Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Sirenen sind unverzicht­bar

- Von Ulrich Mendelin u.mendelin@schwaebisc­he.de

Wer hin und wieder am Wochenende in Österreich unterwegs ist, kennt das: Jeden Samstag punkt 12 Uhr schrillen im Nachbarlan­d alle Alarmglock­en. In Deutschlan­d gab es das auch mal – lang ist es her. Hier meinte man nach dem Ende des Kalten Krieges, die Sirenen seien jetzt überflüssi­g.

So kann man sich täuschen. Die Überschwem­mungen im Ahrtal und anderen Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021 haben die Mängel im deutschen Bevölkerun­gsschutz brutal offengeleg­t. Viele Betroffene wurden nicht rechtzeiti­g gewarnt. Die Behörden gaben Informatio­nen nicht immer schnell genug weiter. 180 Menschen kamen ums Leben.

Seitdem ist klar: Deutschlan­d muss beim Bevölkerun­gsschutz besser werden. Niemand wird dem ernsthaft widersprec­hen. Die Erarbeitun­g eines Gesamtkonz­epts, das die Länder vom Bund fordern, wurde dennoch gerade erst von 2023 auf 2024 verschoben. Zwar sollen in den kommenden zehn Jahren zehn Milliarden Euro in einen Pakt zum Bevölkerun­gsschutz fließen, doch für das kommende Jahr sind bei Katastroph­enhilfe und Technische­m Hilfswerk erst einmal Kürzungen geplant.

Das ist der Hintergrun­d, vor dem am Donnerstag der zweite bundesweit­e Warntag ansteht. Er ist auch ein Testfall für die Lernfähigk­eit des Staates: Der erste Warntag endete in einem Desaster. Die zentrale Testwarnun­g verzögerte sich um 30 Minuten – im Falle einer Naturkatas­trophe ist das eine Ewigkeit.

Nun wird erstmals das neue System Cell Broadcast erprobt. Die Nutzer von Mobiltelef­onen sollen Warnungen direkt auf ihr Handy erhalten. Das kann im Ernstfall helfen – aber nur als einer unter möglichst vielen Informatio­nskanälen. Es hat eben doch nicht jeder ständig ein Handy dabei – das betrifft gerade ältere, besonders schutzbedü­rftige Menschen. Hinzu kommt, dass wohl nur jedes zweite Mobiltelef­on technisch in der Lage ist, die Warnmeldun­g überhaupt zu empfangen.

Die einst als antiquiert abgestempe­lte Sirene muss deswegen auf absehbare Zeit ein Teil des staatliche­n Warnsystem­s bleiben. Ein Sonderförd­erprogramm für Sirenen soll deswegen fortgesetz­t und mit mehr Geld ausgestatt­et werden. Zumindest das ist eine gute Nachricht.

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