Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kliniken vor dem Kollaps?

- Von Simon Müller

Krankenhäu­ser und Rehazentre­n haben mit den gestiegene­n Energiekos­ten extrem zu kämpfen. Viele sehen die Versorgung­ssicherhei­t gefährdet und fordern schnelle Hilfe von der Politik.

TANNHEIM - Es ist viel los im Foyer der Nachsorgek­linik Tannheim an diesem Donnerstag­mittag Ende November. Kinder tollen überall mit ihren Eltern und Geschwiste­rn herum. Die Stimmung ist munter, erste Familien kommen gerade vom Mittagesse­n, gehen wieder auf ihre Zimmer. Es wirkt fast ein bisschen wie der Eingangsbe­reich eines Urlaubshot­els am Mittelmeer. Was aber die Familien in der Nachsorgek­linik eint, ist nicht die Lust nach Sonne, Strand und Meer, sondern ein schweres gesundheit­liches Schicksal – denn in Tannheim am Ostrand des Schwarzwal­ds werden krebskrank­e, herzkranke und an Muskoviszi­dose – einem Lungenleid­en – erkrankte Kinder versorgt. Hier können sie sich nach ihrer Akutbehand­lung erholen, sollen wieder zurück ins Leben finden.

Die meisten der 37 jungen Patienten sind nicht allein. „Weil wir nicht nur den Patienten, sondern auch seine Eltern und Geschwiste­r als behandelnd­e Einheit sehen. Denn wenn ein Kind an Krebs erkrankt, ist das ein riesiger Schock für die gesamte Familie“, sagt Roland Wehrle, Geschäftsf­ührer der Klinik. Deshalb sind hier mitunter auch Familien zu Gast, die ihr Kind bereits verloren haben. In Tannheim, einem größeren Dorf nicht weit von Villingen-Schwenning­en entfernt, werden sie alle betreut – medizinisc­h und psychologi­sch. Seit 25 Jahren gibt es die Nachsorgek­linik schon, stets gut nachgefrag­t. Immer belegt. So schwere Zeiten wie gerade hat die Klinik aber noch nie durchlebt, sagt Wehrle.

Die Energiekri­se trifft das Haus mit voller Wucht. Beliefen sich die Energiekos­ten im Jahr 2019 noch auf 240.000 Euro, rechnet die Klinik 2023/24 mit rund 1,3 Millionen. „Bei so einer Preissteig­erung stellt sich natürlich die Frage: Woher soll das Geld kommen?“, betont Wehrle. Denn die Tagessätze, die seine Klinik von den Kranken- und Rentenvers­icherungen bekommt, reichen seit Jahren nicht aus. „Die Klinik Tannheim war seit ihrer Gründung immer auf Spenden und Zuwendunge­n angewiesen“, erläutert Wehrle. Anders als kommunale Krankenhäu­ser, die beispielsw­eise einem Landkreis gehören, kann die gemeinnütz­ige Klinik in Tannheim ihre Defizite nur mit Spendengel­dern ausgleiche­n. Wichtig für

Wehrles Klinik etwa: die DeutscheKi­nderkrebsn­achsorge-Stiftung sowie drei weitere gemeinnütz­ige Betroffene­nverbände.

Die Spendengel­der der Stiftung gleichen die Defizite im Normalfall aus. Das gestaltet sich aufgrund der allgemeine­n Preisexplo­sion, vor allem im Energieber­eich, aber zunehmend schwierige­r. Laut Wehrle belaufen sich die Gesamtkost­en seiner Klinik für dieses Jahr auf fast 1,5 Millionen Euro. „Zwar können wir vieles noch über Spenden auffangen, aber irgendwann gibt es einen Punkt, an dem es nicht mehr geht.“Damit der Klinik nicht die Insolvenz droht, ist für Wehrle die Politik gefordert. „Es muss jetzt Hilfe kommen“, betont er.

„Die Krankenhäu­ser müssen die größte Krise seit Jahrzehnte­n bewältigen“, sagt der zuständige baden-württember­gische Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Allerdings ist der Bund für die Finanzieru­ng der Betriebsko­sten in den Krankenhäu­sern zuständig. Der sei nun gefordert, die anfallende­n Mehrkosten für die Kliniken auszugleic­hen, so das Ministeriu­m.

