Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Lauterbach plant radikalen Schnitt
Gesundheitsminister will die Finanzierung von Kliniken komplett umkrempeln
BERLIN - Krankenhausbehandlungen sollen wieder mehr nach medizinischen und weniger nach ökonomischen Kriterien erfolgen. Das sehen Vorschläge einer von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzten Expertenkommission vor. Demnach sollen Kliniken eine Basisfinanzierung für die Bereithaltung von Betten, Personal und Gerät erhalten und nur einen Teil ihrer Ausgaben über Fallpauschalen für die Behandlungen erstattet bekommen. Bisher gilt ausschließlich: Pro Erkrankung gibt es eine Pauschale. Was bedeutet: Dieselbe Krankheit für dasselbe Geld. Egal, wo der Eingriff erfolgt, egal, wie das Haus ausgestattet ist und welche Kompetenzen es hat. Laut Lauterbach habe dieses System dazu geführt, dass es sich finanziell lohne, möglichst billig möglichst viele Patienten zu behandeln.
Für Kommissionschef Tom Bschor „brennt es lichterloh“in der Kliniklandschaft. Deutschland gebe viel Geld für viele Kliniken aus, doch habe das bisherige Fallpauschalensystem zu „Masse statt Klasse“geführt. Die Vorschläge würden keine zusätzlichen Kosten verursachen, weil Behandlungen eingespart würden, die nicht nötig seien, wenn der Anreiz für möglichst viele Fälle sinke.
In Zukunft sollen laut Kommissionsmitglied Christian Karagiannidis zudem bundesweit Mindeststandards gelten, durch die klar werde, welches Krankenhaus welche Behandlungen durchführen dürfe. Im Kern sollen die Kliniken in drei Vergütungsgruppen eingeteilt werden: lokale Häuser für die Grundversorgung, regionale Kliniken und solche, die wegen ihrer Kapazitäten und Spezialisierung von überregionaler Bedeutung sind, inklusive der Universitätskliniken. Das neue System soll in einem Zeitraum von fünf Jahren eingeführt werden.
Die Pläne stießen auf unterschiedliche Reaktionen. AOK-Chefin Carola Reimann sprach von „guten Impulsen“. Allerdings komme es auf die konkrete Umsetzung an. Der Vorstandschef des BKK Dachverbands, Franz Knieps, bewertete das Modell als „mutig und interessant“. Bedauerlich aber sei, dass „die Regierungskommission den Weg in die Verstaatlichung des Gesundheitswesens weiter vorantreibt“. So erkennt denn auch TK-Chef Jens Baas „sehr vielversprechende, aber auch gefährliche Aspekte“. Und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht die Vorschläge als „eine Grundlage, um zu diskutieren, inwiefern sie umsetzbar und praktikabel sind“, so Vorstandschef Gerald Gaß. Für Bayern sind die Reformpläne nicht akzeptabel. Sie griffen „unzumutbar in die Krankenhausplanungskompetenz der Länder ein“, sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag in München. Die Regierungskommission um Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) würden „ein zentral gesteuertes, quasi planwirtschaftliches und hochtheoretisches System vorschlagen“, das sehr rasch zu einer massiven Konzentration der stationären Versorgungsangebote führen werde. „Es ist zwar richtig und wichtig, dass das Fallpauschalen-System geändert wird. Wir brauchen wieder mehr Medizin und weniger Ökonomie“, betont Holetschek. Aber das Konzept berge die enorme Gefahr einer verheerenden Fehlsteuerung und der Zerstörung bedarfsnotwendiger Versorgungsstrukturen. Zudem kritisierte Holetschek, dass weiterhin kein Ausgleich für die massiv gestiegenen Sachkosten der Kliniken in Sicht sei. Die bestehende Unterfinanzierung solle stattdessen – mit Ausnahme der Pädiatrie, für die es mehr Geld geben solle – durch Umverteilung innerhalb des Systems „gelöst“werden.
Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland 1886 Krankenhäuser. Diese seien 2021 zu 68 Prozent ausgelastet gewesen. Nach Angaben der DKG sind 40 Prozent der Kliniken insolvenzgefährdet.