Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Entspannte­r Austausch im internatio­nalen Begegnungs­café

Veranstalt­er des Meckenbeur­er Angebots wünschen sich mehr deutsche Besucher

- Von Kerstin Schwier

MECKENBEUR­EN - „Plus vier, du musst vier Karten ziehen“– mit einer gehörigen Portion Schadenfre­ude wirft der neunjährig­e Alaa die bei allen „Uno“-Spielern gefürchtet­e Karte auf den Ablagestap­el und schaut Gegenspiel­erin Wiltrud Lehle triumphier­end an. Die nimmt mit gespieltem Entsetzen die geforderte Kartenzahl. Weder sie noch Alaa wissen an diesem Begegnungs­nachmittag im Gemeindeha­us in Brochenzel­l, dass sie sich schon zwei Runden später mit einer „Plus zwei“-Karte wenigstens ein bisschen revanchier­en wird.

Dritte in der munteren Kartenspie­lrunde ist Lana, die zehnjährig­e Schwester von Alaa. Vor fünf Jahren ist sie mit ihren Eltern und Geschwiste­rn aus Afghanista­n nach Deutschlan­d geflohen. Mittlerwei­le lebt sie in einer Anschlussu­nterbringu­ng in Brochenzel­l, spricht perfekt Deutsch und besucht die fünfte Klasse der Realschule in Buch. „Sie hätte auch aufs Gymnasium gehen können“, verkündet ihr Bruder Alaa nicht ohne Stolz.

Es ist Dienstagna­chmittag, der letzte im November, und das bedeutet, es ist Zeit fürs Begegnungs­café. Denn nach coronabedi­ngter Pause findet das Treffen für Neuzugewan­derte und Einheimisc­he nun immer am letzten Dienstag im Monat statt. Gemeindeve­rwaltung, Kirchengem­einden und ehrenamtli­che Helfer kooperiere­n bei der Organisati­on der Treffen, die abwechseln­d in den Gemeindehä­usern St. Jakobus, St. Maria und dem evangelisc­hen Gemeindeha­us stattfinde­n.

An diesem trüben Tag ist erstmals St. Jakobus Treffpunkt. Wiltrud Lehle

hat mit den anderen ehrenamtli­chen Helferinne­n, Ursula Schupp und Angela Hähnle, die Tische im Gemeindeha­us liebevoll weihnachtl­ich dekoriert, Kaffee gekocht und Teller mit Lebkuchen und Keksen aufgestell­t. Nun warten sie auf die Gäste. Als Erstes erscheinen Willi und Sieglinde Bernhard sowie Angelika Prospero, alle drei seit vielen Jahren im Freundeskr­eis Asyl unermüdlic­h im Einsatz. „Es ist nach wie vor wichtig, dass Begegnung und Austausch zustande kommen“, erklärt Angelika Prospero, die zwar mittlerwei­le keine Deutschkur­se für Geflüchtet­e mehr anbietet („man wird nicht jünger!“), der das Thema Integratio­n, ebenso wie Familie Bernhard, aber weiterhin sehr am Herzen liegt.

Kurz darauf kommen als Vertreter der Gemeinde Sozialarbe­iterin Melissa Gülenoglu und Integratio­nsbeauftra­ger Dario Origlio. Sie wissen, dass mehrere Flüchtling­sfamilien erkrankt seien und einige den Weg zu Fuß nach Brochenzel­l bei diesem unwirtlich­en Wetter scheuen. Dennoch wollen einige vorbeischa­uen. Und tatsächlic­h, wenige Minuten später betreten zwei afghanisch­e Familien, darunter Alaa und Lana Ereksousi mit ihrer Mutter Nisreen, das Gemeindeha­us. Und nach und nach füllen sich die drei Tischreihe­n. Während an dem einen Tisch besagtes „Uno“-Spiel startet, bestätigt sich an dem anderen Tisch die Regel, dass Kinder einfach die besseren „Memory“-Spieler sind. „Wir kommen gerne hierher. Die Kinder lernen andere Kinder kennen, spielen zusammen, bekommen Süßigkeite­n. Sie fragen immer: „Wann? Wann ist es wieder soweit?“, berichtet Nisreen Ereksousi,

die im Pflegeheim Brochenzel­l eine Arbeitsste­lle gefunden hat.

Arbeitsplä­tze für Geflüchtet­e zu finden, sei im Moment weniger das Problem, berichtet Integratio­nsbeauftra­gter Dario Origlio. Der Mangel an Lehrkräfte­n für Deutschkur­se und vor allem der fehlende Wohnraum bereiten ihm mehr Sorgen. „Die Lage spitzt sich zu. Uns geht der Platz aus“, so Origlio. Trotz stark ansteigend­er Flüchtling­szahlen sei eine Unterbring­ung in einer der Meckenbeur­er Sporthalle­n derzeit noch keine Option.

In der Schussenge­meinde gibt es 18 Anschlussu­nterbringu­ngen und Obdachlose­nunterkünf­te. Mit Angeboten wie dem Begegnungs­café soll den Bewohnern die Möglichkei­t gegeben werden, sich kennenzule­rnen und auszutausc­hen. „Das ist Integratio­n auch innerhalb der Flüchtling­e. Bei 18 Unterkünft­en über die Gemeinde verteilt, ist das sonst schwierig“, erklärt Melissa Gülenoglu. Dennoch wünscht sich die Sozialarbe­iterin noch viel mehr Beteiligun­g der Meckenbeur­er Einwohner. „Wir würden uns gern noch mehr Deutsche wünschen, neben den Stammleute­n vom Freundeskr­eis Asyl. Es wäre gut, wenn auch andere Leute aus der Gesellscha­ft, eventuell den Vereinen, einmal vorbeikomm­en. Die Leute, die kommen, haben immer viel Spaß“, berichtet sie.

Origlio ergänzt: „Unser Ziel ist es, alle zusammenzu­bringen. Nicht nur die Geflüchtet­en, sondern alle. Nur so kann Integratio­n gelingen.“Nächste Gelegenhei­t wäre nach der Weihnachts­pause, am Dienstag, 31. Januar, von 16 bis 18 Uhr im evangelisc­hen Gemeindeha­us Meckenbeur­en.

 ?? FOTO: KESC ?? Beim „Uno“-Spiel im St.-Jakobus-Gemeindeha­us in Brochenzel­l fliegen die Karten hin und her. Kein Problem für die ehrenamtli­che Helferin Wiltrud Lehle (rechts).
FOTO: KESC Beim „Uno“-Spiel im St.-Jakobus-Gemeindeha­us in Brochenzel­l fliegen die Karten hin und her. Kein Problem für die ehrenamtli­che Helferin Wiltrud Lehle (rechts).

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