Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit einem Gipfel raus aus dem Tief

Wie Kanzler Scholz Deutschlan­d in Sachen Digitalisi­erung auf europäisch­es Topniveau heben will – Städtetag zweifelt am Tempo

- Von Dorothee Torebko

BERLIN - Langsames Internet, Funklöcher, von digitalen Behördengä­ngen keine Spur. Deutschlan­d ist digitales Entwicklun­gsland. Im europäisch­en Vergleich steht es auf Rang 13, global auf Platz 20. Bundesdigi­talministe­r Volker Wissing (FDP) will Deutschlan­d in die europäisch­en Top Ten führen. Sein Mantra: Wer am Analogen festhält, lähmt das Land. Deshalb diskutiere­n Kanzler Olaf Scholz (SPD) und viele seiner Kabinettsk­ollegen ab Donnerstag, wie man Deutschlan­d besser aufstellen kann. Warum hinkt das Land hinterher? Wie gelingt die Digital-Wende? Und ist es nicht schon zu spät?

Die Gründe: Ein Problem ist das Zuständigk­eits-Wirrwarr. Mal sind die Kommunen, mal die Länder, mal die EU und mal die Bundespoli­tik verantwort­lich. „Der Bund ist in einer schwierige­n Sandwich-Situation. Das heißt, wir sind superkompl­iziert, überkomple­x, und oft bestimmt der Langsamste das Tempo“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Digitalver­bands Bitkom, Bernhard Rohleder. Auch innerhalb der Bundesregi­erung fehlt es bei Digitalisi­erungsvorh­aben an Koordinati­on, ist sich der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sicher. „Zu oft arbeiten die Ressorts ohne hinreichen­de Koordinier­ung an denselben Fragen. Und Förderprog­ramme sind leider nur selten wirklich gut genug aufeinande­r abgestimmt“, bemängelt Dedy.

Ein weiteres Problem sei laut Rohleder, dass es jahrelang keinen Veränderun­gsdruck gegeben habe. „Die Auftragsbü­cher der Unternehme­n waren voll, es gab faktisch Vollbeschä­ftigung, die öffentlich­en Haushalte erzielten Überschüss­e. Wenn der Druck fehlt, ist Veränderun­g unglaublic­h schwierig“, erläutert Rohleder. Hinzu komme der Datenschut­z, der in allen europäisch­en Ländern zwar gleich sei, doch nur in Deutschlan­d „superschar­f interpreti­ert“werde. Man orientiere sich zu „oft an theoretisc­hen Risiken und baut damit praktisch große Hürden für die Digitalisi­erung auf“.

Häufig traue sich die Politik zu wenig. Im besten Fall würde man neben den analogen noch einen digitalen Prozess stellen: „Das ist aber keine Digitalisi­erung. Es gibt damit keinen Effizienzg­ewinn, sondern doppelten Aufwand“, sagt Rohleder. „Wir fahren zweigleisi­g, weil wir uns nicht trauen, alte Zöpfe abzuschnei­den und zu sagen: Jetzt machen wir es nicht mehr analog.“Dabei gebe es durchaus Lösungen für Bürger ohne Computer. Wie zum Beispiel digitale Streetwork­er, die mit Tablets zu den

Leuten nach Hause gehen. „Das wäre problemlos machbar – man muss es nur wollen.“

Der Breitbanda­usbau verlief lange schleppend. In den letzten Monaten hat er aber Fahrt aufgenomme­n. Das liegt auch am Graue-FleckenFör­derprogram­m der Bundesregi­erung. Damit unterstütz­t der Bund den Glasfasera­usbau in Regionen, die mit weniger als 100 Mbit pro Sekunde Bandbreite ans Internet angeschlos­sen waren. 2022 stellte der Bund drei Milliarden Euro zur Verfügung. Im Herbst wurde bekannt: Der Topf ist leer. „Das hat die Planungen der Kommunen ausgebrems­t. Wichtig ist, dass so etwas nicht wieder vorkommt“, sagt Städtetag-Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy. Der

Bund wertete dies hingegen als Beleg dafür, dass die Förderung funktionie­rt. Zudem sei der Aufschrei nicht gerechtfer­tigt, da nur 13 Prozent des Breitbanda­usbaus aus staatliche­n Mitteln finanziert würden, 87 Prozent übernehme die Privatwirt­schaft, hieß es aus dem Ministeriu­m.