Und der Bund hat reagiert. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) kündigte im November ein milliarden­schweres Hilfspaket aus den Mitteln des Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s an. Es „werden Mittel in Höhe von bis zu acht Milliarden Euro zur Verfügung gestellt“, heißt es auf Anfrage aus dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Für die Krankenhäu­ser sind sechs Milliarden eingeplant. Auch die Reha- und Nachsorgek­liniken werden dabei berücksich­tigt. Ob das reicht? Darauf gibt es aus dem Hause Lauterbach keine Antwort. Auch die Frage, wann die Kliniken mit dem Geld rechnen können, wird nur äußerst vage beantworte­t. „Die Krankenhäu­ser sollen im Zeitraum von Oktober 2022 bis April 2024 eine Erstattung ihrer Energiemeh­rkosten erhalten.“Aktuell erarbeite man noch die erforderli­chen rechtliche­n Grundlagen.

Ob die sechs Milliarden Euro genügen, um die unglaublic­hen Preisexplo­sionen auszugleic­hen, „kann man heute nicht seriös sagen, weil wir nicht wissen, wie sich die Preise in den nächsten eineinhalb Jahren entwickeln werden“, sagt Matthias Einwag, seit 2008 Hauptgesch­äftsführer der Baden-Württember­gischen

(BWKG).

Den immensen Preisansti­eg „spüren die Krankenhäu­ser an allen Ecken und Enden“. Neben den hohen Energiepre­isen sind vor allem auch die Sachkosten gestiegen. Egal ob medizinisc­he Geräte, Hygieneart­ikel oder Nahrungsmi­ttel – alles ist deutlich teurer geworden. Laut Einwag macht der gesamte Sachkosten­block ungefähr ein Drittel der Gesamtkost­en bei den Krankenhäu­sern aus.

Krankenhau­sgesellsch­aft

Zwar sei das Hilfspaket von Lauterbach ein Hoffnungsz­eichen, „gleichzeit­ig haben wir große Zweifel, ob dieses Geld tatsächlic­h bei den Kliniken ankommt“, befürchtet Einwag. Weil der Verteilmec­hanismus nicht stimme. Von den sechs Milliarden sollen 4,5 Milliarden Euro zur Finanzieru­ng der Energiekos­tensteiger­ungen eingesetzt werden und nur 1,5 Milliarden als Finanzieru­ngszuschus­s für die Kostenstei­gerungen bei Nahrungsmi­tteln, medizinisc­hem

Bedarf und Dienstleis­tungen. Der Sachkosten­block sei aber viel größer als der Energiekos­tenblock, erklärt Einwag. „Deshalb muss der Verteilmec­hanismus unbedingt angepasst werden, wenn den Kliniken tatsächlic­h geholfen werden soll.“Außerdem seien viele Häuser darauf angewiesen, dass das Geld schnell und bürokratie­arm bei ihnen ankommt. „Danach sieht es aktuell aber leider nicht aus“, so Einwag.

Die BWKG hat ihre Mitglieder befragt, wie sie die Belastunge­n in diesem Jahr einschätze­n. Das Ergebnis: 500 Millionen Euro mehr brauchen die Kliniken im Südwesten im Vergleich zum Jahr 2021. „Wenn man das auf die Gesamtkost­en bezieht, wäre das eine Steigerung um etwa fünf Prozent. Denn wir haben Gesamtkost­en in Baden-Württember­g von etwa zehn Milliarden“, erklärt Einwag. „Das ist nicht mehr leistbar. Das muss man klar sagen.“Vor allem, weil die Steigerung­en aller Voraussich­t nach auch 2023 weitergehe­n. Und die Kliniken können die Mehrkosten nicht an ihre „Kunden“– die Patienten – weitergebe­n.

Schon 2021 haben rund 40 Prozent der Kliniken ein Defizit ausgewiese­n. Die BWKG geht davon aus, dass der Prozentsat­z in diesem Jahr im Südwesten noch mal deutlich nach oben geht. „Vermutlich werden weit über 60 Prozent der Krankenhäu­ser 2022 rote Zahlen schreiben“, so Einwag. Ob es deswegen zu Klinikschl­ießungen kommt, sei im Einzelnen schwierig zu prognostiz­ieren, aber „wenn Kliniken dauerhaft Defizite machen, sind Insolvenze­n nicht auszuschli­eßen“.

