Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kliniken vor dem Kollaps?
Krankenhäuser und Rehazentren haben mit den gestiegenen Energiekosten extrem zu kämpfen. Viele sehen die Versorgungssicherheit gefährdet und fordern schnelle Hilfe von der Politik.
TANNHEIM - Es ist viel los im Foyer der Nachsorgeklinik Tannheim an diesem Donnerstagmittag Ende November. Kinder tollen überall mit ihren Eltern und Geschwistern herum. Die Stimmung ist munter, erste Familien kommen gerade vom Mittagessen, gehen wieder auf ihre Zimmer. Es wirkt fast ein bisschen wie der Eingangsbereich eines Urlaubshotels am Mittelmeer. Was aber die Familien in der Nachsorgeklinik eint, ist nicht die Lust nach Sonne, Strand und Meer, sondern ein schweres gesundheitliches Schicksal – denn in Tannheim am Ostrand des Schwarzwalds werden krebskranke, herzkranke und an Muskoviszidose – einem Lungenleiden – erkrankte Kinder versorgt. Hier können sie sich nach ihrer Akutbehandlung erholen, sollen wieder zurück ins Leben finden.
Die meisten der 37 jungen Patienten sind nicht allein. „Weil wir nicht nur den Patienten, sondern auch seine Eltern und Geschwister als behandelnde Einheit sehen. Denn wenn ein Kind an Krebs erkrankt, ist das ein riesiger Schock für die gesamte Familie“, sagt Roland Wehrle, Geschäftsführer der Klinik. Deshalb sind hier mitunter auch Familien zu Gast, die ihr Kind bereits verloren haben. In Tannheim, einem größeren Dorf nicht weit von Villingen-Schwenningen entfernt, werden sie alle betreut – medizinisch und psychologisch. Seit 25 Jahren gibt es die Nachsorgeklinik schon, stets gut nachgefragt. Immer belegt. So schwere Zeiten wie gerade hat die Klinik aber noch nie durchlebt, sagt Wehrle.
Die Energiekrise trifft das Haus mit voller Wucht. Beliefen sich die Energiekosten im Jahr 2019 noch auf 240.000 Euro, rechnet die Klinik 2023/24 mit rund 1,3 Millionen. „Bei so einer Preissteigerung stellt sich natürlich die Frage: Woher soll das Geld kommen?“, betont Wehrle. Denn die Tagessätze, die seine Klinik von den Kranken- und Rentenversicherungen bekommt, reichen seit Jahren nicht aus. „Die Klinik Tannheim war seit ihrer Gründung immer auf Spenden und Zuwendungen angewiesen“, erläutert Wehrle. Anders als kommunale Krankenhäuser, die beispielsweise einem Landkreis gehören, kann die gemeinnützige Klinik in Tannheim ihre Defizite nur mit Spendengeldern ausgleichen. Wichtig für
Wehrles Klinik etwa: die DeutscheKinderkrebsnachsorge-Stiftung sowie drei weitere gemeinnützige Betroffenenverbände.
Die Spendengelder der Stiftung gleichen die Defizite im Normalfall aus. Das gestaltet sich aufgrund der allgemeinen Preisexplosion, vor allem im Energiebereich, aber zunehmend schwieriger. Laut Wehrle belaufen sich die Gesamtkosten seiner Klinik für dieses Jahr auf fast 1,5 Millionen Euro. „Zwar können wir vieles noch über Spenden auffangen, aber irgendwann gibt es einen Punkt, an dem es nicht mehr geht.“Damit der Klinik nicht die Insolvenz droht, ist für Wehrle die Politik gefordert. „Es muss jetzt Hilfe kommen“, betont er.
„Die Krankenhäuser müssen die größte Krise seit Jahrzehnten bewältigen“, sagt der zuständige baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Allerdings ist der Bund für die Finanzierung der Betriebskosten in den Krankenhäusern zuständig. Der sei nun gefordert, die anfallenden Mehrkosten für die Kliniken auszugleichen, so das Ministerium.
