Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Showdown für die „Generation Nix“

Jahrgänge 1995/96 sollten für eine goldene DFB-Zukunft stehen – Heim-EM als großes Ziel

- Von Patrick Strasser

DOHA - Es muss eine harte Zeit für Lina Meyer gewesen sein, damals im Juli 2018. Joshua Kimmich, seit Juni mit seiner Lina verheirate­t, nannte die Wochen nach der WM in Russland gar „eine furchtbare Zeit“. Er habe sich „wie ein Zombie“gefühlt und „keine Minute“der WM mehr gesehen. „Es ging einfach nicht. So down war ich im Fußball noch nie.“So äußerte sich der Bayern-Profi im Rückblick auf das blamable VorrundenA­us bei der letzten WM.

Die Geschichte hat sich wiederholt. Ganz so blamabel war das Abschneide­n der deutschen Nationalel­f bei der WM in Katar zwar nicht, aber unerwartet und daher so enttäusche­nd. Auf die restlichen Spiele der Endrunde im TV kann Kimmich verzichten, das wäre „wie ein Aufkratzen einer Wunde“, meinte er letzte Woche, „ich glaube nicht, dass ich mir da einen Gefallen tue“. Nach dem 4:2 gegen Costa Rica, dem unnützeste­n Sieg einer deutschen Mannschaft in der WM-Geschichte, sprach der 27-Jährige vom „schwierigs­ten Tag meiner Karriere“und erklärte: „Das ist für mich nicht einfach zu verkraften, weil ich persönlich mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht werde. Das ist nichts, wofür man stehen möchte.“

Kurz vor der EM 2016 in Frankreich feierte Kimmich sein Nationalel­f-Debüt, stieg im Turnier vom Ersatzzum Stammspiel­er auf. Im Halbfinale war Endstation, 0:2 gegen den Gastgeber. Der damals 21-jährige Rechtsvert­eidiger hätte sich nicht träumen lassen, dass er bei den nächsten drei Turnieren (jeweils als Stammkraft) kolossal scheitern würde. Zwischen beiden WM-Enttäuschu­ngen steht das Aus im EM-Achtelfina­le 2021 (0:2 gegen England). Und, das soll nicht verschwieg­en werden: Der Erfolg beim Confederat­ions Cup 2017, das Joachim Löws Perspektiv-Team mit einem 1:0 im Finale gegen Chile gewann.

Damals noch galten Kimmich sowie sein enger Kumpel Serge Gnabry, Leon Goretzka, Niklas Süle (alle Jahrgang 1995) und Leroy Sané (Jahrgang 1996) als die Zukunft des DFB, wurden als Goldene Generation gefeiert. Der bei der WM verletzt fehlende Timo Werner sowie Julian Brandt, Thilo Kehrer und Lukas Klosterman­n gehörten ebenfalls zu den Jahrgängen der Hoffnungst­räger. „Wir haben so viel Talent in der Mannschaft“, meinte Gnabry in Al Khor und senkte den Kopf. Die ehemalige Boy Group um Kimmich und Co. steht am Scheideweg: Geht sie als „Generation Nix“in die DFB-Historie ein oder folgt bei der Heim-EM 2024 der ultimative Showdown? Die Jüngsten sind sie auch nicht mehr.

Doch warum klappt bei Bayern, was ihnen im Nationaldr­ess misslingt? Unter Hansi Flick gewannen Kimmich, Gnabry, Goretzka und Süle sieben Titel, als Krönung 2020 die Champions League und 2021 (dann mit Sané) die FIFA-Club-WM – übrigens auch in Doha. Der Trainer kann es also nicht sein. „Viel Talent, alles schön und gut, aber da gehört einfach mehr dazu“, schimpfte Antonio Rüdiger von Real Madrid (mit 1993 ein älteres Baujahr) in Doha und benannte die Mängel konkret: „Die letzte Gier, dieses etwas Dreckige fehlt uns.“Dabei hatte gerade das doch die Bayern ausgezeich­net, die in der laufenden Saison ihrem Rekordtite­l Nummer 11 in Serie entgegenst­reben – wieder einmal ohne allzu großen Widerstand der Liga-Konkurrenz.

Hat Bayern dank der Franzosen um Kingsley Coman, Benjamin Pavard und Lucas Hernández, dem kanadische­n Shootingst­ar Alphonso Davies sowie vor allem dank TopTorjäge­r und FIFA-Weltfußbal­ler Robert Lewandowsk­i (wechselte im Sommer zum FC Barcelona) in den letzten Jahren eine Weltauswah­l gehabt, die besser aufgestell­t ist als Kimmich & Co. mit ihren DFB-Kollegen? In der Abwehr ja, auf der Mittelstür­mer-Position sowieso.

Er habe „Angst davor, in ein Loch zu fallen“, sagte Kimmich nach dem WM-Aus in Katar. Doch erstens trifft er am 3. Januar an der Säbener Straße wieder all seine Mitspieler bei Bayern und zweitens: Der Mann hat drei Kinder, die schönste Hauptsache der Welt.

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FOTO: FRANK HOERMANN/IMAGO Joshua Kimmich trifft das erneute Ausscheide­n des DFB-Teams einmal mehr besonders hart.

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