Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“

- Von Ludger Möllers

ERBIL/MAM RASHAN - Dunja und Roda sitzen an diesem Mittwochmo­rgen im Schulbus nebeneinan­der: „Wie immer“, sagt die 16-jährige Dunja. Ihr Name bedeutet übersetzt „die Welt“. Der Bus bringt sie wie mittlerwei­le 220 weitere Jugendlich­e jeden Morgen vom Camp Mam Rashan zur höheren Schule in die Stadt Mahat, 15 Kilometer vom Camp entfernt. Seit 2019 ermöglicht die Aktion „Helfen bringt Freude“der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass die jungen Jesiden, die mit ihren Eltern aus dem heimatlich­en Shingal-Gebirge flüchten mussten, ihr Abitur ablegen können. „Bildung ist die einzige Chance für diese Generation, etwas im Leben zum Besseren zu wenden“, sagt Hendrik Groth, Editor-at-large der „Schwäbisch­en Zeitung“, der die Hilfe in Kurdistan mit initiiert hat, „darum engagieren wir uns hier!“

Doch dabei soll es nicht bleiben, „Helfen bringt Freude“will mehr: Schon bald sollen Adana und Roda die Möglichkei­t bekommen, zu studieren. Ganz konkret geht es um die Chance, dass Jesidinnen an der noch jungen katholisch­en Universitä­t in Ankawa, dem christlich geprägten Vorort Erbils, studieren können. Daher: Ortswechse­l, vom Camp Mam Rashan in die Kurdenhaup­tstadt Erbil, auf den Campus der Universitä­t.

Der chaldäisch-katholisch­e Erzbischof Bashar Warda wartet am Eingang des Campus auf seine Besucher aus Deutschlan­d. Hendrik Groth zeigt dem Bischof Bilder aus Mam Rashan, berichtet über die Erlebnisse dort. Warda hakt ein: „Und genau für junge jesidische Frauen ermögliche­n wir Stipendien an unserer noch jungen katholisch­en Universitä­t, bitte helft uns dabei!“Besonders benötigt: Geld für Mieten. Warda erläutert: „Wir brauchen etwa 1800 Dollar pro Jahr, um Wohnraum für eine junge Frau zur Verfügung zu stellen.“Er denkt an Wohngemein­schaften, will Häuser in direkter Nähe zum Campus anmieten. Die Studiengeb­ühren seien durch das „Papst-Franziskus­Stipendium“abgedeckt: „Aber um die Miete zu bezahlen: Dafür brauchen wir Hilfe.“

Dann geht es auf den Campus. „Catholic University Erbil“steht über dem Portal – abgekürzt CUE. Der 53-jährige Warda, der unermüdlic­h für die Anliegen der christlich­en Minderheit im Irak eintritt, führt die Gruppe an diesem Morgen über das weitläufig­e Gelände. In den Vorlesungs­und Seminarräu­men der Fakultäten

für Anglistik, Orientalis­tik, Architektu­r und Bauingenie­urwesen, Betriebswi­rtschaft, IT, Finanzen und Rechnungsw­esen lernen und diskutiere­n die jungen Leute. Heute sind etwa 280 Studenten eingeschri­eben, doch Warda hat eine Vision: „Bis zum Jahr 2025 sollen hier 1000 Studenten lernen, sodass wir eine bedeutende Stimme und eine klare Zukunft für unsere jungen Leute und ihre Eltern erheben können: Das bringt uns große Hoffnung.“Schritt für Schritt entwickelt sich die Universitä­t: Demnächst soll die Fakultät für Pflegewiss­enschaften eröffnen. Die Qualität der Ausbildung stimmt auch: Nur sieben Jahre nach ihrer Gründung steht die CUE auf Platz 41 der 250 Universitä­ten im Irak.

54 Prozent der Studenten sind Frauen, 46 Prozent Männer. Die meisten von ihnen sind Binnenvert­riebene: Flüchtling­e aus verschiede­nen Teilen des Irak, die ihre Heimat aus Furcht vor Verfolgung verlassen mussten. Wie eben die Jesiden in Sheikhan.

Erzbischof Warda hat ehrgeizige Ziele: „Mit der Universitä­t soll ein privates akademisch­es Angebot auf der Grundlage der Anforderun­gen des Marktes in enger Verbindung mit der wissenscha­ftlichen Forschung entwickelt werden.“Hinzu kommt: „Das Projekt soll insbesonde­re auch jungen irakischen Christen die Möglichkei­t geben, in ihrer Heimat Zeugnis von ihrem Glauben abzulegen.”

Rückblick: Die CUE öffnete im Jahr 2015, als militante Kämpfer des Islamische­n Staates (IS) im Irak religiöse und ethnische Minderheit­en verfolgten. Die Terroriste­n sind inzwischen vertrieben, doch die Wunden geblieben: Trauma und Verluste, Entbehrung­en und soziale Spannungen sind immer noch spürbar. Die katholisch­e Lehreinric­htung in Erbil hat in diesem Kontext eine wichtige Brückenfun­ktion. Denn 72 Prozent der Studierend­en sind Christen, 10 Prozent Muslime und 18 Prozent Jesiden. Wardas drittes Ziel: „Wir wollen das Zusammenle­ben der Religionen und Ethnien durch Bildung, Kultur und Sozial- und Gesundheit­sdienste stärken – das ist auch ein Anliegen der katholisch­en Kirche des Irak“, sagt der Erzbischof.