Und der Bund hat reagiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte im November ein milliardenschweres Hilfspaket aus den Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds an. Es „werden Mittel in Höhe von bis zu acht Milliarden Euro zur Verfügung gestellt“, heißt es auf Anfrage aus dem Bundesgesundheitsministerium. Für die Krankenhäuser sind sechs Milliarden eingeplant. Auch die Reha- und Nachsorgekliniken werden dabei berücksichtigt. Ob das reicht? Darauf gibt es aus dem Hause Lauterbach keine Antwort. Auch die Frage, wann die Kliniken mit dem Geld rechnen können, wird nur äußerst vage beantwortet. „Die Krankenhäuser sollen im Zeitraum von Oktober 2022 bis April 2024 eine Erstattung ihrer Energiemehrkosten erhalten.“Aktuell erarbeite man noch die erforderlichen rechtlichen Grundlagen.
Ob die sechs Milliarden Euro genügen, um die unglaublichen Preisexplosionen auszugleichen, „kann man heute nicht seriös sagen, weil wir nicht wissen, wie sich die Preise in den nächsten eineinhalb Jahren entwickeln werden“, sagt Matthias Einwag, seit 2008 Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen
(BWKG).
Den immensen Preisanstieg „spüren die Krankenhäuser an allen Ecken und Enden“. Neben den hohen Energiepreisen sind vor allem auch die Sachkosten gestiegen. Egal ob medizinische Geräte, Hygieneartikel oder Nahrungsmittel – alles ist deutlich teurer geworden. Laut Einwag macht der gesamte Sachkostenblock ungefähr ein Drittel der Gesamtkosten bei den Krankenhäusern aus.
Krankenhausgesellschaft
Zwar sei das Hilfspaket von Lauterbach ein Hoffnungszeichen, „gleichzeitig haben wir große Zweifel, ob dieses Geld tatsächlich bei den Kliniken ankommt“, befürchtet Einwag. Weil der Verteilmechanismus nicht stimme. Von den sechs Milliarden sollen 4,5 Milliarden Euro zur Finanzierung der Energiekostensteigerungen eingesetzt werden und nur 1,5 Milliarden als Finanzierungszuschuss für die Kostensteigerungen bei Nahrungsmitteln, medizinischem
Bedarf und Dienstleistungen. Der Sachkostenblock sei aber viel größer als der Energiekostenblock, erklärt Einwag. „Deshalb muss der Verteilmechanismus unbedingt angepasst werden, wenn den Kliniken tatsächlich geholfen werden soll.“Außerdem seien viele Häuser darauf angewiesen, dass das Geld schnell und bürokratiearm bei ihnen ankommt. „Danach sieht es aktuell aber leider nicht aus“, so Einwag.
Die BWKG hat ihre Mitglieder befragt, wie sie die Belastungen in diesem Jahr einschätzen. Das Ergebnis: 500 Millionen Euro mehr brauchen die Kliniken im Südwesten im Vergleich zum Jahr 2021. „Wenn man das auf die Gesamtkosten bezieht, wäre das eine Steigerung um etwa fünf Prozent. Denn wir haben Gesamtkosten in Baden-Württemberg von etwa zehn Milliarden“, erklärt Einwag. „Das ist nicht mehr leistbar. Das muss man klar sagen.“Vor allem, weil die Steigerungen aller Voraussicht nach auch 2023 weitergehen. Und die Kliniken können die Mehrkosten nicht an ihre „Kunden“– die Patienten – weitergeben.
Schon 2021 haben rund 40 Prozent der Kliniken ein Defizit ausgewiesen. Die BWKG geht davon aus, dass der Prozentsatz in diesem Jahr im Südwesten noch mal deutlich nach oben geht. „Vermutlich werden weit über 60 Prozent der Krankenhäuser 2022 rote Zahlen schreiben“, so Einwag. Ob es deswegen zu Klinikschließungen kommt, sei im Einzelnen schwierig zu prognostizieren, aber „wenn Kliniken dauerhaft Defizite machen, sind Insolvenzen nicht auszuschließen“.
