Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mit einem Gipfel raus aus dem Tief
Wie Kanzler Scholz Deutschland in Sachen Digitalisierung auf europäisches Topniveau heben will – Städtetag zweifelt am Tempo
BERLIN - Langsames Internet, Funklöcher, von digitalen Behördengängen keine Spur. Deutschland ist digitales Entwicklungsland. Im europäischen Vergleich steht es auf Rang 13, global auf Platz 20. Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) will Deutschland in die europäischen Top Ten führen. Sein Mantra: Wer am Analogen festhält, lähmt das Land. Deshalb diskutieren Kanzler Olaf Scholz (SPD) und viele seiner Kabinettskollegen ab Donnerstag, wie man Deutschland besser aufstellen kann. Warum hinkt das Land hinterher? Wie gelingt die Digital-Wende? Und ist es nicht schon zu spät?
Die Gründe: Ein Problem ist das Zuständigkeits-Wirrwarr. Mal sind die Kommunen, mal die Länder, mal die EU und mal die Bundespolitik verantwortlich. „Der Bund ist in einer schwierigen Sandwich-Situation. Das heißt, wir sind superkompliziert, überkomplex, und oft bestimmt der Langsamste das Tempo“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, Bernhard Rohleder. Auch innerhalb der Bundesregierung fehlt es bei Digitalisierungsvorhaben an Koordination, ist sich der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sicher. „Zu oft arbeiten die Ressorts ohne hinreichende Koordinierung an denselben Fragen. Und Förderprogramme sind leider nur selten wirklich gut genug aufeinander abgestimmt“, bemängelt Dedy.
Ein weiteres Problem sei laut Rohleder, dass es jahrelang keinen Veränderungsdruck gegeben habe. „Die Auftragsbücher der Unternehmen waren voll, es gab faktisch Vollbeschäftigung, die öffentlichen Haushalte erzielten Überschüsse. Wenn der Druck fehlt, ist Veränderung unglaublich schwierig“, erläutert Rohleder. Hinzu komme der Datenschutz, der in allen europäischen Ländern zwar gleich sei, doch nur in Deutschland „superscharf interpretiert“werde. Man orientiere sich zu „oft an theoretischen Risiken und baut damit praktisch große Hürden für die Digitalisierung auf“.
Häufig traue sich die Politik zu wenig. Im besten Fall würde man neben den analogen noch einen digitalen Prozess stellen: „Das ist aber keine Digitalisierung. Es gibt damit keinen Effizienzgewinn, sondern doppelten Aufwand“, sagt Rohleder. „Wir fahren zweigleisig, weil wir uns nicht trauen, alte Zöpfe abzuschneiden und zu sagen: Jetzt machen wir es nicht mehr analog.“Dabei gebe es durchaus Lösungen für Bürger ohne Computer. Wie zum Beispiel digitale Streetworker, die mit Tablets zu den
Leuten nach Hause gehen. „Das wäre problemlos machbar – man muss es nur wollen.“
Der Breitbandausbau verlief lange schleppend. In den letzten Monaten hat er aber Fahrt aufgenommen. Das liegt auch am Graue-FleckenFörderprogramm der Bundesregierung. Damit unterstützt der Bund den Glasfaserausbau in Regionen, die mit weniger als 100 Mbit pro Sekunde Bandbreite ans Internet angeschlossen waren. 2022 stellte der Bund drei Milliarden Euro zur Verfügung. Im Herbst wurde bekannt: Der Topf ist leer. „Das hat die Planungen der Kommunen ausgebremst. Wichtig ist, dass so etwas nicht wieder vorkommt“, sagt Städtetag-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Der
Bund wertete dies hingegen als Beleg dafür, dass die Förderung funktioniert. Zudem sei der Aufschrei nicht gerechtfertigt, da nur 13 Prozent des Breitbandausbaus aus staatlichen Mitteln finanziert würden, 87 Prozent übernehme die Privatwirtschaft, hieß es aus dem Ministerium.
Dennoch stehen jetzt Veränderungen an, wodurch sich Bundesverkehrsminister
Wissing mehr Effizienz erhofft. Die Förderung soll anders aufgestellt werden. Bisher müssen Kommunen nachweisen, dass in einem bestimmten Gebiet auf absehbare Zeit kein privatwirtschaftlicher Ausbau geplant ist. Dann bekommen sie staatliche Hilfe. Die Hürden sind relativ niedrig. Um die Mittelvergabe sinnvoller zu steuern, soll künftig eine Potenzialanalyse erfolgen. Dieses Instrument zeigt auf, wo die Notwendigkeit zur Förderung am größten ist. So können Mittel dorthin gelenkt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Die Industrie befürwortet das. Vor allem dünn besiedelte ländliche Gegenden mit Dörfern in Wäldern oder bergigen Regionen würden profitieren.
Die Länder sprechen sich aber gegen diesen Ansatz aus, weil sie einen großen Bürokratieaufwand befürchten. Das Förderprogramm müsse so gestaltet werden, „dass die Kommunen viel entscheiden können, damit die Fördergelder sinnvoll vor Ort eingesetzt werden“, sagt Helmut Dedy. Wie genau ab 2023 gefördert wird, entscheidet sich bis Ende des Jahres. Doch die Potenzialanalyse ist nicht der einzige Streitpunkt. Probleme gibt es auch bei der Art des Glasfaserausbaus. So wird derzeit in vielen Kommunen das sogenannte Micro-Trenching genutzt. Mit diesem Verfahren geht das Verlegen von Glasfaserkabeln zehnmal schneller. Einige Kommunen sperren sich jedoch dagegen. Der Grund: Es ist unklar, wer haftet, wenn die Bauausführung Schäden verursacht. Wenn die Netzbetreiber keine Haftung für die aufgefrästen Straßen übernehmen wollen, „dann muss man auf den nächsten freien Bautrupp warten, und das kann einige Jahre dauern“, erläutert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „In manchen Kommunen wird mit der Spitzhacke gegraben und die Leute vor Ort legen Hand an“, berichtet er. Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach hat einen Haftungsfonds vom Bund gefordert. Ob der kommt, wird derzeit geprüft.
Bundesverkehrsminister Wissing hat eine Digitalstrategie ausgearbeitet. Darin sind sogenannte Leuchtturmprojekte enthalten. Er will zum Beispiel eine digitale Identität und die elektronische Patientenakte auf den Weg bringen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wie Digitalstaatssekretärin Dorothee Bär (CSU) hat er auch einen Monitoring-Prozess angestoßen. Eine Expertenkommission soll die Digitalisierungsprojekte begleiten und prüfen.
Wenn es nach dem Willen der Bevölkerung geht, ist hier mehr Tempo gefragt. Einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Verbands der Internetwirtschaft eco zufolge sieht ein Großteil der Deutschen nicht den erhofften digitalen Aufbruch. 72 Prozent der Befragten geben an, dass die Ampel die Digitalisierung entschiedener vorantreiben müsste. „Ein Paradigmenwechsel in der Digitalpolitik ist nicht erkennbar“, sagt eco-Vorstandsvorsitzender Oliver Süme.