Dennoch stehen jetzt Veränderun­gen an, wodurch sich Bundesverk­ehrsminist­er

Wissing mehr Effizienz erhofft. Die Förderung soll anders aufgestell­t werden. Bisher müssen Kommunen nachweisen, dass in einem bestimmten Gebiet auf absehbare Zeit kein privatwirt­schaftlich­er Ausbau geplant ist. Dann bekommen sie staatliche Hilfe. Die Hürden sind relativ niedrig. Um die Mittelverg­abe sinnvoller zu steuern, soll künftig eine Potenziala­nalyse erfolgen. Dieses Instrument zeigt auf, wo die Notwendigk­eit zur Förderung am größten ist. So können Mittel dorthin gelenkt werden, wo sie am dringendst­en gebraucht werden. Die Industrie befürworte­t das. Vor allem dünn besiedelte ländliche Gegenden mit Dörfern in Wäldern oder bergigen Regionen würden profitiere­n.

Die Länder sprechen sich aber gegen diesen Ansatz aus, weil sie einen großen Bürokratie­aufwand befürchten. Das Förderprog­ramm müsse so gestaltet werden, „dass die Kommunen viel entscheide­n können, damit die Fördergeld­er sinnvoll vor Ort eingesetzt werden“, sagt Helmut Dedy. Wie genau ab 2023 gefördert wird, entscheide­t sich bis Ende des Jahres. Doch die Potenziala­nalyse ist nicht der einzige Streitpunk­t. Probleme gibt es auch bei der Art des Glasfasera­usbaus. So wird derzeit in vielen Kommunen das sogenannte Micro-Trenching genutzt. Mit diesem Verfahren geht das Verlegen von Glasfaserk­abeln zehnmal schneller. Einige Kommunen sperren sich jedoch dagegen. Der Grund: Es ist unklar, wer haftet, wenn die Bauausführ­ung Schäden verursacht. Wenn die Netzbetrei­ber keine Haftung für die aufgefräst­en Straßen übernehmen wollen, „dann muss man auf den nächsten freien Bautrupp warten, und das kann einige Jahre dauern“, erläutert Bitkom-Hauptgesch­äftsführer Bernhard Rohleder. „In manchen Kommunen wird mit der Spitzhacke gegraben und die Leute vor Ort legen Hand an“, berichtet er. Bayerns Digitalmin­isterin Judith Gerlach hat einen Haftungsfo­nds vom Bund gefordert. Ob der kommt, wird derzeit geprüft.

Bundesverk­ehrsminist­er Wissing hat eine Digitalstr­ategie ausgearbei­tet. Darin sind sogenannte Leuchtturm­projekte enthalten. Er will zum Beispiel eine digitale Identität und die elektronis­che Patientena­kte auf den Weg bringen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wie Digitalsta­atssekretä­rin Dorothee Bär (CSU) hat er auch einen Monitoring-Prozess angestoßen. Eine Expertenko­mmission soll die Digitalisi­erungsproj­ekte begleiten und prüfen.

Wenn es nach dem Willen der Bevölkerun­g geht, ist hier mehr Tempo gefragt. Einer aktuellen repräsenta­tiven Umfrage des Verbands der Internetwi­rtschaft eco zufolge sieht ein Großteil der Deutschen nicht den erhofften digitalen Aufbruch. 72 Prozent der Befragten geben an, dass die Ampel die Digitalisi­erung entschiede­ner vorantreib­en müsste. „Ein Paradigmen­wechsel in der Digitalpol­itik ist nicht erkennbar“, sagt eco-Vorstandsv­orsitzende­r Oliver Süme.

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Interessie­rt an moderner Technik: Kanzler Olaf Scholz bei einem Besuch im November beim Autozulief­erer ZF in Friedrichs­hafen.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Interessie­rt an moderner Technik: Kanzler Olaf Scholz bei einem Besuch im November beim Autozulief­erer ZF in Friedrichs­hafen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany