit.
Die Qualifikation der UmfrageTeilnehmer ist insgesamt hoch: Drei von vier Interessenten haben einen Hochschulabschluss. Wobei davon die große Mehrheit einen Bachelor hat, der in etwa dem Abschluss einer dualen Ausbildung in Deutschland entspricht. Bei den Herkunftsländern der an Deutschland interessierten Fachkräfte rangiert Indien an der Spitze (19 Prozent). Dabei stammen überwiegend IT-Fachkräfte aus Indien. An zweiter Stelle liegt Kolumbien (zehn Prozent). Aus dem Land kommen vor allem Pflegekräfte. An dritter Stelle liegt die Türkei. Von dort wollen vorwiegend Handwerker in Deutschland arbeiten. Fast die Hälfte der Befragten geben an, in einem Mangelberufsfeld tätig zu sein, etwa in Ingenieurberufen, im Bauwesen, in der Produktion, im Handwerk oder in der Pflege.
70 Prozent derjenigen, die sich für eine berufliche Zukunft in Deutschland interessieren, sind Männer. Knapp die Hälfte der potenziellen Arbeitsmigranten ist alleinstehend. Von den anderen äußerten rund 80 Prozent die Absicht, ihre Familie mitzubringen. Anders als häufig angenommen scheint die deutsche Sprache für die befragten Fachkräfte kein allzu hohes Hindernis darzustellen. Über die Hälfte der Teilnehmenden verfügt zumindest über Grundkenntnisse der deutschen Sprache und jeder siebte beherrscht Deutsch bereits auf fortgeschrittenem oder noch höherem Niveau. Unter Deutschanfängern und Teilnehmenden ohne Deutschkenntnisse hat jeder Zweite zumindest sehr gute Englischkenntnisse. Die meisten wären bereit, Deutsch zu lernen, bevor sie nach Deutschland kommen.
Als höchste Hürde auf dem Weg nach Deutschland nennt die große Mehrheit der Befragten die Suche nach einem Arbeitsplatz. Vier von fünf potenziellen Einwanderern wünschen sich mehr Unterstützung durch die deutsche Seite. Am schwierigsten sei es, Stellenangebote überhaupt zu finden und Kontakte zu Arbeitgebern aufzunehmen. 70 Prozent der Befragten wünschen sich daher die Erteilung von Visa zur Arbeitssuche.
OECD-Migrationsexperte Liebig bewertete die Regierungspläne für ein neues Einwanderungsgesetz positiv. Es biete die Chance, die Fachkräftezuwanderung „kräftig voranzubringen“, sagte er. Das neue Gesetz soll unter anderem mit einem Punktesystem die Regeln vereinfachen und Hürden bei der Anerkennung von Qualifikationen abbauen.
Die Ergebnisse der vorgestellten Befragung stehen im Gegensatz zu anderen Befragungen der OECD. 2019 landete in einer Studie der Organisation zusammen mit der Bertelsmann Stiftung Deutschland bei zuwanderungswilligen Akademikern auf Platz zwölf unter mehr als 30 Industrieländern.
Allerdings wurden hier nur Hochqualifizierte mit mindestens einen Masterabschluss befragt. Bei der aktuellen Befragung hatten zwar drei von vier einen Hochschulabschluss, davon jedoch 70 Prozent nur einen Bacchelor. Den höherrangingen Master hatte nur insgesamt ein Viertel aller Befragten.