Für die SRH-Kliniken im Landkreis Sigmaringen liegt die Teuerung der Energiekosten bei 230 Prozent, wie Unternehmenssprecherin Barbara Koch bestätigt. „Die Preissteigerung belastet uns schwer und das derzeitige Vergütungssystem sieht keine Kompensation bei steigenden Energiekosten vor“, so Koch. Wie andere Kliniken auch, sei man in Sigmaringen auf das von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigte Entlastungspaket angewiesen.
Ähnlich ist es auch bei den Sana Kliniken im Landkreis Biberach, für die die sprunghaft gestiegenen Kosten ebenfalls eine große Herausforderung darstellen. „Im Gegensatz zu anderen Branchen können Kliniken diese gesteigerten Kosten nicht an die Kostenträger weitergeben. Wir begrüßen daher den staatlichen Inflationsausgleich in Form des angekündigten Entlastungspakets und hoffen auf schnelle und unbürokratische Unterstützung“, sagt Timo Ganter, Kaufmännischer Leiter der Sana Kliniken.
Selbst Energie einzusparen, gestaltet sich für die Krankenhäuser und Rehakliniken schwierig. Für Roland Wehrle in der Tannheimer Nachsorgeklinik ist es an vielen Stellen gar nicht möglich. „Wir haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Energie einzusparen. Ein Beispiel: Herzkranke Kinder frieren sehr schnell. Ich kann das Therapiebad nicht auf 25 Grad runterkühlen, weil diese Kinder es dann nicht mehr benutzen können“, erklärt er. Natürlich prüfe er mit seinen Mitarbeitern alle Möglichkeiten und erstelle energetische Konzepte, aber die Mehrkosten könne man sowieso nie durch Einsparmaßnahmen auffangen.
Es sind ohnehin schwierige Zeiten für die Krankenhäuser im Südwesten. Zum einen haben die meisten Kliniken die Nachwirkungen des Coronavirus noch nicht wirklich verdaut, zum anderen ist der Fachkräftemangel immer noch enorm hoch. Besonders in spezialisierten Einrichtungen wie in Tannheim fehlen Fachkräfte und Fachärzte. „Das ist ein Drama. Es gibt viel zu wenige Kinderkardiologen, Kinderonkologen, Kinderpneumologen und diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen“, beklagt Wehrle, der genau diese speziellen Fachärzte an seiner Klinik braucht.
Trotz der prekären Situation seiner Nachsorgeklinik bleibt der 73Jährige optimistisch. In Tannheim mussten Wehrle und seine Mitstreiter schon immer öffentlich über Probleme reden und für ihre Konzepte werben. „Ich glaube, dass auch in schwierigen Zeiten Menschen bereit sind, denen zu helfen, die nachweislich Hilfe brauchen – in dem Fall auch unserer Klinik“, betont er.
Mittlerweile ist es in Tannheim Nachmittag geworden. Die Sonne zeigt sich noch ein letztes Mal, bevor sie für heute abtaucht. Draußen vor der Klinik spielen ein paar Kinder. Gelächter ist zu hören, etwas Geschrei. Man hat nicht das Gefühl, sich auf einem Klinikgelände zu befinden. Dazu wirkt es viel zu wenig steril und viel zu heimelig. Ein Ort, an dem junge Menschen wieder zurück ins Leben finden können. Kinder sind ja die Zukunft, sagt Wehrle. Er glaubt trotz der Krise fest daran, dass sein Haus auch diese Herausforderungen übersteht. Und, dass hier in Tannheim weiterhin Kinder gemeinsam mit ihren Familien nach einer schweren Erkrankung behandelt werden können.