Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bald kein Öl mehr aus Russland

Ab diesem Montag greift das Embargo – Zugleich tritt ein Ölpreisdec­kel in Kraft – Furcht vor Engpässen

- Von Ansgar Haase und Verena Schmitt-Roschmann

BERLIN/SCHWEDT (dpa) - Die EU macht Druck. Ab diesem Montag greift das nach dem Ukraine-Krieg verhängte Ölembargo gegen Russland. Zugleich tritt ein Ölpreisdec­kel in Kraft. Die Folgen sind komplex, auch für Deutschlan­d. Vor allem im Osten gibt es Sorgen.

Gut neun Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine macht die Europäisch­e Union ernst. Ab Montag soll schrittwei­se ein Ölembargo gegen Russland greifen. Zugleich haben die EU und ihre G7Partner einen Ölpreisdec­kel beschlosse­n: Sie wollen Russland vorgeben, zu welchem Preis es sein Erdöl auf dem Weltmarkt verkaufen darf — nicht mehr als 60 US-Dollar (57 Euro) je Barrel (159 Liter). Ziel ist, die Kriegskass­e des Kreml auszutrock­nen und die Energiepre­ise weltweit zu stabilisie­ren.

Aber schaden sich die Europäer nicht selbst damit? In Deutschlan­d fürchten einige wegen des Embargos mitten in der Gas- und Stromkrise auch noch Engpässe und höhere Preise an der Tankstelle. Besonders groß sind die Sorgen in der PCK-Raffinerie im brandenbur­gischen Schwedt, die seit Jahrzehnte­n russisches Öl verarbeite­t. Ein Überblick. sonst würde die wertvolle Ressource auf dem Weltmarkt noch knapper. Aber zu einem vom Westen diktierten, niedrigere­n Preis. Das Projekt wurde maßgeblich von den Amerikaner­n vorangetri­eben, die befürchtet­en, dass das europäisch­e Einfuhrver­bot die Preise für nicht-russisches Öl und damit auch für Benzin in die Höhe treiben könnte. Nun ist die Hoffnung, dass die Preisoberg­renze zu einer Entspannun­g auf den Energiemär­kten führt. dem jüngsten Marktpreis von 69 Dollar für russisches Öl. Nach Angaben von Estlands Regierungs­chefin Kaja Kallas könnte jeder Dollar weniger pro Barrel die russischen Einnahmen aus dem Ölverkauf um zwei Milliarden Dollar (1,9 Milliarden Euro) pro Jahr drücken.

Russland sagt, man werde kein Öl an Länder liefern, die den Preisdecke­l akzeptiere­n. Hielte Moskau das durch, könnte es zu einer Verknappun­g und damit steigenden Preisen führen. „Die EU gefährdet ihre eigene Energiesic­herheit“, sagte der russische Außenpolit­iker Leonid Sluzki laut Staatsagen­tur Tass.

Aber die Grenze wurde nun so nah am Marktpreis festgesetz­t, dass sich für Russland Exporte trotzdem lohnen. Das westliche Kalkül: Der Kreml werde auf die Einnahmen aus Exporten an Drittstaat­en nicht verzichten können. Wichtig wird, wie sich etwa China, Indien oder Ägypten verhalten, die derzeit viel russisches Erdöl kaufen.

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisiert­e am Samstag, der Preisdecke­l sei keine „ernsthafte Entscheidu­ng“, da er für Moskau zu „komfortabe­l“sei. Ein Preisdecke­l von 60 Dollar pro Barrel Öl ermögliche Russland immer noch Einnahmen von etwa hundert Milliarden Dollar pro Jahr. Selenskyjs Berater Andrij Jermak erklärte, um die russische Wirtschaft noch schneller zu „zerstören“, wäre eine Obergrenze von 30 Dollar nötig gewesen.

Werden Heizöl und Diesel in Deutschlan­d mit dem Deckel billiger?

Auch das hängt von der Reaktion Russlands und der Weltmärkte ab. Grundsätzl­ich entwickeln sich der Heizölprei­s und der internatio­nale Preis für Rohöl in dieselbe Richtung, wenn auch mit etwas Zeitverzug. Doch wirken auch andere Faktoren, wie Konjunktur, Nachfrage, Steuern und Abgaben sowie Transport- und Lagerhaltu­ngskosten. Zum Spritpreis sagt ADAC-Kraftstoff­marktexper­te Christian Laberer: „Letztlich kommt es darauf an, ob der Deckel die Ölpreise drückt oder im Gegenteil zum Steigen bringt.“

Und wie wird sich das Ölembargo auswirken?

Kritiker warnen, dass Verbrauche­r den deutschen Verzicht auf russisches Pipeline-Öl ab 1. Januar an der Zapfsäule zu spüren bekommen und das vor allem in Ostdeutsch­land. Hintergrun­d ist die besondere Lage in der PCK-Raffinerie im brandenbur­gischen Schwedt. Das Werk mit 1200 Mitarbeite­rn verarbeite­t seit Jahrzehnte­n russisches Öl aus der Druschba und versorgt damit weite Teile Mecklenbur­g-Vorpommern­s, Brandenbur­gs und die Hauptstadt Berlin, einschließ­lich des Flughafens BER. Und noch immer ist nicht klar, woher künftig das Öl zur vollen Auslastung des PCK kommen soll. Das liegt auch daran, dass die Mehrheitse­igner, zwei Töchter des russischen Staatskonz­erns Rosneft, lange kein

Interesse an einer Abkehr vom russischen Öl zeigten. Seit Mitte September stehen sie unter Treuhandko­ntrolle des Bundes. Die Regierung sucht sehr angestreng­t alternativ­e Ölquellen für Schwedt.

Welche Optionen gibt es für das PCK?

Bis zu 55 Prozent des Bedarfs im PCK sollen über Tanker nach Rostock und von dort über eine bestehende Pipeline nach Schwedt gebracht werden. Mehr schafft die Leitung derzeit nicht. Deshalb verfolgt die Bundesregi­erung zwei weitere Möglichkei­ten: Kasachisch­es Öl könnte über die Druschba geliefert werden. Und zusätzlich­es Tankeröl könnte über den polnischen Hafen Danzig kommen. Über diesen versorgt sich künftig auch die ostdeutsch­e Raffinerie in Leuna. Deren französisc­her Besitzer Total hatte schon im Frühjahr entschiede­n, ab Jahresende kein russisches Öl mehr zu kaufen, und will dies nach jüngsten Angaben auch durchziehe­n.

Beim PCK hatte Polen wegen der Rosneft-Beteiligun­g lange Vorbehalte. Nach zähen Verhandlun­gen verkündete Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag dann einen Durchbruch: Polen sagte grundsätzl­ich zu, dass künftig auch Schwedt über Danzig Öl bekommen könnte. Die Menge blieb jedoch offen. Habecks Staatssekr­etär Michael Kellner reist deshalb an diesem Montag für „vertiefte Gespräche“nach Polen.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Folgen hat das Ölembargo vor allem für die PCK-Raffinerie im brandenbur­gischen Schwedt. Noch immer ist nicht klar, woher künftig das Öl zur vollen Auslastung der Anlage kommen soll.

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