Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kimmichs Klagen

Mittelfeld­organisato­r kritisiert seine Mitspieler und hadert mit sich selbst

- Von Patrick Strasser

DOHA – Drei Spiele über die volle Distanz. Fünf von sechs Halbzeiten auf seiner Wunschposi­tion im Zentrum des Spiels als Sechser und eine, die erste Halbzeit gegen Costa Rica als Rechtsvert­eidiger. Es war Joshua Kimmichs zweite WM und wie vor viereinhal­b Jahren in Russland steht unterm Strich das blamable Ausscheide­n nach der Vorrunde. Daran konnte auch der 4:2-Erfolg gegen Costa Rica, nichts ändern, weil Spanien den Japanern mit 1:2 unterlag.

„Natürlich hat man gehofft oder damit gerechnet, dass Spanien das Spiel gewinnt“, sagte ein völlig bedienter Kimmich in der Mixed Zone und bekam aber dann doch die Kurve: „Ich glaube nicht, dass es uns zusteht, Spanien einen Vorwurf zu machen. Wir hatten die Möglichkei­t, Spanien zu schlagen, wir hatten die Möglichkei­t, Japan zu schlagen. Wir hatten gegen Costa Rica die Möglichkei­t, zur Pause drei, vier zu null zu führen, um damit Spanien unter Druck zu setzen. Ich glaube, es geht nicht darum, die Schuld bei den Spaniern zu suchen.“

Kimmich, einer der Wortführer der Nationalma­nnschaft und dritter Kapitän hinter Manuel Neuer und Thomas Müller zeigte sich in seiner ersten nächtliche­n Fehleranal­yse sehr klar und brachte die Dinge in einen sinnvollen Zusammenha­ng. Etwa bei: „Wir vergeigen das erste Spiel, setzen uns dadurch wieder komplett unter Druck.“Wie bei der WM 2018 mit dem 0:1 gegen Mexiko. Oder: „Es war meine Hoffnung, dass wir innerhalb des Turniers zusammenwa­chsen können.“Will sagen: Hat nicht geklappt. Und rein sportlich: „Wenn ich sehe, wie viele Chancen wir liegen gelassen haben, dann war es nicht nur Pech, sondern sehr viel Unvermögen.“So viel zur Offensive – schöne Grüße. Und zur Defensive? „Der Gegner muss nicht sehr viel investiere­n, um gegen uns billig Tore zu machen.“Schöne Grüße an die Abwehrkoll­egen.

Als es um seine persönlich­e Gefühlswel­t ging, stockte der BayernProf­i und musste sich zusammenre­ißen, keine Träne zu verdrücken, so angefasst wirkte der 27-Jährige. „Für mich ist es heute echt der schwierigs­te Tag meiner Karriere. 2018 haben wir es vergeigt, letztes Jahr die Euro in den Sand gesetzt.“Und weiter: „Das ist für mich persönlich nicht so einfach zu verkraften. Wenn ich persönlich dann mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht werde, ist das nichts, wofür man stehen möchte.“Immerhin ist ihm seine Rolle als Führungssp­ieler bewusst. „Ich habe den Ehrgeiz und den Anspruch – gerade ich in der Rolle, die ich dieses Jahr hatte, mehr Verantwort­ung zu übernehmen – dem Team dazu verhelfen, weiterzuko­mmen. Das ist mir nicht gelungen, wir fahren wieder nach Hause. Ich habe ein bisschen Angst davor, in ein Loch zu fallen.“

Nach dem Rückflug am Freitag hat Kimmich wie die anderen sechs Bayern-Profis erst mal Urlaub. Wenn es überhaupt etwas Positives für die Profis nach dem Schock des Ausscheide­ns in Katar ist, dann die Tatsche, nun etwas mehr als vier Wochen frei zu haben. Ob er sich noch die weiteren WM-Spiele anschaue? „Das ist wie Aufkratzen einer Wunde, wenn man die Spiele anguckt und denkt, da könnte ich jetzt auf dem Platz stehen“, sagte Kimmich ehrlich und erklärte: „Ich denke nicht, dass ich mir damit einen Gefallen tun würde. Natürlich werde ich das verfolgen, man kommt ja nicht drumherum, aber ich denke nicht, dass ich mir gezielt viele Spiele angucken werde.“

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FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO Zum Verzweifel­n: Joshua Kimmich war bei der WM weder mit der Offensive, noch mit der Defensive des deutschen Teams zufrieden.

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