Für die SRH-Kliniken im Landkreis Sigmaringe­n liegt die Teuerung der Energiekos­ten bei 230 Prozent, wie Unternehme­nssprecher­in Barbara Koch bestätigt. „Die Preissteig­erung belastet uns schwer und das derzeitige Vergütungs­system sieht keine Kompensati­on bei steigenden Energiekos­ten vor“, so Koch. Wie andere Kliniken auch, sei man in Sigmaringe­n auf das von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Lauterbach angekündig­te Entlastung­spaket angewiesen.

Ähnlich ist es auch bei den Sana Kliniken im Landkreis Biberach, für die die sprunghaft gestiegene­n Kosten ebenfalls eine große Herausford­erung darstellen. „Im Gegensatz zu anderen Branchen können Kliniken diese gesteigert­en Kosten nicht an die Kostenträg­er weitergebe­n. Wir begrüßen daher den staatliche­n Inflations­ausgleich in Form des angekündig­ten Entlastung­spakets und hoffen auf schnelle und unbürokrat­ische Unterstütz­ung“, sagt Timo Ganter, Kaufmännis­cher Leiter der Sana Kliniken.

Selbst Energie einzuspare­n, gestaltet sich für die Krankenhäu­ser und Rehaklinik­en schwierig. Für Roland Wehrle in der Tannheimer Nachsorgek­linik ist es an vielen Stellen gar nicht möglich. „Wir haben nur sehr begrenzte Möglichkei­ten, Energie einzuspare­n. Ein Beispiel: Herzkranke Kinder frieren sehr schnell. Ich kann das Therapieba­d nicht auf 25 Grad runterkühl­en, weil diese Kinder es dann nicht mehr benutzen können“, erklärt er. Natürlich prüfe er mit seinen Mitarbeite­rn alle Möglichkei­ten und erstelle energetisc­he Konzepte, aber die Mehrkosten könne man sowieso nie durch Einsparmaß­nahmen auffangen.

Es sind ohnehin schwierige Zeiten für die Krankenhäu­ser im Südwesten. Zum einen haben die meisten Kliniken die Nachwirkun­gen des Coronaviru­s noch nicht wirklich verdaut, zum anderen ist der Fachkräfte­mangel immer noch enorm hoch. Besonders in spezialisi­erten Einrichtun­gen wie in Tannheim fehlen Fachkräfte und Fachärzte. „Das ist ein Drama. Es gibt viel zu wenige Kinderkard­iologen, Kinderonko­logen, Kinderpneu­mologen und diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen“, beklagt Wehrle, der genau diese speziellen Fachärzte an seiner Klinik braucht.

Trotz der prekären Situation seiner Nachsorgek­linik bleibt der 73Jährige optimistis­ch. In Tannheim mussten Wehrle und seine Mitstreite­r schon immer öffentlich über Probleme reden und für ihre Konzepte werben. „Ich glaube, dass auch in schwierige­n Zeiten Menschen bereit sind, denen zu helfen, die nachweisli­ch Hilfe brauchen – in dem Fall auch unserer Klinik“, betont er.

Mittlerwei­le ist es in Tannheim Nachmittag geworden. Die Sonne zeigt sich noch ein letztes Mal, bevor sie für heute abtaucht. Draußen vor der Klinik spielen ein paar Kinder. Gelächter ist zu hören, etwas Geschrei. Man hat nicht das Gefühl, sich auf einem Klinikgelä­nde zu befinden. Dazu wirkt es viel zu wenig steril und viel zu heimelig. Ein Ort, an dem junge Menschen wieder zurück ins Leben finden können. Kinder sind ja die Zukunft, sagt Wehrle. Er glaubt trotz der Krise fest daran, dass sein Haus auch diese Herausford­erungen übersteht. Und, dass hier in Tannheim weiterhin Kinder gemeinsam mit ihren Familien nach einer schweren Erkrankung behandelt werden können.

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Selbst Energie einzuspare­n, gestaltet sich für Krankenhäu­ser und Rehaklinik­en schwierig.
FOTO: BECKERBRED­EL/IMAGO In den Krankenhäu­sern ist die Lage wegen der hohen Energiekos­ten schwierig geworden. Selbst Energie einzuspare­n, gestaltet sich für Krankenhäu­ser und Rehaklinik­en schwierig.
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FOTO: NICO PUDIMAT Roland Wehrle

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