Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Von der meistgehassten Frau des Landes zur Vorzeigefeministin
Alice Schwarzer gilt als Deutschlands einflussreichste Frauenrechtlerin – Nun wird sie 80 Jahre alt
Wenn sie im Lauf ihres Lebens etwas musste, so einstecken. Es prasselte sehr viel Verachtung, Hass und Abschätzung auf Alice Schwarzer nieder. Alles an ihr wurde in den Medien kritisch beäugt, ihre politischen Ansichten, ihre radikalen gesellschaftlichen Ideen, aber auch ihr Aussehen. Wenn man schon als junge Frau in der Öffentlichkeit mitreden will, meinten Volksmund und Medien, dann doch bitte ohne Brille und hübsch geschminkt.
Alice Schwarzer hat es ihren Mitmenschen nie leicht gemacht – und eckt auch heute noch oft an. Inzwischen sind es eher linke Stimmen, die zum Beispiel ihre mitunter rigide Haltung gegenüber Muslimen und Migranten kritisieren. Als Alice Schwarzer aber 1977 die Frauenzeitschrift „Emma“gründete, blies ihr der Wind aus allen Richtungen entgegen. Sie musste sich nicht nur gegen Vorbehalte in der breiten Öffentlichkeit zur Wehr setzen, sondern auch ihre Mitstreiterinnen attackierten sie, manche wendeten sich sogar ab. Am 3. Dezember wird Alice Schwarzer nun achtzig Jahre alt – und schaut versöhnlich auf diese frühen Kämpfe zurück. „Differenzen innerhalb politischer Bewegungen sind normal“, sagt sie im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“gelassen, „das muss man aushalten.“
Alice Schwarzer wuchs in Wuppertal auf bei ihren Großeltern, vor allem der Opa habe sich mütterlich um sie gekümmert, erzählte sie später. In der Gesellschaft erlebte sie dagegen allüberall männliche Übermacht, in Parlamenten, Redaktionen und Gerichten. Als junge Frau geht sie nach Paris und als eine Freundin ungewollt schwanger wird, erlebt Schwarzer hautnah, was das Abtreibungsverbot für Frauen bedeutet. Die Freundin überlebt den verbotenen Abbruch bei einer „Engelmacherin“nur knapp. Schwarzer hat ihr erstes Thema gefunden: den Kampf für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch. Sie initiiert in Deutschland eine extrem medienwirksame Aktion, bei der mehrere Hundert Frauen öffentlich machen, dass sie abgetrieben haben.
So wird Alice Schwarzer bald zur Wortführerin der Frauenrechtlerinnen – und ist dabei mehr als alle anderen immer wieder Hohn und Hass ausgesetzt und wird sogar als hässliche Hexe beschimpft. Sie scheint es eher darin zu bestärken, ihren Weg weiterzugehen. Sie wird zur feministischen Bestsellerautorin und finanziert mit ihrem ersten Honorar die „Emma“.
Im Lauf der Jahre hat Alice Schwarzer zahllose Bücher geschrieben und auch in 45 Jahren „Emma“immer wieder Missstände ausgespürt und öffentlich gemacht. Sie wies als Erste in den Siebzigerjahren auf die Klitorisbeschneidung in manchen Kulturen hin, bei der die weiblichen Genitalien lebensgefährlich verstümmelt werden. Die „Emma“zettelte auch eine große Kampagne gegen Prostitution an und startete die PorNo-Kampagne, um verachtende Darstellungen in Pornos anzuprangern.
Ein Thema nach dem anderen knüpfte sich die „Emma“vor und
„Differenzen innerhalb politischer Bewegungen sind normal. Das muss man aushalten.“Alice Schwarzer
stieß immer neue Debatten im Land an – und hat damit zweifellos nicht nur in Recht und Politik sehr viel bewegt, sondern auch in den Köpfen der Menschen. So unbeliebt Alice Schwarzer mitunter war, sie hat einen großen Anteil daran, dass unsere Gesellschaft heute gerechter, toleranter und gleichberechtigter ist. Das mag nicht ihr Verdienst allein gewesen sein, aber sie war die Frontfrau und wurde das Gesicht des deutschen Feminismus. Und eben weil dieses Gesicht immer und überall auftauchte und entschieden für die Rechte der Frauen das Wort führte, kam auch die breite Öffentlichkeit irgendwann nicht mehr an den Themen und Forderungen vorbei.
Ihre eigene Bilanz ist gemischt: „Es hat sich was getan“, sagt sie, „aber noch lange nicht genug.“Aber wie viel Alice Schwarzer im Grunde erreicht hat, kann man auch daran ablesen, dass sie 2007 ausgerechnet bei einer Image-Kampagne der „Bild“-Zeitung mitwirkte, dem Blatt, das mit Frauenrechten über Jahrzehnte hinweg herzlich wenig am Hut gehabt hatte. Nun wollte man sich plötzlich mit Deutschlands Vorzeige-Feministin schmücken und engagierte sie 2010 sogar, um in einer Kolumne über den Vergewaltigungsprozess gegen Jörg Kachelmann zu berichten.
Es war dann aber auch der Fall Kachelmann, der plötzlich Alice Schwarzer selbst in die Defensive brachte. Denn auch als der Wettermoderator bereits freigesprochen war – wenn auch „aus Mangel an Beweisen“, beschuldigte Schwarzer ihn weiterhin, was zu einer einstweiligen Verfügung führte. In Zeiten von MeToo, ist sie überzeugt, wäre der Fall Kachelmann anders diskutiert worden. Ansonsten weist sie darauf hin, dass der Richter zu demselben Schluss wie sie gekommen sei: „Er hat Kachelmann freigesprochen, aber nicht rehabilitiert, hat in der Urteilsverkündung gesagt: Es kann sein, dass er die Wahrheit sagt – es kann aber auch sein, dass er lügt und die Frau die Wahrheit sagt. Also Ende offen.“
Es gab weitere unrühmliche Schlagzeilen über die Frau, die doch immer für Recht und Gerechtigkeit gekämpft hatte. Es wurde bekannt, dass sie Steuern hinterzogen hatte. Sie verlor auch Fans mit ihrer These, dass unser Rechtssystem „von Islamisten unterwandert“werde. Auch bei der Debatte um ein Kopftuchverbot zeigte sie sich radikal.
Aber Alice Schwarzers oberstes Ziel sind eben weiterhin die Rechte der Frauen – ohne Kompromisse. Deshalb hat sie vor Kurzem schon wieder ein Buch mit herausgegeben – eine Streitschrift über Transsexualität und die Frage, was eine Frau, was ein Mann ist. Alice Schwarzer ist überzeugt, dass sie sich in all den Jahren „ziemlich treu geblieben“sei. Und das heißt: Der Kampf geht weiter.