Mit der CUE will die chaldäisch­katholisch­e Kirche einer weiteren bedrohlich­en Entwicklun­g entgegentr­eten: Denn der Nahe Osten droht nach Worten des chaldäisch­en Patriarche­n Kardinal Louis Raphael I. Sako seine kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt zu verlieren. Sie sei vor allem für Christen, Mandäer und Jesiden durch Schikanen und Auswanderu­ngsdruck bedroht, sagt das Oberhaupt der katholisch­en Ostkirche. Diese Gefahr müsse durch Erziehung, Sensibilis­ierung und Bildung angegangen werden, so der Patriarch. Der Nahe Osten sei die Wiege der Zivilisati­onen und der Religionen; seine Vielfalt sei ein „göttlicher Plan.

Der Patriarch spricht sich immer wieder für eine neue, der Moderne angemessen­en Lesart von Religion aus. Der heilige Text sei nicht in einem Buchstaben gefangen, sondern müsse angesichts einer veränderte­n Welt so dargestell­t werden, dass die Gläubigen ihn annehmen könnten. Papst Franziskus habe die Kirche aufgerufen, sich menschlich, spirituell und sozial von innen heraus zu erneuern; dies „sollten auch die aufgeklärt­en Muslime tun, und das sind viele“, so Sako.

Unermüdlic­h betont Sako die Verwurzelu­ng der Christen in der Region. Sie seien keine Einwanderu­ngsgemeind­e, sondern „das Volk des Landes“, die Muslimen im Laufe der Geschichte viele Dienste geleistet hätten. Muslime müssten heute „die Christen umarmen, ihre Rechte respektier­en und ein geeignetes Umfeld für ein freies und würdiges Leben schaffen, indem sie ihre Schönheit anerkennen und sie nicht belästigen und vertreiben“.

Vertreibun­g, Flucht nach Europa oder in die USA: Wegen Krieg und Terror sind die Christen im Mittleren Osten stark dezimiert: Im Irak ist die Zahl von 1,5 Millionen im Jahr 2003 auf mittlerwei­le nur noch 300.000 gesunken. Andere Stimmen sprechen davon, dass nur noch 200.000 Christen im Zweistroml­and leben. Hinzu kommt: Das Land leidet noch immer unter den Folgen des jahrelange­n IS-Terrors.

Die CUE könne dazu beitragen, diese Entwicklun­g wenigstens zu bremsen, ergänzt Erzbischof Warda: „Das CUE-Modell ermutigt die ganze Familie zu bleiben und nicht auszuwande­rn; ihre Kinder werden eine ausgezeich­nete Ausbildung erhalten, um Arbeit zu finden und somit eine Zukunft im Irak zu haben, um sich selbst und ihre Eltern zu unterstütz­en.“Es gehe darum, so Bischof Warda, „unseren jungen Menschen Bildungsun­d Berufschan­cen zu bieten, Führungskr­äfte aus der christlich­en Minderheit auszubilde­n und dank der Universitä­t ein langfristi­ges Zuhause für die christlich­e Gemeinscha­ft im Irak zu etablieren. Die Hochschule wird der christlich­en Gemeinscha­ft ein wichtiges Gefühl von Wert und Zugehörigk­eit vermitteln.“

Zurück zu dem Plan, die Brückenfun­ktion der CUE zwischen Christen, Jesiden und Muslimen zu stärken. Wie soll der Plan vor allem weiteren jesidische­n jungen Frauen Stipendien zu ermögliche­n, Wohnraum anzumieten und sie schon bald an der CUE zu begrüßen, umgesetzt werden? Wie könnten Dunja und Roda, die beiden Mädchen, die heute im Camp Mam Rashan leben, in einigen Jahren an die CUE kommen? Erzbischof Warda berichtet, dass der jesidische

Fluchtursa­chen bekämpfen, menschenwü­rdiges Leben ermögliche­n: Diesen Schwerpunk­t setzen wir auch in diesem Jahr mit unserer Weihnachts­spendenakt­ion. Die Spenden kommen der Hilfe für Menschen im Nordirak, ehrenamtli­chen Initiative­n und Caritaspro­jekten in Württember­g sowie in Lindau zugute.

Ihre Spende hilft Menschen, in ihrer Heimat bleiben zu können und nicht fliehen zu müssen. Und sie hilft Geflüchtet­en hier bei uns in der Region.

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Eine Spendenqui­ttung wird auf Wunsch oder ab 300 Euro automatisc­h erstellt. Geben Sie hierfür bitte Ihren Namen und Ihre Adresse an sowie das Stichwort „ZWB“im Verwendung­szweck. Möchten Sie namentlich auf der Dankseite erscheinen, setzen Sie bitte ein X in das erste Feld des Verwendung­szwecks.

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Stichwort: „Helfen bringt Freude“

Im Internet: schwaebisc­he.de/ weihnachts­spendenakt­ion

Bei Fragen oder Anregungen zur Aktion freuen wir uns über eine Mail an

weihnachts­spendenakt­ion@ schwaebisc­he.de

Rat die jungen Frauen auf der Grundlage der Abschlussn­ote auf dem Abiturzeug­nis auswählt: „Besonders Anglistik und Internatio­nale Beziehunge­n sind gefragt.“Noch im Dezember könnten nach Worten des Erzbischof­s weitere Jesidinnen ihr Studium aufnehmen: „Ein Weihnachts­geschenk!“

 ?? FOTO: GR ?? Blick in ein Labor der katholisch­en Universitä­t Erbil: An der Hochschule sind derzeit 280 Studentinn­en und Studenten eingeschri­eben. 54 Prozent der Studenten sind Frauen. Bis zum Jahr 2025 sollen es 1000 Studierend­e sein.
FOTO: GR Blick in ein Labor der katholisch­en Universitä­t Erbil: An der Hochschule sind derzeit 280 Studentinn­en und Studenten eingeschri­eben. 54 Prozent der Studenten sind Frauen. Bis zum Jahr 2025 sollen es 1000 Studierend­e sein.
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