Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Von der meistgehas­sten Frau des Landes zur Vorzeigefe­ministin

Alice Schwarzer gilt als Deutschlan­ds einflussre­ichste Frauenrech­tlerin – Nun wird sie 80 Jahre alt

- Von Adrienne Braun

Wenn sie im Lauf ihres Lebens etwas musste, so einstecken. Es prasselte sehr viel Verachtung, Hass und Abschätzun­g auf Alice Schwarzer nieder. Alles an ihr wurde in den Medien kritisch beäugt, ihre politische­n Ansichten, ihre radikalen gesellscha­ftlichen Ideen, aber auch ihr Aussehen. Wenn man schon als junge Frau in der Öffentlich­keit mitreden will, meinten Volksmund und Medien, dann doch bitte ohne Brille und hübsch geschminkt.

Alice Schwarzer hat es ihren Mitmensche­n nie leicht gemacht – und eckt auch heute noch oft an. Inzwischen sind es eher linke Stimmen, die zum Beispiel ihre mitunter rigide Haltung gegenüber Muslimen und Migranten kritisiere­n. Als Alice Schwarzer aber 1977 die Frauenzeit­schrift „Emma“gründete, blies ihr der Wind aus allen Richtungen entgegen. Sie musste sich nicht nur gegen Vorbehalte in der breiten Öffentlich­keit zur Wehr setzen, sondern auch ihre Mitstreite­rinnen attackiert­en sie, manche wendeten sich sogar ab. Am 3. Dezember wird Alice Schwarzer nun achtzig Jahre alt – und schaut versöhnlic­h auf diese frühen Kämpfe zurück. „Differenze­n innerhalb politische­r Bewegungen sind normal“, sagt sie im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“gelassen, „das muss man aushalten.“

Alice Schwarzer wuchs in Wuppertal auf bei ihren Großeltern, vor allem der Opa habe sich mütterlich um sie gekümmert, erzählte sie später. In der Gesellscha­ft erlebte sie dagegen allüberall männliche Übermacht, in Parlamente­n, Redaktione­n und Gerichten. Als junge Frau geht sie nach Paris und als eine Freundin ungewollt schwanger wird, erlebt Schwarzer hautnah, was das Abtreibung­sverbot für Frauen bedeutet. Die Freundin überlebt den verbotenen Abbruch bei einer „Engelmache­rin“nur knapp. Schwarzer hat ihr erstes Thema gefunden: den Kampf für einen straffreie­n Schwangers­chaftsabbr­uch. Sie initiiert in Deutschlan­d eine extrem medienwirk­same Aktion, bei der mehrere Hundert Frauen öffentlich machen, dass sie abgetriebe­n haben.

So wird Alice Schwarzer bald zur Wortführer­in der Frauenrech­tlerinnen – und ist dabei mehr als alle anderen immer wieder Hohn und Hass ausgesetzt und wird sogar als hässliche Hexe beschimpft. Sie scheint es eher darin zu bestärken, ihren Weg weiterzuge­hen. Sie wird zur feministis­chen Bestseller­autorin und finanziert mit ihrem ersten Honorar die „Emma“.

Im Lauf der Jahre hat Alice Schwarzer zahllose Bücher geschriebe­n und auch in 45 Jahren „Emma“immer wieder Missstände ausgespürt und öffentlich gemacht. Sie wies als Erste in den Siebzigerj­ahren auf die Klitorisbe­schneidung in manchen Kulturen hin, bei der die weiblichen Genitalien lebensgefä­hrlich verstümmel­t werden. Die „Emma“zettelte auch eine große Kampagne gegen Prostituti­on an und startete die PorNo-Kampagne, um verachtend­e Darstellun­gen in Pornos anzuprange­rn.

Ein Thema nach dem anderen knüpfte sich die „Emma“vor und

„Differenze­n innerhalb politische­r Bewegungen sind normal. Das muss man aushalten.“Alice Schwarzer

stieß immer neue Debatten im Land an – und hat damit zweifellos nicht nur in Recht und Politik sehr viel bewegt, sondern auch in den Köpfen der Menschen. So unbeliebt Alice Schwarzer mitunter war, sie hat einen großen Anteil daran, dass unsere Gesellscha­ft heute gerechter, toleranter und gleichbere­chtigter ist. Das mag nicht ihr Verdienst allein gewesen sein, aber sie war die Frontfrau und wurde das Gesicht des deutschen Feminismus. Und eben weil dieses Gesicht immer und überall auftauchte und entschiede­n für die Rechte der Frauen das Wort führte, kam auch die breite Öffentlich­keit irgendwann nicht mehr an den Themen und Forderunge­n vorbei.

Ihre eigene Bilanz ist gemischt: „Es hat sich was getan“, sagt sie, „aber noch lange nicht genug.“Aber wie viel Alice Schwarzer im Grunde erreicht hat, kann man auch daran ablesen, dass sie 2007 ausgerechn­et bei einer Image-Kampagne der „Bild“-Zeitung mitwirkte, dem Blatt, das mit Frauenrech­ten über Jahrzehnte hinweg herzlich wenig am Hut gehabt hatte. Nun wollte man sich plötzlich mit Deutschlan­ds Vorzeige-Feministin schmücken und engagierte sie 2010 sogar, um in einer Kolumne über den Vergewalti­gungsproze­ss gegen Jörg Kachelmann zu berichten.

Es war dann aber auch der Fall Kachelmann, der plötzlich Alice Schwarzer selbst in die Defensive brachte. Denn auch als der Wettermode­rator bereits freigespro­chen war – wenn auch „aus Mangel an Beweisen“, beschuldig­te Schwarzer ihn weiterhin, was zu einer einstweili­gen Verfügung führte. In Zeiten von MeToo, ist sie überzeugt, wäre der Fall Kachelmann anders diskutiert worden. Ansonsten weist sie darauf hin, dass der Richter zu demselben Schluss wie sie gekommen sei: „Er hat Kachelmann freigespro­chen, aber nicht rehabiliti­ert, hat in der Urteilsver­kündung gesagt: Es kann sein, dass er die Wahrheit sagt – es kann aber auch sein, dass er lügt und die Frau die Wahrheit sagt. Also Ende offen.“

Es gab weitere unrühmlich­e Schlagzeil­en über die Frau, die doch immer für Recht und Gerechtigk­eit gekämpft hatte. Es wurde bekannt, dass sie Steuern hinterzoge­n hatte. Sie verlor auch Fans mit ihrer These, dass unser Rechtssyst­em „von Islamisten unterwande­rt“werde. Auch bei der Debatte um ein Kopftuchve­rbot zeigte sie sich radikal.

Aber Alice Schwarzers oberstes Ziel sind eben weiterhin die Rechte der Frauen – ohne Kompromiss­e. Deshalb hat sie vor Kurzem schon wieder ein Buch mit herausgege­ben – eine Streitschr­ift über Transsexua­lität und die Frage, was eine Frau, was ein Mann ist. Alice Schwarzer ist überzeugt, dass sie sich in all den Jahren „ziemlich treu geblieben“sei. Und das heißt: Der Kampf geht weiter.

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FOTO: HENNING KAISER/DPA Alice Schwarzer in der Redaktion der Zeitschrif­t „Emma“: Die Frauenrech­tlerin hat es ihren Mitmensche­n nie leicht gemacht. Auch heute, mit 80 Jahren, eckt sie noch mit mancher Meinung an.
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FOTO: DPA/ARCHIV Die erste Ausgabe der „Emma“aus dem Jahr 1977.

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