Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Beratungsstelle kämpft um Fortbestand
Aus nach fünf Jahren? – Ministerium vergibt Projektfinanzierung an anderen Bewerber
OBERTEURINGEN - Für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige bietet der Verein „Bürger für Bürger“in Oberteuringen seit 2018 eine besondere Beratung an. Weil die Weiterfinanzierung vor Kurzem abgelehnt wurde, kämpft der Verein nun um den Fortbestand und hat Widerspruch gegen die Entscheidung des Sozialministeriums eingelegt. Das Ministerium will dazu derzeit keine Stellung nehmen.
Vor fünf Jahren haben sich Thomas Schalski und seine Ehefrau bewusst dafür entschieden, in Oberteuringen eine sogenannte Ergänzende unabhängige Teilhabebetreuung (EUTB) anzubieten. Denn die Gemeinde setze sich intensiv für Inklusion ein. Die Besonderheit des Angebots ist eine Peer-Beratung, was bedeutet, dass in den Beratungsstellen Menschen mit und ohne Behinderungen gleichberechtigt zusammenarbeiten und so eine ganzheitliche Beratung anbieten – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
„Wir machen ein Vollversorgungsangebot, füllen Anträge aus und nehmen uns Zeit – das unterscheidet uns von anderen bundesweiten EUTB-Angeboten“, berichtet das Ehepaar Schalski, das nach eigenen Angaben in den vergangenen fünf Jahren zwischen 5000 und 6000 Beratungsgesprächen geführt hat. „Andere bieten lediglich eine Beratung an, keine Assistenz.“Zudem müsse jedes Gespräch dokumentiert und anonymisiert an die Gesellschaft
für soziale Unternehmensberatung (GSUB) gemeldet werden, die als Dienstleister des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales fungiert.
Bei der GSUB habe der Verein auch die Weiterfinanzierung seiner Arbeit für die nächsten sieben Jahre beantragt, berichtet Schalski. Dabei geht es um eine Summe von 120 000 Euro im Jahr, worin 90 000 Euro für Personalkosten enthalten seien. Der Antrag sei allerdings abgelehnt worden. Stattdessen sei der Zuschlag an einen Verein gegangen, der noch keinerlei Erfahrung in der Behindertenberatung habe, erklärt Thomas Schalski, der sich nun gegen den Ablehnungsbescheid wehrt und dessen Verein eine Petition für den Erhalt der EUTB-Bodensee gestartet hat.
Der Verein „Bürger für Bürger“gehört laut Schalski der Interessenvertretung „Selbstbestimmt Leben“in Deutschland an. Diese habe, gemeinsam mit fünf weiteren von Ablehnungen betroffenen EUTB, eine Anwältin beauftragt, die gegen diese Entscheidung vorgehen soll. Die Anwältin habe inzwischen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt und gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Berlin eine einstweilige Verfügung beantragt, berichtet Schalski. Zudem habe der Verein gegen die Bewilligung des neuen Vereins Drittwiderspruch eingelegt, sodass dieser nicht mit der Arbeit beginnen könne.
Zum konkreten Fall nimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales keine Stellung: „Eine Auskunft
über das laufende Verwaltungs-/Klageverfahren ist derzeit nicht möglich.“Auch wenn Schalski im Zusammenhang mit der Klage mit einer Verfahrensdauer von bis zu zehn Jahren rechnet, hofft er auf eine rasche Entscheidung die einstweilige Verfügung betreffend.
Das wäre wichtig, um weitermachen zu können, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt: „Wir haben circa 40 Leute, die wir dauerhaft betreuen und auch weiterhin betreuen wollen“, so Schalski. Zu diesen gehört beispielsweise Cynthia-Stefanie Barth, mit der er gemeinsam gekämpft hat, dass sie mit ihrem Rollstuhl im Bus mitfahren darf. Barth berichtet davon, dass eine Busfahrerin ihr die Mitfahrt verweigert habe, weil ihr Rollstuhl eine Art Scooter sei und sie den Kinderwagen-Platz versperre. Und obwohl die Krankenkasse bestätigt habe, dass es sich um einen Rollstuhl handle, habe erst die EUTB-Bodensee nach zweieinhalb Jahren erreicht, dass sie mitsamt Rollstuhl in den Bus dürfe.
So schmerzhaft die Ablehnung einer Weiterfinanzierung der Oberteuringer Betreuungsstelle für die Klienten auch sein mag, für das Ehepaar Schalski ist sie nach eigenen Angaben existenzbedrohend. Schließlich sichere der Verein mit einer Vollzeit- und einer halben Stelle ihre Existenz. Nach eigenen Angaben hat das Paar noch sieben Jahre bis zur Rente: „Dann sind wir gerettet“, sagt Thomas Schalski. „Ich arbeite nicht fünf Jahre lang zwölf Stunden am Tag, um wie ein räudiger Hund vom Hof gejagt zu werden.“