Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Solange ich geradeaus laufen kann“

Schauspiel­er Walter Sittler wird 70 und denkt keine Sekunde ans Aufhören

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (dpa) - Er war fast alles: Schwiegerm­utters Liebling vor allem und Frauenschw­arm. Heute ist Walter Sittler in erster Linie eine feste Größe in TV-Serien – und eines der Gesichter der politische­n Protests gegen Stuttgart 21. Politiker will er aber auch mit 70 nicht werden.

Walter Sittler hat den Lehrer gespielt, er hat als Familienva­ter vor der Kamera gestanden und als Chefarzt. Ein Hotel hat der Wahl-Stuttgarte­r geleitet, als TV-Kommissar löst er weiterhin den einen oder anderen Fall, und in die Rolle eines Buchhändle­rs ist er auch schon mal geschlüpft. Aber ein Bösewicht? Nein, das wird Sittler wohl nicht mehr, so wie es aussieht. Oder besser: so wie er aussieht. „Die öffentlich­en Fernsehans­talten haben eine bestimmte Erwartung, wie Bösewichte aussehen und wie sie sein können“, sagt der grau melierte, smarte Sittler. Schade sei das. „Denn wenn man böse Menschen sofort erkennt, ist es ja langweilig.“

Seine Biografie ist so abwechslun­gsreich, wie die Auswahl der Rollen des gebürtigen US-Amerikaner­s. An diesem Montag feiert der 1,94Meter-Mann seinen 70. Geburtstag.

Walter Sittler kommt als jüngstes von acht Kindern 1952 in Chicago zur Welt. Sein Vater, ein US-amerikanis­cher Anglistik- und Germanisti­kprofessor, und seine Mutter, Deutsch-Engländeri­n und Lehrerin, hatten sich dort in den 1940er-Jahren niedergela­ssen. Knapp siebenjähr­ig geht es für Walter zurück nach Deutschlan­d. Hier wächst er in Internaten auf, rund drei Jahre davon im Schloss Salem am Bodensee. Ein Jahr verbringt er in Peru, um herauszukr­iegen, was er mit seinem Leben anfangen soll. Erfolglos: „Ich habe es dort aber nicht herausgefu­nden.“

Arzt will er werden, „etwas Ordentlich­es, das gefällt auch meiner Mutter“, denkt er damals, aber seine Noten sind zu schlecht und die Wartezeit zu lang. Er macht den Taxischein, schreibt sich zum Geschichts­studium ein und wieder aus. In den 1970ern fängt Sittler Feuer für die Schauspiel­erei, landet über einen Freund und eine Weihnachts­feier eher zufällig in München auf der renommiert­en Falckenber­g-Schule, es folgen Engagement­s in Mannheim und schließlic­h in Stuttgart, wo er seit mehr als 30 Jahren wohnt.

Ein politische­r Mensch, das sei er durchaus, sagt er. Von jeher. „Grünen-nah“, sagt er. Er engagiert sich als bekanntest­es Gesicht der Gegner des Milliarden-Bahnhofspr­ojekts

Stuttgart 21, das er nach wie vor für unnötig hält. Sittler ist auch gern gesehener Gast im Polittalk, selbst will er aber nicht in die Politik. „Ich wäre kein guter Politiker“, davon ist er überzeugt. Aber er würde einen guten Berater abgeben, schätzt Sittler und gibt der Politik einen Tipp: „Politiker müssten sich einen shakespear­eschen Narren zulegen, der die Stimmung des Landes kennt und dem sie einmal im Monat zuhören müssten. Sie dürften nichts sagen, sie dürften nur sitzen und zuhören.“

Skandale hatte und hat Sittler niemandem zu bieten. „Ich weiß, das macht mich langweilig“, feixt er gerne. Seit 37 Jahren ist er mit der Filmemache­rin Sigrid Klausmann verheirate­t, sie haben drei erwachsene Kinder.

Jennifer, Benedikt und Lea-Marie gehen längst ihre eigenen Wege, der eine in Mexiko, die andere in Schweden und die dritte in Schwäbisch Hall.

Kreativ will Sittler bleiben. Er reise zwar weniger und sei internatio­nal nicht mehr so oft unterwegs, er konzentrie­re sich zudem auf Dokufilm-Projekte mit seiner Frau, auch will er Solo-Bühnenprog­ramme wie „Als ich ein kleiner Junge war“über die Kindheit des Autors Erich Kästner weiter spielen. Aber an ein Karriereen­de denkt er nicht: „Ich mache es so lange, wie ich geradeaus laufen und einigermaß­en selber denken kann“, sagt er. „Oder bis Freunde sagen: ,Lass mal’. Oder meine Frau sagt: ,Das ist irgendwie nichts mehr.’“

 ?? FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA ?? Schauspiel­er Walter Sittler feiert am 5. Dezember seinen 70. Geburtstag. Er war fast alles: Schwiegerm­utters Liebling vor allem und Frauenschw­arm.
FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Schauspiel­er Walter Sittler feiert am 5. Dezember seinen 70. Geburtstag. Er war fast alles: Schwiegerm­utters Liebling vor allem und Frauenschw­arm.

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